Der Maskenmann III

Rache. Wofür?
Ein Sonntagmorgen kann schön sein. Auch im Herbst. An diesem Oktobertag des Jahres 2012 ist es aber so richtig ungemütlich. Zwar hat sich der starke Regen des Vortages etwas verzogen, aber es ist kalt, in der Nacht waren es keine 5 Grad mehr. Und immer noch ist es trübe. In den Morgenstunden, es ist kaum 7 Uhr, klopft es an der Tür. Die Bewohner des Hauses in Wendisch-Rietz sind bass erstaunt, was sie nun zu sehen und zu hören bekommen. Der Mann in Jogginghose und Sweatshirt, der vor ihnen steht, bittet um Hilfe. Entführt und auf eine Insel im nahen See verschleppt, habe er sich befreien können und sei nun auf der Flucht vor seinem Peiniger. Stante pede ruft man die Polizei. Die trifft ein. Im Gefolge ein Notarzt.

Der untersucht Stefan T. und stellt ob der Angaben des Patienten zum Umstand seiner Lage etwas erstaunt weder Unterkühlung noch sonstige Verletzungen fest. Anstatt Stefan T. rechtsmedizinisch zu untersuchen, was der Notarzt empfiehlt, suchen die Ermittler wenige Stunden nach der Selbstbefreiung mit dem Opfer auf dem Storkower See den Verbringungsort der Entführung. Umso mehr wirft sich das Opfer, Stefan T., nun in Pose und verkündet: „Ich bin der Held an diesem Wochenende.“ Und als solchem schenkt die Polizei ihm und seinen Angaben reichlich Aufmerksamkeit und noch mehr Vertrauen.

Die Fahndung nach dem Phantom mit der Maske läuft auf Hochtouren. Hunderte Polizisten fahnden im Großeinsatz, zu Wasser, zu Land und in der Luft, Spezialeinheiten aus mehreren Bundesländern: als Taucher und als Fährtenhundeführer, als Hubschrauberpilot und als Vernehmungsbeamter. Ein solcher nimmt die Aussage von Stefan T. zu den Umständen seiner Entführung und Verbringung auf – und zu seiner brillanten Selbstbefreiung. Dabei wird zu Protokoll gegeben: Auf der Insel, im strömenden Regen, muss die Geisel acht Briefe schreiben, eine Art Schnitzeljagd für seine Angehörigen, an deren Ende diese einen sechsstelligen Lösegeldbetrag hinterlegen sollen.

Die Briefe – wohlbehalten – kann Stefan T. dem Beamten auch gleich vorlegen. Zum Ablauf des Geschehens berichtet er weiter: Nach Beendigung der Schreibstunde wurde gefesselt. Nämlich der Stefan T. vom Maskenmann, an Knöcheln, Knien und Handgelenken mit Textilklebeband zusammengebunden. In die Ohren packt der Unhold dem Stefan Ohropax und dichtet Augen, Nase und Mund auch ab mit dem besagtem Klebeband. Am Mund wird ein Loch gepickst, ein Schlauch hindurch geschoben. So soll das Opfer nicht ersticken und nicht unnötig Durst leiden, frische Seeluft atmen können und klares Wasser aus dem Waldsee trinken. Feine Idee. Aber Held Stefan denkt gar nicht daran. Als sich der Bösewicht entfernt, zerreißt Stefan seine Fesseln, platscht ans nahe Ufer, hüpft von Wasserloch zu Wasserloch, robbt durchs Unterholz, stolpert über einen Knüppeldamm und erreicht bei Nacht und Nebel den Hof mit Müh und Not.

Dem Bericht ganz Ohr und ob der Vielzahl sachdienlicher Hinweise des bondverdächtigen Stefan ermittelt die Polizei mit Hochdruck weiter. Man ist sich sicher, dass es sich bei den Taten in Bad Saarow und in Storkow um ein und denselben Täter handelt, ähnelt sich doch vermeintlich nicht allein der modus operandi der Taten, sondern ist auch die verwendete Schusswaffe an den Tatorten die identische. Und die Beamten werden weiter fündig. Was dazu führt, dass ein gutes Jahr später, an einem Dienstag, den 17. September 2013, in der Köpenicker Bahnhofstraße, direkt vor dem Eingang des Einkaufzentrums „Forum Köpenick“, ein Spezialeinsatzkommando um 17:26 zur Tat schreitet und erfolgreich den damals 46-jährigen Mario K. in Fesseln legt.

