Bitte etwas mehr Fingerspitzengefühl, Frau Vogel

Ein Brief an die CDU-Vorsitzende von Treptow-Köpenick

vogel
Foto: Matthias Vorbau

Liebe Frau Vogel,

nach den Demos in Altglienicke melde auch ich mich bei Ihnen. Klar ist es ungewöhnlich, an dieser Stelle einen Brief an Sie zu schreiben. Aber ich bin ein Bürger, der Sorgen und Ängste hat, und die möchte ich gerne mit Ihnen teilen. Ich befürchte nämlich, bald in einem zunehmend unmenschlichen Land zu leben.
Wir hatten ja darüber gesprochen, es geht darum, dass Sie die Demos einer Altglienicker Bürgerinitiative unterstützen, und die richten sich gegen den Bau eines auf drei Jahre befristeten Flüchtlingsheims – ein Tempohome.

Sie als Vorsitzende der CDU Treptow-Köpenick und Kandidatin für das Abgeordnetenhaus bei den Wahlen im September haben für ihr Engagement viel Kritik geerntet. Dabei werden Sie ohne Zweifel die besten Absichten gehabt haben. Dennoch, Frau Vogel, bin ich irritiert. Ich halte Sie – um das klarzustellen – für keine Rechte, werde  Sie auch nicht in die rechte Ecke stellen. Sie haben mir und anderen Journalisten gesagt, es gehe Ihnen nur um das eine Problem:  Sie möchten sich für die Altglienicker einsetzen, weil 60 Prozent der Flüchtlinge Treptow-Köpenicks derzeit in drei von 15 Ortsteilen untergebracht seien, und die meisten davon in Altglienicke.

Sie befürchten eine Konzentration von Asylbewerbern, da  an der Ecke Bahnweg und Molchstraße das Tempohome entstehen soll. Die Degewo will noch in diesem Jahr an der Schönefelder Chaussee den Grundstein legen für eine  Anlage mit 166 Wohnungen, die sich Flüchtlinge und Berliner mit geringem Einkommen teilen sollen. 250 Flüchtlinge, 250 Berliner. Und die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land hat den Vertrag unterschrieben für 410 weitere Wohnungen, die gleich um die Ecke, ebenfalls an der Schönefelder Chaussee entstehen sollen. 100 davon hätten ein Preisniveau, das für Flüchtlinge geeignet ist.

Von insgesamt 1.250 Asylsuchenden ist die Rede, so viele an diesem Ort würde den sozialen Frieden stören, sagen Sie. Und Sie möchten sich Ihren Kiez nicht kaputt machen lassen. In einer Presseerklärung der CDU Treptow-Köpenick haben Sie das schon am 2. März 2016 gesagt: „Diese Standorte befinden sich in einem Radius von einem Kilometer, mitten in einem Siedlungsgebiet und direkt angrenzend an das Kosmosviertel, welches der soziale Brennpunkt Altglienickes ist. Eine derartige Konzentration von Flüchtlingen wird nicht zur Akzeptanz durch die Bevölkerung beitragen und eine Integration nahezu unmöglich machen.“ Sie haben recht, eine solche Entscheidung, wie Sie jetzt gefallen ist, ist sicher unklug. Auch der Bezirk hat sich damals gegen diese Standorte in Altglienicke ausgesprochen. Sie möchten jetzt, dass das Tempohome – wie ursprünglich vorgesehen – in Adlershof errichtet wird. Sie haben mehrfach betont, ihr Motiv sei keinesfalls Fremdenfeindlichkeit, sondern die gerechte Verteilung der Flüchtlinge im Bezirk.

Es war doch der Senator Matthias Kollatz-Ahnen, der den Plan mit dem Tempohome in Altglienicke ausgeheckt hat.

Dennoch hätte ich mehr Fingerspitzengefühl von Ihnen erhofft. Nehmen wir den Ort. Direkt dort die Kundgebung zu veranstalten, wo Heime und Unterkünfte entstehen, ist eine  Strategie der Rechten, um Stimmung zu machen und Ängste zu schüren. Aber wollen Sie, Frau Vogel, nicht die Konzentration von Asylbewerberunterkünften stoppen, für eine gleichmäßige Verteilung  dieser Menschen im Bezirk eintreten? Hätten Sie da nicht in der Klosterstraße protestieren müssen, vor der Senatsverwaltung für Finanzen? Es war doch der Senator Matthias Kollatz-Ahnen, der den Plan mit dem Tempohome in Altglienicke ausgeheckt hat.

Dann die Zeit: Warum gehen Sie am Montag auf die Straße? Das war damals in Leipzig gegen die DDR und die SED  eine große Sache. Aber spätestens seit Pegida ist der Montag als Demotag gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsstandorte verbrannt. Hatten die Anwohner nur am Montagabend Zeit? Und haben Sie mal – wie Carsten Schatz,  Abgeordneter der Linken in Treptow-Köpenick wissen möchte – schon mal gegen Waffenexporte demonstriert? Sie wissen, Panzer und Raketenwerfer, mit denen die Kieze der Flüchtlinge platt gemacht werden und die Menschen aus ihren eigenen Kiezen vertreiben. Und die jetzt herkommen, um – angeblich – unsere Kieze zu zerstören. Das wäre Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik vom anderen Ende.

