Was für eine blöde Idee!

Sonntagsbrunch in Berlin
Neulich Morgen schnattert mich die Freundin in der App an, ob wir nicht mal frühstücken gehen wollen. Wir hatten uns am Vorabend locker verabredet. Fest macht man ja heute nicht mehr. Kann ja immer noch mal was dazwischen kommen.

Sonntagsbrunch in Berlin
Illustration: Björn KI Hofmann

Bei mir ist es ein ganz unangenehmer Ich-geh-nicht-hin-„Virus“. Ich hab den schon ganz lange und kriege ihn auch nicht nachhaltig weg. Egal, ob das, wo ich hin wollte, doof ist oder schön zu werden verspricht. Spätestens, wenn ich fertig angezogen zum Losgehen bereit in der Tür stehe, überkommt mich eine ganz plötzliche Übelkeit, die Beine werden schwach, die Kniee zittern, der Kopf bebt. Dann muss ich echt kurzfristig absagen. Hat mich schon die eine oder andere Freundschaft gekostet und sogar den letzten Job.

 Diesmal, es war Sonntag, habe ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Die Freundin brachte volles Verständnis auf, das tat echt gut und führte schon zur Hälfte dazu, dass ich die Lust auf's Rausgehen zulassen konnte. Anders als die letzten Monate, ach was Jahre, mit Corona-Homeoffice und später lang andauernder Krankschreibung, tauschte ich zur Feier des Tages und um mich ein wenig selbst auszutricksen, die Jogginghosen gegen ein hübsches Kleid und legte sogar noch etwas Schmuck an, was später am Tag von der Freundin deutlich honoriert wurde. Besonders die Ohrringe hatten es ihr angetan.

 Wir verabreden uns für Zwölfe im Spreegold Ecke Stargarder. Hätte ich besser wissen müssen. Uff'n Sonntach!! Ich fahre Bahn, die Freundin Auto. - Muss ich nochmal nachhaken, was das eigentlich soll in Berlin! Ehrlich, gefühlt alle 2 Minuten fährt irgendwo 'ne Bahn oder ein Bus. Da sitzte trocken und warm und musst dich nicht mit dem Verkehrschaos abplacken. - Nicht so am Sonntag, nicht bei mir.

 An der Haltestelle steht, nächste Bahn in 32 Minuten! Ohweia. Da wollte ich aber schon längst dort sein! Ich schnappe mir den einzigen E-Roller, QR-Code ans Handy und los. Normal muss man den Dingern irgendwie immer einen kleinen Schubs geben, bis der elektronische Gashebel „anspringt“. Probiere ich zwei-, dreimal. Klappt nicht. „Der ist hinten blockiert! Siehste det nich?“ schnauzt mich von der Haltestelle her ein dürrer Vollbart mit Zahnlücke an. „Da kannste lange schieben!“ - „Ach ja?“ frage ich. „Und warum bist du so aggressiv?“ „Ick bin sonntachs imma aggressiv!“ motzt die Zahnlücke zurück. „Na, dann behalt' das mal bei dir! Ick hab dir ja nischt jetan.“ kriege ich überraschend entspannt lächelnd hin, ohne mich des Herren schlechter Laune anzunehmen, was ich normalerweise umgehend getan hätte. Ratzfatz biste depri und die ganze Welt ist schlecht! Heute nicht. Wundere mich kurz über mich selber und steige um auf Carsharing. Das klappt dann unbesehen. Ist ja auch nicht mehr selbstverständlich.

Die Freundin jedenfalls sitzt am einzigen, freien Zweiertischlein in einem brechend vollen Etablissement. Da ist so ein Radau, dass sie meine Sprachnachricht ob der kleinen Verspätung nicht hatte anhören können. Mit zitternder Unterlippe fragt sie mit mir unisono, ob wir nicht lieber woanders hingehen wollen. Ein einfacher Bäcker mit Kaffee, Brötchen und Rührei, das würde uns doch reichen. Sie ist sichtlich erleichtert, dass ich derselben Meinung bin. Und wir wollen ja auch ein bisschen plaudern, was bei dem Krach hier tatsächlich nur schwer möglich wäre. Es sei denn, man kann Lippenlesen.

Wir finden den Bäcker. Das Rührei wurde vergessen, stattdessen ein Käseteller serviert. Brötchen zum Aussuchen gab es nur noch zwei, also eins für sie und eines für mich, super Auswahl. „Und Sie, nehmen Sie noch einen Kaffee dazu?“ fragt mich die Bäckerin. „Na, da ist doch einer dabei bei dem kleinen Frühstück!“

„Typisch Berlin.“ sagt die Freundin, die vor ein paar Jahren aus dem Umland zuzog. Hat'se Recht, denk ich. Und es stört mich gar nicht. Auch nicht, dass die einzigen zwei Mitgäste in dem Lädchen so laut rumtönen, dass wir kaum unser eigenes Wort verstehen. „Macht nüscht!“ sag' ich grinsend. „Dann könn'se wenigstens och nich hörn, worüber wir so reden!“ Und wir reden über schweres Zeug. Wir reden Tacheles. Woher der Mist kommt, mit dem wir uns da gesundheitlich so rum plagen und warum sie - wie auch ich - schon lange nicht mehr „richtig“ arbeiten kann.

Wir reden aber auch darüber, was wir damit machen. Dass wir malen und schreiben und Silberschmuck kreieren, ich Ringe und Armreifen, sie wunderschöne Ohrhänger. Und dass wir uns jetzt nicht mehr einschüchtern lassen. Jetzt nicht mehr! Jetzt machen wir, was Spaß macht. Ist eh viel zu kurz diese Reise und viel zu grau diese Stadt!

Auf dem Heimweg nieselt es, wie schon seit Tagen und Wochen. Ist jetzt unser neues Winterwetter. Ich spaziere noch ein Stück unter der U-Bahn lang und freu mich, dass ich eine Freundin habe. Und ein Zuhause und einen vollen Kühlschrank. Mir doch egal, wie laut die Straße da ist. - Berlin, ick mag dir doch. Wenn det Yuppierestorang voll is, jehste um de Ecke zum nächsten Bäcker. Det kannste Sonntachs uff keen' Dorf nich!


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