Neues vom Dieter

Im Eigentlichen ist Dieter ein ordentlicher Mensch. Und daher mag er eindeutige Verhältnisse. Bunte Plastikanhänger an seinem Schlüsselbund, beispielsweise, verschaffen ihm Orientierung. Grüne, gelbe und blaue Schlüsselschildchen leiten ihn durch seinen Keller, weisen dem „Meister“ den Weg zum „Spezialbehandlungsraum für Sklavin“, wahlweise auch zum „Todestrakt“. Hier unter der Erde streckt sich der kleine Mann gewaltig in die Höhe, schreitet seine Welt zwischen Gummipuppen, Folterzangen, Ketten und gynäkologischem Stuhl ab. Er, der Meister.

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(Fortsetzung Rahnsdorf Ripper, Ausgabe 73)

„Vermisst wird die 34-jährige Sylke R. aus Treptow. Die 1,63 Meter große schlanke Frau war zuletzt am 14.Februar gesehen worden, als sie einen Bekannten im Bezirk Mitte besuchte. Gegen 17:50 verließ sie dessen Wohnung in der Kieler Straße, um zu ihren Eltern nach Treptow zu fahren. Dort kam sie jedoch nie an.“

Es ist kurz vor 19 Uhr an diesem Wintertag des Jahres 1999. Vom S-Bahnhof Altglienicke hat es Sylke nicht mehr weit bis zum Haus ihrer Eltern. Die Laternen werfen nur ein fahles Licht. Was macht das schon? Hier geht man schließlich durch die Paradiesstraße. An einen Beleuchtungsmast leint ein Mann seinen Schäferhund fest. Für Sylke endet dort der Weg.

Alles ging sehr schnell. Das Messer schnitt bereits in die Halshaut, da hatte Sylke den heranhüpfenden, bärtigen Wicht, der kein Stück länger als sie selbst ist, kaum bemerkt. Entsetzen, Lähmung setzt ein, der Schock erstarrt ihre Glieder. Der Meister weiß, die Sklavin war zur Abholung bereit. Geknebelt und in Schnüren verpackt schleppt er die junge Frau zu seinem VW Passat. Ihm zu Seiten der Deutsche Schäferhund.
Es ist die Lindenstraße, wo die Fahrt endet. Grund-stück Nr. 7, Berlin-Kaulsdorf. Eine beschauliche Gegend. Solide Leute. Einfamilienhaus, Garage, Hecke – hier wie dort. Alles aufgeräumt. Gutes Pflaster vor den Gartentoren. Kein gutes Pflaster für die junge Frau im VW Passat. Gleich geht es für sie über die Kellertreppe hinunter, ab in Dieters Welt.

Dieser bizarre Kosmos der Abscheulichkeiten wird Sylke dort unten nun vom Meister persönlich erklärt. Zuerst lässt er sich Name und Adresse der neuen Praktikantin, auch die Anschriften ihrer Angehörigen geben. Ordnung muss sein. Bevor er ihr die Instrumente zeigt, referiert der Meister ihr zur Feier die Regeln des künftigen Zusammenlebens. Das ist wichtig, denn der Meister habe Großes vor mit ihr: Er wird sie ausbilden. Die Weihen einmal empfangen, werde sie alsdann verkauft, erklärt er ihr. Das geschehe nicht irgendwie, sondern auf dem großen Basar der Traumfrauen. Eine universale Organisation stehe für solcherlei Machenschaft zuverlässig hinter ihm, dem Meister.

Den Organisationsgrad des meisterlichen Imperiums weisen unter anderem Lehrtexte und Protokolle aus. Sylke muss diese lesen, wesentliche Passagen hat sie auswendig zu lernen. Dann fragt sie der Meister ab. Und ihr Tagebuch wird er lesen. Ein solches muss sie nämlich führen. Den Grad ihrer Liebe zu ihm, dem Meister, wird er dann regelmäßig prüfen.

Das Martyrium der Frau ist nicht zu messen. Unter der Erde drei Räume, Sicherheitsverschluss an jedem, hinter den Türen ein paar Lagerstätten, Waschbecken, WC. Der Irre bringt es fertig, Sylke R. in der Siedlung auszuführen. Begegnen ihnen Nachbarn dabei, wird anständig gegrüßt. Dieter hat eine neue Freundin.

Dieter hat auch Eltern. Mit denen lebt er zusammen in eben jenem Haus am östlichen Stadtrand von Berlin. Schon damals, als er noch im Rahnsdorfer Forst seinen Neigungen nachging, waren Mama und Papa dem Dieter gute Eltern. Mama war schließlich Lehrerin und hat immer versucht, den Dieter „mit einer Frau zusammenzubringen“. Immerhin ist Dieter selbst einst Vater eines Kindes geworden, wenn auch die Beziehung zur Kindsmutter in die Brüche ging.
Denn wie jeder halbwegs normale junge Mann erledigte Dieter das mit der Beziehungsaufnahme doch lieber selbst und nach eigener Fasson. Und wo es dennoch einmal hakte, hat ihm der Papa wohl ein wenig zu Seite gestanden, zumindest als Dieter, aus DDR-Knast und Psychiatrie entlassen, Hausumbauten in Kaulsdorf vorzunehmen gedachte.

