Was war das nur für ein Geschrei, mit welchem nach 1990 die Bausünden der DDR angeprangert und auf ihren Abriss eingestimmt wurden? Prominentestes Beispiel – der Palast der Republik. Nach einer jahrelangen dünkelhaften Gesinnungsdebatte, ließ man ihn für eine Millardensumme vom Asbest befreien und schließlich rückstandslos entsorgen. Seither harrt eine öde Freifläche auf die sinnstiftende Errichtung einer freiheitlich-demokratischen Schlossatrappe.
Politisch unverdächtiger und architektonisch interessanter war das 'Ahornblatt' auf der Fischerinsel. An Stelle dieses markanten Gebäudes findet sich heute ein trostloses Exemplar des Berliner Würfels. Architektur ist eine subtile Angelegenheit und hat zu allererst mit Verantwortung zu tun, geht es doch zumeist um mehr als das bloße Dach über dem Kopf. Wenn schon nicht für die Ewigkeit, so baut man auch in der Gegenwart für sehr, sehr lange und weil man Architektur betrachten – ja lesen – kann, wird sie noch in ferner Zukunft bereitwillig Auskunft geben über Geisteshaltung und ästhetisches Empfinden von Bauherren und Architekten.
Berlin ist eine geschundene Stadt. Die Narben von Krieg und Teilung sind noch allenthalben sichtbar. Manches ist gut verheilt. All zu oft jedoch haben Investoren, Stadtplaner und Architekten neue Wunden hinzugefügt. An beinahe jeder Ecke finden sich Beton gewordene Selbstdarstellungen bräsiger Ignoranz und provinzieller Großkotzigkeit, die sich zumeist durch eine als 'Moderne' fehlverstandene, Einfallslosigkeit auszeichnen. Anforderungen an architektonische Gestaltung, Denkmalschutz, Stadtplanung und urbane Lebensqualität finden schnell ihre Grenzen, sobald sie kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen von Investoren und Kommunen entgegen stehen.
Zweifel an Kompetenz und Standvermögen unserer Volksvertreter sind deshalb auch bei der anhaltenden „Stadtverdichtung“ geboten.Auf Drängen von Politik und Immobilienwirtschaft werden attraktive Wohnviertel zu hochpreisigen „Cityquartieren“ 'weiterentwickelt'. Die Zerstörung der gewachsenen sozialen Struktur zugunsten einer solventen Monokultur nimmt man dabei dankend in Kauf. Steigende Immobilienpreise und hohe Lebensqualität machen zunehmend auch die ruhigen Außenbezirke für Großinvestitionen attraktiv. Friedrichshagen, der beschauliche Stadtteil am Müggelsee, avancierte längt zu einer der teuersten und gefragtesten Adressen Berlins. Umgeben von Wald und Wasser findet sich hier ein historisches Ensemble mit weit über einhundert Baudenkmälern. Raum für Neues ist begrenzt. Das Denkmalschutzgesetz Berlins verlangt zudem ein: „Hinwirken auf die Berücksichtigung von Denkmalen bei der städtebaulichen Entwicklung". Aufgrund der hohen Anzahl und der räumlichen Nähe der Baudenkmäler zueinander sind die Bedingungen für eine jegliche Neubebauung in Friedrichshagen auch dementsprechend stark reglementiert und unterliegen strengen Denkmalschutzbestimmungen. Die praktische Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben lässt sich demnächst in der Scharnweberstraße 40 bestaunen. Das Architekturbüro Kaden und Klingbeil nutzt derzeit seine Chance, dem Vorstadt-Idyll ein eigenes Brandzeichen aufzudrücken. Unter grober Missachtung des städtebaulichen Denkmalschutzes entsteht ein Wohnkomplex, der sich weder von der Fassadenstruktur, noch vom Grundriss her den bindenden Denkmalbestimmungen unterwirft. Notgelandeten, überdimensionierten Umzugskartons gleich, wird das Konglomerat aus Quadern künftig seine Umgebung dominieren. Ohne Rücksicht auf die örtlichen Gegebenheiten hinterlassen die Architekten damit eine wuchtige Variation ihres andernorts erprobten würfelbasierten Lückenfüllers. In prahlerischer Selbstgewissheit manifestiert sich darin eine Gesinnung, die absichtsvoll und rücksichtslos einen ästhetischen Bruch mit dem friedfertigen historischen Umfeld provoziert. P.S.: Laut Aussage der zuständigen Amtsleitung verlief bei der Genehmigung des Projektes alles „rechtlich korrekt“.