Feste Feiern – Nachruf auf das Stadtteilfest

Berlin feiert gern und das auffällig und ausgiebig. So ist das auch in Oberschöneweide. Allerdings weniger auffällig, ausgiebig dafür der Alkoholkonsum: Einmal im Jahr lädt der Ort offiziell zum Feiern. Anfang September findet in Schöneweide mit beständiger Beharrlichkeit das Stadtteilfest statt.
Seine Wurzeln hat diese beliebte Kiezsause im noch sozialistisch verordneten und von Einheitspartei und -gewerkschaft organisierten Wohngebietsfest. Wer sich von den Alten noch erinnert, der weiß: Damals, als noch was los war in Oberschöneweide, damals, als die Schornsteine noch geraucht haben. Alles drehte sich rund um den Griechischen Park. Man ging aus dem Haus und traf alle, Freunde, Verwandte, Lehrer und Mitschüler, Kollegen und Vorgesetzte. Es gab Rad- und Rollerrennen, Ponyreiten, Zuckerwatte, Kaffee und Kuchen, Bockwurst, Bier, Bastelbuden, Tanz mit Livemusik von Format, einen Tag der offenen Tür im VP-Revier 242 (einen Tag für rein und raus, sonst kam man ja nur rein!), sogar einen Festumzug. Damals in den Siebzigern und Achtzigern. Was dann kam, steht halbverdaut in den Geschichtsbüchern. Auf Wende und Einheit folgte Kommerz und Arbeitslosigkeit, das Fest wurde zum Rummel mit Dauerlutscher und Mickey- Mouse-Karussell. Viele zogen weg von hier. Wer wie ich blieb (mein Problem hatte sich mit dem Fall der Mauer und dem der alten Eliten erledigt), wollte einfach noch ne Extra-Runde drehen auf dem Karussell, leider hatten in den frühen Neunzigern nur die Drüben die gute alte D- Mark in der Hand und in der Tasche. Mit schwindender Kaufkraft und steigenden Stand- und Ladenmieten verschwand neben der schmucken Bummelmeile Wilhelminenhofstraße auch das Wohngebietsfest langsam aber sicher. Seit den späten neunziger Jahren hat sich der Bezirk wieder der Sache angenommen und versucht, an die alte Tradition anzuknüpfen. Gelder wurden zur Verfügung gestellt, doch die Beliebtheit der einstigen Feierlichkeiten wurde nicht mehr erreicht. Der Native verließ seine Höhle nicht mehr, um auf Stelzen zu laufen und mit bunter Kreide auf den Gehweg zu malen. Schöneweide ist nicht der Prenzlauer Berg. Einige wenige Enthusiasten kämpften weiter um den Erhalt der Tradition. Leider waren sich die Protagonisten oft sehr uneins: Kommerz oder Tiefgang - ein jeder hatte die richtige Lösung parat. Auch ich mühte mich zu dieser Zeit - mit kurzweiligem Erfolg ohne bleibendes Ergebnis. Das Stadteilfest wechselte oft den Standort und wird derzeit am für Feierlichkeiten angelegten Kranbahnpark begangen. Und: Es hat Konkurrenz bekommen: den Sozialtag, das Fest für Demokratie und Toleranz, das Fest der Begegnung, die Fète de la Musique und den Drachenbootcup und last but not least: die Kunst am Spreeknie. Hinter jedem dieser Feste stecken trotz verhaltener Resonanz viel Arbeit und Engagement, laufen Kosten auf, die sich bei der geringen Nachfrage nicht amortisieren. Leicht hingegen die Arbeit des Kritikers. Ich blicke hinter die Kulissen, treffe mich mit einem, der um die Umstände in dieser Branche weiß. Lutz Längert ist Mitte 50, Kunsthistoriker, hat viele Freunde unter den alten Schöneweidern. 