Damit ist eine der aufwändigsten Fahndungen der brandenburgischen Polizeigeschichte vorerst beendet. Was die Soko "Imker" in zwei Jahren ermittelte, wird nun präsentiert. Aus 529 Bürgerhinweisen wurden 1.049 kriminalistische Spuren verfolgt, die man jetzt in stattlichen 26 Pappkartons mit Tausenden Blättern aus Ermittlungsakten und einem dingfest gemachten Täter vorgeführt bekommt. Der Festgenommene ist der Polizei kein Unbekannter: Mario K. ist über zwei Jahrzehnte immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und gilt bei der Polizei als einschlägig vorbestrafter Gewalttäter. Bereits im Oktober 2012 war er bei der Ermittlung zu den Taten des Maskenmannes ins Visier der Ermittler geraten, wurde vernommen, hatte kein Alibi – aber es gab auch keine Beweise gegen ihn.

Wer ist dieser Mario K.? Im Juli 1967 in Sassnitz geboren, aufgewachsen in Berlin-Marzahn, ausgebildet zum Elektriker in einem DDR-Kombinat, später Dachdecker. Er gibt an, seine Waffenkenntnisse bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) in der DDR erworben zu haben und will dort auch den Umgang mit Pistole und Kalaschnikow trainiert haben. Drei Jahre nach dem Mauerfall erstmals wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz aktenkundig, folgten Verurteilungen wegen Diebstahls und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Im Jahr 1997 stand Mario K. unter dem Vorwurf des versuchten Totschlags vor Gericht: Nach einem Kneipenstreit soll er sieben Mal auf seinen Widersacher geschossen haben. Verurteilt wurde Mario K. damals wegen illegalen Waffenbesitzes und gefährlicher Körperverletzung zu knapp vier Jahren Haft. Nach Verbüßung der letzten Haftstrafe ist er an verschiedenen Adressen in Berlin oder im Barnim gemeldet, taucht aber immer wieder im Wald unter. Unangenehm wird es oft für seine Mitbürger, wenn er dann wieder auftaucht. Seiner vietnamesischen Nachbarin verkündet er: „Wenn die Zeit reif ist, machen wir mit euch das wie mit den Juden.“ Und „er hasst die Reichen“, sagt eine frühere Bekannte über Mario K.

Das erfahren die Anwohner des Dämritzsees bei Erkner um das Jahre 2003. Dem Pittiplatsch-Puppenschauspieler Heinz Schröder klaut er das Motorboot. Er fackelt die 120.000-Euro-Motorjacht des Schauspielers Heinz Behrens ab, um Einbruchsspuren zu verwischen. Und auch die 300.000 Euro-Jacht „Nordsee“ wird ein Opfer des zündelnden „Froschmanns“, wie ihn die Schlagzeilen zu jener Zeit nennen. Das Diebesgut braucht er zum Überleben im Sumpf der Gosener Wiesen. Denn dort hat er sich einen Unterschlupf mit Tarnnetzen, Stromgenerator und Aqua-Scooter in Marke Eigenbau in den feuchten Grund gezimmert.

Was er braucht, holt er sich: Boote und Gerätschaften, Außenbordmotoren und Haushaltswaren, Satellitenempfänger und Essbares. Dabei agiert Mario K. immer hoch professionell, „spurenvermeidend“, wie die Polizei zu Protokoll geben wird. „Er kann auf Hartz-IV-Niveau gut überleben, im Notfall ernährt er sich vom Flaschensammeln. Er ist versiert darin, seine Spuren zu verwischen.“ Im Mai 2004 erwischt ihn trotzdem ein Jäger bei seinem Treiben und die Polizei stellt ihn in seinem Sumpf-Versteck…


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