Fest der Liebe

Bei meiner Frau zu Hause wird Weihnachten in sympathischer Weise ignoriert
alf_xmas
Normalerweise ist Weihnachten für mich eine phantastische Zeit. Dieser Satz trägt unterschwellig schon die Andeutung in sich, dass es diesmal nicht so ist, oder? Doch erstmal will ich erläutern, warum es sonst so toll ist: wegen meiner Frau. Wo sie geboren wurde, ist der November der schönste Monat. Die Regenzeit ist gerade vorbei, alles sprießt und blüht. Die Reisfelder zeigen sich in sattem Grün, es ist weder zu heiß noch zu kalt.
Nun werfen wir doch mal einen Blick vor unsere Haustür zu dieser Zeit. Na? Was fällt uns da auf? Genau. Und darum beginnt sie auch mit schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr im November, Deutschland zu hassen. Spätestens im Dezember sind dann die Flüge gebucht, und ich kann dem ganzen Wahnsinn hier entfliehen. Bei ihr zu Hause wird Weihnachten in sympathischer Weise ignoriert und alles ist in Butter. Hätte ich meine Frau nicht oder wäre nicht eben diese Frau meine Frau, wäre ich wahrscheinlich genauso angeschissen wie jeder andere hier. Manchmal kann es natürlich passieren, dass ich im Dezember gar keine Zeit habe, wegzufliegen. Dann ist es aber fast noch genialer, denn da keiner meiner Verwandten in Berlin wohnt, muss ich nur noch die Zudringlichkeiten besorgter Freunde abwehren. Und das geht ganz einfach, indem ich behaupte, ich besuche meine Verwandten. Haha! Und dann ist meine Bude aber so was von sturmfrei, ein Traum! Oh Mann, wie ich es liebe, gerade über die Feiertage allein in meiner Wohnung zu hocken, ungestört am Klavier zu klimpern, ein wenig zu malen, Texte zu verfassen. Es ist wirklich die schönste Zeit des Jahres.
Kiek mal, der hat ja niemandem hier was geschenkt! Ja, ist der denn völlig wahnsinnig?
Doch diesmal ist alles anders. Irgendjemand hat meiner Frau eingeredet, dass sie ihren Mann zum Fest der Liebe doch nicht so ganz allein in Deutschland zurücklassen darf. Und so entschloss sie sich, dieses Jahr die Kälte zu ertragen, um zusammen mit unserem Sohn und mir Weihnachten in Deutschland zu erleben. Im Prinzip hätte auch das mit etwas Geschick noch gutgehen können, schließlich bin ich es, der ihnen erzählen muss, was Weihnachten so abgeht. Und ich könnte ja ganz clever verschweigen, dass es hier immer um Weihnachtsmänner, Tannenbäume und Geschenke geht. Ich könnte ihnen vorlügen, es sei ein Fest der Besinnung, wo Vater, Mutter und Kind sich einfach zu Hause gemütlich aneinanderkuscheln und bei Kerzenschein Geschichten erzählen. Aber nein! Als meine Mutter erfährt, dass wir alle drei dieses Jahr zu Weihnachten in Deutschland weilen, belegt sie uns mit dem Fluch, auch noch ein Auto mieten zu müssen, um ein Teil des Staus auf der Autobahn nach Schwerin zu werden. Zu allem Übel kommt noch, dass meine Schwester uns auch gern bei sich gehabt hätte. Doch die wohnt im Harz. Und jetzt ist sie sauer auf meine Mutter, weil sie schneller war. Und sauer auf mich, weil ich zu faul bin, am 24. in den Harz und am 26. weiter nach Schwerin zu hetzen. Und dann der Heiligabend! Ich sehe es schon vor mir: "Ach, mein armer kleiner Enkel! Hat dein böser Vater dir gar nichts geschenkt? Kiek mal, der hat ja niemandem hier was geschenkt! Ja, ist der denn völlig wahnsinnig?“  

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