Mausetot

Manche Menschen haben Leichen im Keller. Wir haben sie im Garten. Schuld daran sind die Katzen der Nachbarn. Sie haben einen untrüglichen Sinn dafür, welche Vogelkinder sich zu früh aus dem Nest wagen. Meisen und Buntspechte, die bei ihren ersten Flugversuchen von den Bäumen purzeln, sind in höchster Gefahr. Egal, wie viel Katzenfutter so ein Salon-Löwe intus hat, für ein paar Tatzenhiebe reicht es immer noch. Während wir Eltern fast ohnmächtig vor Wut werden (wo ist der Tierschutzverein, wenn man ihn mal braucht? Können die Besitzer ihren verfressenen Whiskas-Junkies nicht wenigsten ein Glöckchenhalsband anlegen?) und sinnlos klatschend zum Tatort rennen, merkt das Kind nichts. Es lauscht versunken dem Dschungelbuch-Hörspiel. Mit Shere Khan, der alten Killerkatze, in der Rolle des Bösewichts. „Alle Lebewesen müssen einmal sterben“, klärt uns unsere Tochter auf, als wir mit hängenden Köpfen eine weitere Vogelleiche unterm Pflaumenbaum begraben. „Wenn keiner stirbt, dann wäre irgendwann ja kein Platz mehr auf der Erde“, doziert die Fünfjährige weiter. Sachlich gesehen ist das richtig. Kinder haben einen völlig unbedarften Blick auf die Vergänglichkeit des Lebens. Was denken wohl Ameisen, Käfer und Regenwürmer, wenn sich ein Menschenkind auf sie stürzt und spielerisch ins Jenseits befördert? „Es gibt keinen Gott!“? Man weiß es nicht. Wir hatten das Vogelmassaker kaum verarbeitet, da bekamen wir Besuch. Von einem echten Schatzsucher! „Ich finde überall etwas“, versprach er und packte seine Schatzsucherausrüstung aus, Hightech vom Feinsten. Die Mütter und Kinder ließen sich den Sonntagskuchen schmecken, die Väter verschwanden in der Gartenwildnis. Wir hörten es piepen, rascheln, schnaufen. Es wurde gegraben, ins Sonar hinein gelauscht und wieder gegraben. „Habt ihr was gefunden?“... Die Kinder hofften auf eine große Kiste voll mit Gold und Edelsteinen, wir Erwachsenen auf eine schöne alte Münze. Es war nichts von dem. Eine mumifizierte Tierpfote. Und ein daumengroßer, glänzender, ganz flacher Engel. Stoff für eine Geschichte?! Harry Rowohlt kann sie nun nicht mehr schreiben. Ade und danke, Harry!

Editorial

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