Die MS Völkerfreundschaft

Luxus und Sommer – was einem bei diesen zwei Begriffen als drittes einfällt, ist: Schiff. Kreuzfahrtschiff. Luxus, Sonne, glitzerndes Wasser, Oberdeck.
„Und ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen“ wird mit mir an Bord auf Kreuzfahrt gehen na gut, nicht ganz. Ganz so alt, dass es das Schiff der Seeräuberjenny aus Brechts „Dreigroschenoper“ hätte sein können, ist die „MS Völkerfreundschaft“ nicht, zugegeben. Aber dennoch ist sie das älteste Transatlantikschiff der Welt. Und lange Zeit war sie das Vorzeigeprojekt der DDR. Auch wenn sie keine fünfzig Kanonen hatte, auch nicht, als sie die „Andrea Doria“ rammte aber alles der Reihe nach.

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Der Anfang als „Stockholm“

1946, also vor über 60 Jahren, wurde das Schiff in der Göteborger Werft Götnverken als Passagier- und Frachtschiff gebaut und auf den Namen „Stockholm“ getauft. Ihre Jungfernfahrt hatte die „Stockholm“ am 21. Februar 1948: Da schipperte sie von Göteborg nach New York und kam, anders als die „Titanic“ 36 Jahre zuvor, auch dort an. In den folgenden Jahren wurde sie einmal umgebaut und fuhr ansonsten problemfrei die Transatlantikroute, bis es in der Nacht vom 25. Juli 1956 zu einem Unglück kam.

Die „Stockholm“, gerade aus New York kommend, kollidierte im Nebel – nein, nicht mit einem Eisberg, sondern mit dem italienischen Luxusliner „Andrea Doria“. Die „Andrea Doria“ sank, die „Stockholm“ konnte zwar lädiert, aber noch seetüchtig nach New York zurückkehren – allerdings im Krebsgang, also rückwärts, da der Bug bei der Kollision beschädigt worden war.

Insgesamt starben bei dem Unglück 51 Menschen, was nicht einmal drei Prozent der Besatzung der „Andrea Doria“ ausmachte. In New York bekam die „Stockholm“ einen neuen Bug und wenig später dann auch einen neuen Besitzer und einen neuen Namen.


Die Karriere als „Völkerfreundschaft“

Am 3. Januar 1960 kaufte die DDR das Schiff, benannte es in „MS Völkerfreundschaft“ um und machte das erste wirklich internationale DDR-Kreuzfahrtschiff draus.

Wer in den VEB fleißig gewesen war, dem wurde als Auszeichnung für seine Leistungen eine Kreuzfahrt auf der „Völkerfreundschaft“ spendiert. Da kamen sie dann raus aus der piefigen Ostzone, die DDRler, da durften sie dann die große weite Welt sehen – und die große weite Welt durfte auch das Schiff sehen.

Denn die „MS Völkerfreundschaft“ war natürlich nicht nur als schöner Luxus für die eigenen Arbeiter gedacht, sondern auch als Vorzeige- und Propagandaschiff: Es sollte den Sozialismus nach außen präsentieren, das narzisstische Ego der DDR streicheln helfen, der Welt einen scheinbar hohen Lebensstandard vorgaukeln.

Dies klappte zunächst ganz gut – „den Sozialismus der ‚Völkerfreundschaft wollte jeder haben“, wie sich eine Dokumentation erinnert –, doch nach dem Mauerbau 1961 passierte es immer häufiger, dass Passagiere zwar mit der „Völkerfreundschaft“ ausliefen, aber nicht wieder zurückkamen – sie waren im freien Ausland einfach abgesprungen und nicht mehr an Bord zurückgegangen. Hatten die Kreuzfahrt zum Abhauen genutzt.

Was will man da machen, wenn die Republikflucht in fremden Häfen stattfindet, in denen man doch eigentlich mit seinem schicken Schiff protzen wollte? Soll man Vopos mitnehmen und die in Spanien oder Portugal den Flüchtlingen hinterherschicken? Peinlich, peinlich.

