Heimfahrt

Ein Interviewversuch mit dem Regisseur Leander Haußmann
An einem grauen Mittwoch Mittag sind wir im Prenzlauer Berg mit Leander Haußmann zu einem Gespräch verabredet. Er telefoniert eben noch mit jemandem von der Presse und hat auch sonst viel um die Ohren – die kleine Tochter wartet, dem kranken Vater möchte er einen Besuch abstatten und seiner Mutter Beistand leisten. So entschließen wir uns, umgehend die Rückreise nach Friedrichshagen anzutreten, um während der gemeinsamen Autofahrt all unsere wohl überlegten Fragen zu stellen.

Update vom 19.09.2010: Das Maulbeerblatt verlost 3x die DVD Dinosaurier an die Schreiber der ersten 3 Kommentare zu diesem äh … bereits etwas weiter zurückliegenden Beitrag … Auf gehts!

Der Regisseur Leander Haußmann am Kaisersteg am Müggelseedamm in Berlin-Friedrichshagen
Foto: Sebastian Köpcke

 

Das Jahresende steht bevor. Welche persönliche Bilanz … ?
Scheiß Jahr! Nein wirklich, es war kein schönes Jahr. Es fing gut an mit den Dreharbeiten zu ‚Dinosaurier‘, die wunderschön, aber extrem schwer waren, weil ich es mit vielen alten Leuten zu tun hatte und man die Balance halten musste zwischen der Contenance und der Sensibilität ihnen gegenüber. Auf der anderen Seite wollte ich zeigen, dass dies keine fremden Wesen sind, die vom Mond gefallen kamen, sondern dass sie ein Recht haben, in einem lustigen Film mitzuspielen. Trotz Alzheimer, trotz Parkinson – man darf komisch sein!

Eine wirklich schwer behinderte Frau hat mir einmal gesagt, erst wenn wir in einem Film komisch sein dürfen, sind wir in dieser Gesellschaft angekommen. Allerdings scheint genau damit mancher noch immer ein Problem zu haben. So wurde meinem Film schon vorab von einigen Wohlmeinenden das Etikett ‚Seniorenkomödie‘ angeheftet. Dafür bin ich ihnen natürlich dankbar, denn nur so konnte ich zu der Erkenntnis gelangen: Haußmann, du hast einen Film über den Volksstamm der ‚Senioren‘ gedreht, ganz so, als hätte ich im Dschungel mit Pygmäen gearbeitet.

„Lachen bedeutet für mich auch, den Menschen ihre Würde zu lassen.“

Für mich wird daran nur eines deutlich. Heute, in der Freiheit ist keine staatliche Zensur vonnöten, weil sich für diese Aufgabe jederzeit genügend Freiwillige in einer moralischen Bürgerwehr zusammenfinden. Die sagen uns dann: über Alte scherzt man nicht, Tod ist traurig, Geburt ist schön, Alter ist lästig! Nur tatsächlich ist es eben so, dass unsere Gesellschaft immer älter wird und dass auch ein großer Teil unserer Kinogänger längst nicht mehr jung sind. Von all meinen Filmen ist ‚Dinosaurier‘ mit Sicherheit der, in dem sich am meisten von mir selber findet, mit dem ich mir selbst sehr nah gekommen bin.

Er zeigt Menschen, die sich nicht im falschen Film, sondern am falschen Ort befinden und die im Laufe der Handlung ihrer selbst gewahr werden. Daraus schöpfen sie die Kraft, sich aus der Defensive zu lösen, aktiv zu werden und es noch einmal mit den übermächtigen aufzunehmen. Spätestens hier löst sich der Film aus der tristen Realität eines Altersheimes und wandelt sich ins Märchenhafte.

Aber genau das ist wohl der Grund, weshalb auch ich schließlich beim Film gelandet bin. Wenn man im wirklichen Leben aus der Realität aussteigt, dann endet das meistens tragisch. Allein der Film gibt mir die Freiheit diesen Schritt zu tun und das Unwahrscheinliche, ja selbst das Unmögliche in selbstbewusster Selbstverständlichkeit real werden zu lassen. Diese Freiheit lohnt jede Mühe und macht einen stark für das wirkliche Leben. Vor zehn Jahren wäre ich womöglich an den ‚Dinosauriern‘ gescheitert. Mit Sicherheit wäre ich für dieses Thema noch nicht bereit gewesen.

Heute habe ich die Gelassenheit, an die Arbeit zu gehen, ohne mich ständig selbst zu befragen, ob man das denn alles so machen kann. Zugleich sehe ich die ‚Dinosaurier‘ in einer Kontinuität zu meinen bisherigen Filmen, denn die Frage nach dem älter-, dem Erwachsenwerden liegt ihnen allen zu Grunde. Darin sehe ich ein Leitmotiv meiner Arbeit und so schließt sich in gewisser Weise langsam ein Kreis, denn die Alten in meinem Film finden die Unbefangenheit und auch das Staunen ihrer eigenen Kindheit wieder.

