Lärm und Stille

Gastautorin Kirsten Fuchs sucht in der Stille Worte, die Euch selbst vielleicht fehlen
Die Kinder sind die ganze Zeit zuhause und wenn auch nicht zuhause, so trotzdem bei uns. Das eine redet viel, das andere noch mehr. Lustige Sachen, tolle Sachen, aber eben ständig.
Kirsten mit Schallschutzkopfhörern
Die Autorin all by herself

Ich rede auch viel, um ehrlich zu sein. Mein Mann auch. Meistens wechseln wir uns dabei aber ab. Die Kinder reden gleichzeitig und immer. Außer beim Vorlesen. Ich bin froh, dass wir eine Vorlesefamilie sind, denn wenn ich vorlese, ist da nur meine Stimme. Das ist übersichtlich.

Ich komme mit Lärm nicht gut klar. Er ist mir zu laut.

Das klingt banal, aber ich bekomme davon wirklich ein Sausen im Kopf und Bauchschmerzen manchmal.

Seit ein paar Jahren trage ich Schallschutzkopfhörer, wenn ich nach draußen gehe. Draußen ist Berlin und fährt hin und her, kauft dies und das und redet die ganze Zeit.

Ich habe ein Problem mit dem Hören, von der Werkseinstellung her. Einerseits kann ich Informationen hörend fast nicht aufnehmen oder verarbeiten, andererseits sind mir oft mehr als drei Geräusche zu viel.

Manchmal läuft zuhause noch die Waschmaschine. Mein Mann hört gern Radio. Ich krieg einen Knall. Ich bin in alle drei verknallt, aber krieg einen Knall, wenn sie ständig Geräusche machen. Amerikaner schneiden ihren Hunden ja manchmal die Stimmbänder durch, dann sind sie niedlich und bellen nicht.

Wenn es wirklich zu viel wird, trage ich jetzt zuhause die Schallschutzkopfhörer oder gehe raus. Wo es früher laut war, draußen, ist es jetzt leise. Wo es früher leise war, drinnen, ist es jetzt laut.

Das große Kind schreit, dass es so schön leise zuhause ist.

„Nicht so laut!“ sag ich „Ich sitze direkt neben dir.“ Sie meint, im Vergleich zur Schule, denn da sei es total laut und jetzt, wo zuhause die Schule ist fällt ihr erst einmal auf, wie laut es immer in der Schule war.

Im Kindergarten ist es auch immer laut. Die Kinder genießen die Stille, die nur für sie eine Stille ist, denn für mich ist es keine, denn wo sie sind ist eben keine Stille.

„Stell dir vor, alle Kinder sitzen gerade zuhause und stellen das fest.“ sagt der Mann zum großen Kind. „Dann könnt ihr ja alle leiser sein, wenn die Schule wieder losgeht.“ schlage ich vor.

Es ist wirklich die Frage, wenn es sogar den Kindern zu laut ist in der Schule, warum es dann so laut ist in der Schule. Es müssten doch alle nur leiser sein. Sind es etwa die Lehrer, die so laut sind? Wenn es allen in unserem Alltag zu schnell ist, dann müssten wir doch alle nur langsamer sein, wenn es irgendwann wieder losgeht.

„Aber alle oder keiner“ sang Gundermann.

Nun sind die Kinder zuhause und eins lacht laut. Das andere noch lauter.

Ja, Kinder sind krass. Das sagen einem die Leute, bevor man die Kinder bekommt. Voller hämischer Vorfreude. Na, warte mal ab, was da auf dich zukommt. Aber man kann es sich nicht vorstellen. Es sind ja deine Kinder. Du liebst die doch. Es hat aber niemand zu dir gesagt: „Na, wart mal ab, wenn eine Pandemie kommt und du mit den Kindern zuhause bist.“

Es gibt eine absurde Häme im Internet teilweise, wenn man sagt, dass man Stress hat im Moment. Waren doch Wunschkinder. Du wolltest die doch. Jaja, total. Und das meiste ist toll, aber das ist ein anderer Text, nicht dieser. In dem anderen Text zähle ich alles aus, was toll ist mit den Kindern. Auch im Moment, gerade im Moment. Was wäre ich für ein in der Luft hängender Schluck ohne sie. Wie wenig Menschen hätte ich zum küssen und umarmen und lachen und spielen. Das ist absolut wahr! Aber ein anderer Text. Nicht dieser!

Vielleicht hat man gedacht, dass Kinder bekommen wie eine neue Musikanlage bekommen ist. Man mag seine CDs und man kann die ganz laut hören. Aber die Kinder haben dann ganz andere CDs bei sich und die stellen die nie leiser. Kinder sind an, an, an, an und wenn sie aus sind und schlafen, dann ist man von dieser Stille total überrollt. Als ob ein Wirbelsturm über das Haus gefegt ist. So sieht es auch aus manchmal in der Wohnung, aber man hat keinen Bock aufzuräumen.

Die Stille ist plötzlich so still.

Wenn man im Meer baden war, bei schönem Wellengang und man kommt aus dem Wasser und die Erdanziehung zieht an dir, dein schwimmender, leichter, kühler Körper wird sofort zur Erinnerung. Du bist ein Flusspferd im Sand und du gehst langsam zu deinem Handtuch und das Wellenrauschen bleibt hinter dir... So ist das abends, wenn die Kinder dann schlafen.

Das ist immer so, aber im Moment doller. Und manchmal denke ich, dass mir der andere Krach fehlt. Der Krach bei dem ich nur Kopfhörer aufsetzen muss, weil es kein Krach ist, der sich an mich richtet.

Ein Auto will nichts weiter von mir, als dass ich stehen bleibe, wenn mir mein Leben lieb ist, also bleibe ich stehen. Ein Auto diskutiert nicht. Es bettelt nicht. Ich muss es nicht überredet oder bis drei zählen. Los, Auto, fahr weiter, sonst kein Sandmann heute. Ich bin für den anderen Krach nicht zuständig.

Falls es sich wie Gejammer anhört, es ist keins. Es ist nicht die Zeit zum Jammern, weil es nicht um mich geht. Alles ist größer als ich und dafür machen wir das alles. Und darum biete ich Worte an, die anderen vielleicht gefehlt haben. Ja, so ist es bei mir auch und bei mir und bei mir.
Und dann sind wir wieder uns und beieinander.
Nach dieser lauten, stillen Zeit.


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