2007 kam er beruflich in den Kiez, leitete das Kiezbüro, gebar die Kunst am Spreeknie, ist mitverantwortlich für den Industriesalon. Seitdem die öffentlichen Gelder stagnieren oder ganz fehlen, arbeitet er auf Honorar, also von der Hand in den Mund und ehrenamtlich, strickt ein Netzwerk für Künstler um und in Schöneweide. Vorort Termin. Ich treffe Längert an dem Ort seines Schaffens. Einer langen Suche nach gebrühtem Kaffee im geschlossenen Schöneweide der Semesterferien folgt ein verlängerter Espresso beim Bäcker am Rathenauplatz. Längert wirkt müde, hat die Großveranstaltung hinter sich, einen Computerabsturz, einen Trauerfall in der Familie, aber keine Zeit zum trauern. Für mich nimmt er sich eine Stunde. Längert arbeitet nicht mit Pathos, sondern sachlich und mit dem Ziel, zur Vollendung zu führen, was er einst begann. Aus einem lockeren Geplauder heraus beantwortet er meine Fragen. HC: Lutz, Schöneweide hat mit dem Stadtteilfest ein festes Datum zum Feiern, warum die anderen Feste, warum die Kunst am Spreeknie? LL: Das sind zwei Paar Schuhe, das Stadtteilfest richtet sich vorrangig an die Einwohner, unsere Veranstaltung hat überregionalen Bezug. HC: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist ähnlich gering... LL: Das mag stimmen, wir hatten dieses Jahr weniger, aber dafür fachspezifischeres Publikum. Einige der beteiligten Künstler kamen zu Abschlüssen, wichtige Galeristen waren da, mit denen wir in Zukunft zusammen arbeiten können. HC: Es gibt viele Künstler in und um Schöneweide, dazu kommen durch die HTW viele junge Leute und Studenten. Warum kommen die nicht zum Stadtteilfest oder zu den anderen Veranstaltungen, jedenfalls nicht in dem Maße, wie es für ein Fest notwendig ist, das sich selber tragen muss? LL: Schöneweide wird dem Kultur- und Bildungsbedarf nicht gerecht. Die Leute erwarten gar nicht, das ihnen der Ort etwas bieten könnte, sie fahren gleich in die Stadt. HC: Was sollte das Stadtteilfest dem Besucher bieten? LL: Mehr Flair. Berlin entwickelt sich. Man sollte das hier auch spüren können. Es fehlt an Kreativität, gezielter Werbung und geeigneten Mitveranstaltern. Die Akteure geben sich als äußerst beratungsresistent und alle, die sich beteiligen, wollen jede investierte Mark mit Rendite zurück. HC: Was hat man vom diesjährigen Stadtteilfest zu erwarten? LL: Nicht viel mehr als in den letzten Jahren, glaube ich. Dazu kommt noch, dass man dem Veranstalter die Mittel um 75% gekürzt hat. HC: Dein ultimativer Lösungsvorschlag? LL: Weitermachen, sich öffnen und ein Netzwerk gründen, um die Lasten zu verteilen. Neue Ideen zulassen und danach streben, dass dieses Fest eine unabhängige Finanzierung bekommt. HC: Lutz, mir war es schon ein Fest, mit Dir zu plaudern. Ich werde, wie in den letzten Jahren, wieder zu den Besuchern zählen. Auch wenn mich das Programm nicht umhaut, so werde ich doch viele Freunde und Bekannte dort treffen. Zu 100%, das ist schon mal klar. Zum Redaktionsschluss erreicht uns folgende Meldung des Veranstalters: Das für den 08.09. geplante 12. Stadtteilfest in Schöneweide fand nicht statt! „Der Veranstalter (Sylvester e.V. Berlin) sieht sich außer Stande das Fest ohne eine gesicherte Finanzierung durch zu führen. Bis 2008 war das Fest aus Mitteln des Quartiersfonds finanziert worden, 2009 und 2010 aus Eigenmitteln des Vereins und zuletzt im Jahr 2011 aus Mitteln des Lokalen Aktionsplans Schöneweide (ca. 13000,-€). Der Verein bedankt sich bei allen Partnern und Freunden die langjährige Zusammenarbeit.“ Marek Bauer

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