„Die ‚Völkerfreundschaft versinnbildlichte eine Art Nachbildung vom Traum der DDR im Kleinen: Sie war eine Insel, von der nicht wirklich zu entkommen war.“ Nur dass das so war, durfte keiner merken. Ein ehemaliger Steward erinnert sich, dass man an den internationalen Häfen alle Schiffe von innen besichtigen durfte – nur die „Völkerfreundschaft“ nicht. Wenn die irgendwo vor Anker lag, dann durfte ein Besucher nur rein, wenn ihn ein Mitglied der Besatzung begleitete.

Das Risiko, dass die Besucher merkten, dass der Luxus nur Fake war, war der „Völkerfreundschaft“ zu groß. Die Leichen im eigenen Keller wollte man dann doch nicht so öffentlich zeigen, und da das Deckmäntelchen des schönen, freien, weltoffenen Scheins durch die Flüchtlinge zu reißen drohte, begann die „Völkerfreundschaft“, sich auf die sozialistischen Gewässer zu beschränken, schipperte zwischen Murmansk und Kuba herum statt wie vorher in der Adria und dem Mittelmeer und machte zunehmend auf Seniorenausflugsdampfer – Senioren meutern weniger und gefährden somit das mühsam fabrizierte Image nicht so sehr.


Die Menopause als „Volker“ und „Fridtjof Nansen“

1985 wurde die „Völkerfreundschaft“ nach Panama verkauft und des sozialistisch-bombastischen Namens entledigt. Fortan hieß sie ein Jahr lang „Volker“, und dann, zum 40. Geburtstag 1986, ging sie nach Norwegen, wurde im Oslofjord vertäut und nach dem norwegischen Forscher „Fridtjof Nansen“ benannt.

In Oslo und dann auch in Southampton stand sie dann drei Jahre still und diente als Wohnschiff für Asylbewerber. Das ist doch mal was echt Soziales, oder nicht? Vielleicht muss man erst eine schillernde Karriere als Vorzeigeschiff des real existierenden Sozialismus hingelegt haben, bevor man dem Wort „sozial“ auf die Spur kommt und dann demütig und unbemerkt, stationiert im schmutzigen Southampton, wirklich nützlich sein kann für die sozial Unterprivilegierten.


Die Revitalisierung als „Surriento“, „Italia Prima“ und „Athena“

Doch das Hafendümpeln als „Fridtjof Nansen“ war noch lange nicht das Lebensende der ehemaligen „MS Völkerfreundschaft“. 1989 ging sie nach Genua über, wurde wieder einmal generalüberholt und umgebaut und in „Surriento“ umbenannt. Pavarottifans kennen das Wort vielleicht von dessen Lied „Torna A Surriento“ („Ritorna Sorrento“, also „zurück nach Sorrent“). Ein schmelzender, klangvoller Name, der wieder Lust macht auf Mittelmeer, Adria, Luxus, Sonne, Oberdeck.

1992 wurde unser Schifflein komplett umgebaut zu einem modernen Kreuzfahrtschiff – an die alte „Stockholm“ erinnert inzwischen kaum mehr was, aber so ist das doch auch bei alten, komplett neugelifteten Damen der High Society 1995 bis 2005 heißt die „Surriento“ dann „Italia Prima“, und seit 2005 ist sie als „Athena“ unterwegs, inzwischen in griechischen Händen und für diverse Veranstalter, u.a. auch schon für Neckermann und Vivamare.

Inzwischen wohl auch mit Passagieren an Bord, die jünger sind als das Schiff selbst – und mit 64 Jahren, mit einer wilden Jugend als Transatlantikschiff, einer spannungsreichen Zeit als DDRPrestigeobjekt und einer engagierten Lebensphase als Asylantenheim darf man sich den Sündenfall, im Alter für Neckermann auszulaufen, auch leisten.


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