„Zur Zeit sind es leider oftmals die Idioten die in den Schreibstuben hocken.“

Nun kommen die ‚Dinosaurier‘ ins Kino und stellen sich dem Publikum. Meine momentane Situation ist in etwa mit der eines Kindes vergleichbar, das mit großer Leidenschaft an einem Bild gemalt hat und nun mit Hoffen und Bangen darauf wartet, dass die Eltern nach Hause kommen, um es zu bestaunen. Zu meiner eigenen Beruhigung darf ich verraten, dass die ersten Testscreenings vor Publikum all meine Erwartungen übertroffen haben. Befürchtungen, die ich auch hatte, wurden pulverisiert.

Der Zuspruch entsprach dem Wahlergebnis einer Volkskammerwahl. So etwas habe ich bislang noch nicht erlebt und so halte ich die ‚Dinosaurier‘ ganz tief im Inneren für unverwundbar, ganz gleich was andere darüber schreiben mögen. Der Film lebt von all diesen tollen Leuten, die selbst so viel Geschichte mit sich tragen. Ralf Wolter, Heinz Meier, Nadja Giller und Walter Tiller, aber auch Ingrid van Bergen, mein Vater Edzard Haußmann und Eva-Maria Hagen – das sind alles alte Hasen, denen ich nicht erklären musste, wie eine Komödie funktioniert. Die beherrschen ihr Handwerk und haben eine Präsenz, die so auf den Punkt trifft, dass sie mit viel weniger Mitteln auskommt. Es ist ein pures Vergnügen, sie alle – jenseits der Rente mit 67 – bei der Arbeit zu sehen.

Mit Daniel Brühl und Tom Gerhardt fanden sich Gesichter der jüngeren Generation, die sich auf der Leinwand angesichts der geballte Lebenskraft unserer Alten wunderbar behaupten konnten. Allerdings, bei all dem Spaß und all der Spielfreude bietet der Film keine ganz leichte Kost. Die Zuschauer werden spüren, dass es keine reine Komödie ist, denn sie spielt mit Ängsten, die jeder von uns kennt – der Angst vor dem Tod der eigenen Eltern, der Angst, selbst einmal im Altersheim zu enden – aber sie tut dies nicht selbstmitleidig, sondern auf ganz unsentimentale Weise. Diese Perspektive habe ich mir gestattet, weil ich immer bereit bin auch über Alte zu lachen, aber niemals dazu, sie für einen preiswerten Gag zu denunzieren.

„Der Zuspruch entsprach dem Wahlergebnis einer Volkskammerwahl.“

Lachen bedeutet für mich auch, den Menschen ihre Würde zu lassen. Jetzt, wo wir in der eigenen Familie gegen den Krebs kämpfen und um die Wiederherstellung meines Vaters ringen, damit er wieder laufen und wieder sprechen kann, merke ich, dass er diesen Kampf auf die selbe bewundernswert humorvolle Art führt wie die Figuren im Film. Auch deshalb erwarte ich von Leuten, die schreiben und sich mit Kunst auseinandersetzen, dass sie dies auf menschliche Weise tun. Ich erwarte, dass es Menschen sind, die darüber schreiben und keine Idioten. Zur Zeit sind es leider oftmals die Idioten die in den Schreibstuben hocken, denn die wirklich guten Leute schreiben heute kaum noch.

Ich bin gewiss nicht der fröhlichste Mensch der Welt, aber manchmal fühle ich mich beinahe als Don Quichote im Kampf gegen die große Depression. Wäre ich ein Psychiater, würde ich zuerst versuchen diese Depression mit Lachen zu bekämpfen, was natürlich unmöglich ist, weil es sich dabei um eine schwere Krankheit handelt. Allerdings gibt es viele Menschen, die glauben, sie hätten eine Depression, dabei haben sie nur keinen Grund mehr zu lachen.


Kurz vor dem Ziel kommen wir am Drehort vorbei. Als Käfig für seine Dinosaurier suchte Leander Haußmann ein markantes Haus. Er fand es beinahe vor seiner eigenen Haustür. Eine ehemalige Bankiersvilla am Spreeufer in Hirschgarten wurde für einige Wochen in ein Altersheim verwandelt. In Friedrichshagen angekommen, verabschieden wir uns am Kaisersteg. Ein stiller Ort, den der Filmemacher schätzt. Leander Haußmann trägt zwei Totenköpfe an einer Kette um den Hals und lässt sich den Wind ins Gesicht wehen, der über das Wasser kommt. Er zieht seinen Hut tief ins Gesicht und macht sich auf den Weg.

Wir genehmigen uns erst einmal einen Kaffee und sind uns einig, dass es an der Zeit wäre, mal wieder ins Kino zu gehen. Am 24. Dezember starten die ‚Dinosaurier‘ im Kino Union.


Interview

…die Phoenix kriegt was erzählt:

1. Was ist für sie typisch Köpenick? Die Klischees – Wasser, Wald, der Hauptmann. Es gibt von allem ein bisschen...

Interview

„Ich bin morgen noch da…“

Leander Haußmann, 1959 in Quedlinburg als Sohn des Schauspielers Edzard Haußmann geboren, wuchs in Berlin-Friedrichshagen auf, wo er auch heute...

Interview

Hier spielt die Musik

Nach einer beachtlichen internationalen Karriere sind Sie seit 2003 Professor für Gesang an der UdK Berlin. Bereits seit 1991 sind...