Als der Papa dann Mitte der 1990er verstarb, sprang nun der Dieter in die familiäre Bresche und lebte mit der Mutter für eine gute Weile „wie ein Ehepaar“ zusammen. Als die alte Frau eines Tages ins Koma fiel und ins Krankenhaus kam, war Dieter nunmehr mit sich und seiner meisterlichen Welt allein.

Ob sich in all diesen Jahren für den Dieter nichts anderes gefunden hatte als ein heimeliges Familienleben bei Mama und Papa? Wir wissen es nicht. Leider wissen das die Ermittlungsbehörden auch nicht. Die wussten von Dieter ein gutes Jahrzehnt lang eben rein gar nichts mehr. Bis der Dieter am 30. März 1999 an einem großen Betonmischer klebte. Dorthin hatte er seinen VW Passat gelenkt. Denn irgendwie kam der Meister in seiner ganzen Herrlichkeit mit dem üblen Leben oberhalb der Erde nicht mehr zurecht. Daher wollte er dieser Misere ein Ende setzen und sich in andere Sphären verabschieden.

„Es besteht die Vermutung, dass es sich bei dem Unfall um einen Selbstmordversuch gehandelt hat“, weiß damals schon ein Staatsanwalt. Richtig! Doch bevor sich der kleine Meister Dieter aus dem Staub bzw. aus dem von ihm angerichteten Mist machen konnte, holten ihn die Ärzte des Unfallkrankenhauses in Marzahn ins Diesseits zurück. Und diesseits seines Krankenlagers standen bald die Herren von der Kripo und ließen die Achten klicken.

Wobei sich noch einmal unser Deutscher Schäferhund des Dieter H. ins Bild schleicht, denn der musste schließlich mal wieder Gassi gehen, auch nach Meisterchen Fluchtversuch. Das ahnte nun wiederrum auch Dieters Schwester. Die kam ins Haus von Meister Dieter und war im Mindesten bar baff, als sie nicht nur den Köter im trauten Heim des Bruders fand, sondern, durch Hilferufe aus dem Keller alarmiert, dort am 2. April 1999 auch eine junge Frau entdeckte: Sylke R.„So etwas habe ich noch nicht gesehen“, gab der damalige Chef der 3. Mordkommission Berlin zu Protokoll. Eingesperrt in einem sechs Quadratmeter winzigen Verließ, ohne Fenster, mit schalldicht isolierten Wänden, wurde Sylke R. unbeschreibliche 47 Tage und Nächte gefangen gehalten, gefoltert, vergewaltigt, gedemütigt.

Behandelt man so seine Traumfrau? Dieter schon. Denn schließlich habe er sich mit seiner Traumfrau eine Beziehung erhofft. Und Sylke R. entsprach eben seinem Bild einer Traumfrau. Und was war schon dabei, meint Dieter. "Wir haben ein paar Spielchen getrieben, aber gequält habe ich sie nicht." So und nicht anders, kurz und knapp berichtete der Dieter die Angelegenheit dem Gericht.

Im Oktober 1999 wurde er diesem vorgestellt. Der Prozess dauerte nur einen Verhandlungstag, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Und weil Dieter – wie vormals in der DDR, als er noch „der Schrecken von Rahnsdorf war“ – brav sein Geständnis ablegte, blieb seinem diesmaligen Opfer jede persönliche Aussage vor Gericht erspart.

In den Gerichtssaal kam der Dieter gerollt, im Krankenstuhl auf Rädern: Nun war es der Meister höchst selbst, der festgezurrt mit Gurten um Hüften und Bauch der Dinge harrte, die ihm geschahen. Die Hände hielt er dabei unter einer Decke auf seinem Schoß verborgen. Diese Hände waren jetzt behandschellt und bandagiert. Bandagiert, weil der Dieter wieder versucht hatte, das Weite zu suchen und mittels Plusaderschnitt sein Leben zu enden.

Das Gericht hörte dem Meister genau zu und sah es als erwiesen an, dass die Traumfrau im Keller für ihn zu einem Albtraum wurde. Weil er nun keinen Ausweg mehr gesehen und die Frau nicht töten hatte wollen, habe er selbst mehrfach Hand an sich gelegt. Die noble Geste honorierte die Kammer mit einer Verurteilung zu zehn Jahren Haft und einer Einweisung in die geschlossene Abteilung des Krankenhauses Buch. Das war vor 15 Jahren. Ende?

 


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