Alle anderen lassen sich heutzutage gefühlt auf einen Nenner runterbrechen: Internet. Durch unglückliche Umstände blieb die Behausung des Verfassers ganze 60 Tage offline. Hier schildert er seine Erlebnisse.
Ja, sie mögen uns unser Leben nehmen, aber niemals nehmen sie uns unsere Internet-Verbindung.
William WLAN Wallace, schottischer Digital-Pionier
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Tag 1: Wolken am Horizont
Bin nach den Weihnachtsfeiertagen in der Heimat spät abends übersättigt und müde in meine Berliner Wohnung zurückgekehrt. Wundere mich, dass mein Handy sich nicht mit dem WLAN verbinden möchte, liege aber schon im Bett und belasse es vorerst dabei.Tag 2: Traurige Gewissheit
Möchte nach dem Aufstehen Nachrichten lesen, aber mein Laptop kann keine Verbindung herstellen. Schalte den Router aus, ziehe den Stecker, warte eine Weile und aktiviere ihn wieder – nichts. Das Lämpchen unter der Beschriftung „Power/DSL“ mag nicht auf grün springen. Stattdessen funkelt es mich wie das Auge eines gefräßigen Monsters blutrot und unerbittlich an. So langsam werde ich unruhig. Ich erinnere mich an eine Reihe von Briefen, die mein Mitbewohner leichtfertig als nervige Werbepost abgetan hatte. Bingo: Unser Uralt-Tarif wird nicht mehr angeboten, die Abschaltung erfolgte wie angekündigt, auch das Telefon ist tot. Wir sind vorerst offline.Straßen? Wo wir hinfahren, brauchen wir keine Straßen!
Doc Emmett L. Brown, nur auf der Datenautobahn unterwegs
Tag 3: Das große Schweigen
Ich musste heute sämtliche „smarte Steckdosen“ von allen Lampen entfernen, da sich diese nicht mehr Sprachsteuern lassen. Alexa redet auch so nicht mehr mit mir. Ich frage sie freundlich nach den Wetteraussichten, meinen Terminen für den Tag und ob sie mir den Wecker für morgen stellen kann. Doch sie schweigt nur. Frage mich, was meine letzten Worte an sie waren, als sie noch sprechen konnte, und werde traurig, als es mir wieder einfällt: „Alexa, aus!“Tag 5: Die Hoffnung auf eine rosige Zukunft
Habe in den letzten Tagen einen neuen Vertrag bei einem anderen Anbieter abgeschlossen. Der verspricht uns eine deutlich bessere Internetgeschwindigkeit zu günstigeren Konditionen. Anscheinend hat der Vorfall also sogar etwas Gutes. Und: Normalerweise dauert der Bestell- und Anschlussvorgang wohl 21-25 Tage. Die freundliche Dame in der Kundenhotline versprach aber unseren Fall mit „eilt“ zu markieren und stellte 14 Tage in Aussicht. Euphorisiert bleibe ich nach dem Gespräch in der Leitung und gebe ihr in der Umfrage fünf von fünf Punkten.„Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“
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Tag 8: Voll im Fokus auf dem Lokus
Stelle fest, dass meine Toilettenbesuche zügiger vonstattengehen. Die alte Business-Weisheit scheint tatsächlich zuzutreffen: Wer sich nur aufs Geschäft konzentriert, kommt wirklich schneller ans Ziel.Tag 11: Zurück in die Zukunft
In Ermangelung der sonst üblichen Streaming-Anbieter haben wir heute unsere alte DVD-Sammlung für uns wiederentdeckt. Unter einer zentimeterdicken Staubschicht ruhten Klassiker wie Independence Day, Der Club der toten Dichter und die Herr der Ringe-Reihe, manche noch nicht einmal ausgepackt. Auch einige Serien sind darunter. Endlich wieder Binge-Watching! Statt der gewohnten Unterbrechung mit der Frage, ob man Scrubs noch schaut, müssen wir allerdings eine neue DVD einlegen – was für eine Zumutung! Bemerke außerdem: Manche Filme kommen mit echt liebevoll gemachten Menüs daher. Nur die manchmal nicht überspringbare Werbung nervt. Obwohl die blu-ray-Ankündigung schon was hermacht. Aber wer weiß, ob sich das durchsetzt.Good Morning, Vietnam!
Adrian Cronauer, begeisterter Videokonferenz-Nutzer
Tag 14: Enttäuschung. Nichts als Enttäuschung.
Da unser neuer Anbieter seit dem Telefonat mit der netten Dame nichts mehr von sich hören ließ, beschließe ich einmal freundlich nachzuhaken. Das Gespräch läuft ernüchternd: Weil unser Vertrag nicht offiziell gekündigt wurde, sondern lediglich in eine Art Haltezustand überführt wurde, fehlt noch ein Anbieterwechsel-Formular. Wir würden ab heute mindestens weitere 20 Tage ohne Netz sein, heißt es. Seit wann man das weiß, möchte ich wissen. „Wir hätten Sie in den nächsten Tagen angerufen…“Tag 18: Seltsame Gedanken
Ich fühle mich wie in einer Entzugsklinik. Mit dem Unterschied, dass hier Klebstoffschnüffeln keine Option ist. Überlege stattdessen, ob ich mal am Router lecken sollte. Diagnostiziere mir selbst Internetsucht – und begreife jetzt erst wirklich, was Digital Detox bedeutet.Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter!
Captain Buzz Lightyear, surft gern pausenlos.
Tag 20: Ein kurzer Lichtblick
Ich habe Hotspot gemacht! Eine Funktion, die ich bis dato nie verwendet hatte, nicht mal in Brandenburg. So kann ich jetzt immerhin an meinem Laptop notdürftig Nachrichten lesen, chatten und Mails schreiben. In meinem Freudentaumel gönne ich mir abends ein längeres YouTube-Video und nicke dabei ein. Als ich die Augen wieder öffne, ist das Bild eingefroren und es dreht sich ein kleiner grauer Pfeil in der Mitte: Das Datenvolumen ist aufgebraucht. Ich fange an zu weinen.Wenn man begriffen hat, dass man den Rest des Lebens online verbringen will, dann will man, dass der Rest des Lebens so schnell wie möglich beginnt.
Harry Burns, Netz-Romantiker