Oder die Anwohner, Bürger, die sich Sorgen machen und Ängste haben. Sie meinen, man müsse deren Sorgen ernst nehmen. Sie sind im Kiez bekannt, die Leute setzen Hoffnung in Sie. Also schließen Sie sich dem Protest der Leute an, das ist völlig in Ordnung. Aber hätten Sie als Vorsitzende der CDU Treptow-Köpenick nicht die Luft rausnehmen sollen?

Warum haben Sie auf den Demos nicht gesagt, das Tempohome mit 500 Bewohnern ist ein Container-Dorf, das nach drei Jahren wieder verschwindet, dass es in jedem Berliner Bezirk welche davon geben wird? Denn gegen diese Unterkunft, die bereits im Bau ist und im Juli bezogen werden soll, richtet sich die Bürgerwut. Das „Flüchtlingsdorf“ der Degewo haben Sie ebenfalls als Belastung hingestellt – warum nicht als Chance? Muss hier gleich ein Ghetto entstehen, weil das Kosmosviertel  ein Problemgebiet ist und gerade erst im April ein Quartiersmanagement bekommen hat?

Außerdem leben die Flüchtlinge nicht bloß in drei Ortsteilen von Treptow- Köpenick. Die Abgeordnete Ellen Haußdörfer von der SPD hat teilweise andere Zahlen als Sie: Es gibt Gemeinschaftsunterkünfte  im Allendeviertel in Köpenick, im Baumschulenweg in Treptow, in der Lutherstraße in Rahnsdorf und der Radickstraße in Adlershof  – alle mit einer Belegung zwischen 150 und 250 Personen. Altglienicke hat laut Ellen Haußdörfer nur zwei Notunterkünfte, in denen 500 Asylbewerber leben und weitere 70 in einer Turnhalle. Mit dem Bau des Tempohomes und der Wohnungen für Flüchtlinge sollen die Notunterkünfte und Turnhallen gerade leer gezogen werden. Weil – so die Idee – Integration mit festen Wohnsitzen besser klappt. Vielleicht leben am Ende in Altglienicke gar nicht mehr so viele Flüchtlinge, und die sind dann möglicherweise integriert. Lange Rede, kurzer Sinn: Man kann die Sorgen von Menschen ernst nehmen, ohne sie in ihrer Wut zu bestärken. Man könnte sie auch vom Gegenteil überzeugen. Einen Versuch wär es doch wert, oder?

Schließlich bestand die Gefahr, dass die Kundgebungen in Altglienicke von Rechten unterlaufen werden. Das ist nach Angaben der Polizei ja sogar geschehen. Auf Fragen der Presse haben Sie erwidert, davon nichts mitbekommen zu haben. Mir haben Sie ganz pragmatisch entgegnet, man könne doch nicht aufhören, seine Meinung im öffentlichen Raum zu äußern, nur weil sich Rechte unter die Leute mischen könnten. Ihnen ist ja auch bewusst, dass in der Venusstraße ein paar von den Typen wohnen.  Ich finde es schwer vorstellbar, dass Sie sich des gefährlichen Spiels, auf das Sie sich da eingelassen haben, nicht bewusst gewesen sein wollen. Distanziert haben Sie sich nicht.

Stattdessen dieser Post auf Facebook: „Liebe Nachbarn, herzlichen Dank für die vielen positiven Rückmeldungen, die mich seit Montag Abend per Email oder Telefon erreichen und mich in meiner Meinung und meinem Handeln bestärken.“

Ich hab mir mal angesehen, wie die Zustimmung auf Facebook aussieht. Abgesehen von dem Gegenwind, den es auch gibt, findet man häufig die verblüffend ehrliche Aussage, man möchte neben seinem Garten kein Flüchtlingsheim haben. Andere klatschen Beifall, und finden es „gut das es noch Politiker gibt, die einen Standpunkt haben.“ (Als wäre ein entschiedenes Ja zu Flüchtlingsheimen kein klarer Standpunkt). Ein weiterer schwadroniert über christliche Nächstenliebe: „Dazu gehört auch die schwachen und ängstlichen Bürger zu hören und zu vertreten, die mit den Entscheidungen der Bundes- und Landespolitik nicht einverstanden sind und sich nicht zu helfen wissen.“

Es mag anderen Zuspruch gegeben haben, aber bei soviel mit Egoismus gepaarter Ignoranz sollte man überlegen, Frau Vogel, wen man da vertritt. Die Flüchtlinge sind zumeist Menschen aus Bürgerkriegsgegenden, die auf unvorstellbar grausame Weise um ihr ganzes bisheriges Leben gebracht wurden – und die jetzt unsere Hilfe brauchen.

Mit vielen Grüßen
Ihr Dietrich von Schell


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