Lost and found

Von der Gabe, Geschenke zu akzeptieren
Erstveröffentlichung am 29.12.2017
Taxifahren ist ein verantwortungsvoller Beruf. Menschen mit Beförderungswunsch geben sich in die Obhut eines Taxifahrers, um für Geld sicher und bequem von A nach B gefahren zu werden, weil sie es aus eigener Kraft nicht mehr können, wollen oder dürfen. Hat der Taxifahrer seinen Job zur Zufriedenheit erledigt, erhält er zu dem erhobenen Fahrpreis in den meisten Fällen vom Fahrgast noch einen Bonus, der Trinkgeld genannt wird.
verlorene Handschuhe
Foto: Matt Seymour

Auf diesen beiden Säulen ruht das fundamentale Einkommen des Personenbeförderers im Gelegenheitsverkehr. Auf einem Bein kann man nicht stehen, zwei sind schon mal nicht schlecht, aber nur der dreibeinige Tisch wackelt nicht. Über mein drittes Bein möchte ich an dieser Stelle nicht referieren, bin aber nicht abgeneigt, mal eben darzulegen, wie man sein schmales Gehalt um eben eine dritte Säule erweitern könnte.

Es gibt Fahrgäste, die haben ein denkbar modernes Verhältnis zum Privateigentum, Generation Share - teilen - investieren ohne Aussicht auf Rendite – teilen - ohne ausschließlich den eigenen Vorteil im Sinn zu haben.
Die große Kunst besteht darin, sein Besitztum so zu streuen, das man es selbst gar nicht mitbekommt. Das erreicht man am Besten, in dem man während der Vorbereitungen zum Party-Wochenende, des Konzertbesuches oder während der Feierabend-Hektik einfach sein Hab und Gut lose in den undichten Taschen einer Jacke, Bluse oder Hose verstaut und dann - ohne es zu bemerken - Teile davon auf öffentlichen Plätzen, Gehwegen oder in Beförderungsmitteln fallen oder liegen lässt.

Eine beliebte Methode, ungeliebtes Eigentum loszuwerden, ist während einer Taxifahrt mit dem iPhone zu telefonieren, dieses nach Beendigung eines sicher sehr wichtigen Telefonates auf der Rücksitzbank abzulegen und das Taxi nach dem Bezahlen zu verlassen, ohne das besagte Objekt mitzunehmen. Erstaunlicher Weise kommt das um so häufiger vor, desto kürzer die Strecke ist.

Im Allgemeinen frage ich meine geneigte Kundschaft bei Ankunft am gewünschten Ziel, ob sie all ihre sieben Sachen beisammen hätten. Wer diese Frage bejaht, den entlasse ich guten Gewissens aus meiner Fürsorge in die freie, harte Welt außerhalb meines Taxis.

Die Schwierigkeit an der schönen Idee des Teilens ist, das Vater Staat mit Hilfe des StGB die kleinen Präsente als Fundsache definiert und damit abgabepflichtig werden lässt, wenn sie den Wert von 10 € übersteigen.

Oft bemerkt erst die nächste Partie, was der Vorgänger teilen wollte. Kürzlich fuhr ich einen jungen Mann von der Kindl-Bühne nach Marzahn, der wollte mir ein etwa 15 cm langes, scharfes Messer schenken. Doch anstatt es mir standesgemäß zwischen die Rippen zu stechen und meine Börse mitzunehmen, lässt er das Messer achtlos auf der Rücksitzbank liegen und ich habe den Ärger, denn jetzt fangen die Mühlen an zu mahlen.

Begutachten und Wert feststellen. Es ist Samstag, da hat das Fundbüro geschlossen, bis Montag warten - da habe ich eigentlich frei - das Fundbüro aufsuchen, Anzeige erstatten und hoffen, dass der edle Verlierer sich meldet, um den mir zustehenden Finderlohn auszuhändigen. Ihr seht, dass diese Art des Teilens mir keine Freude, sondern nur Überstunden verschafft. Besser, ihr gebt zum Dank einfach etwas Kleingeld, das muss nicht klimpern, das darf ruhig gefaltet sein.

Wenn ich guter Dinge bin, dann gebe ich mir viel Mühe, um die kleinen Präsente ihrem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben. Besonders eifrig tat ich das während der ersten Jahre als Taxifahrer. Nach einem Konzert ließ jemand sein iPhone 4 liegen. Mit Hilfe meines Freundes Volker konnte ich die Dame ausfindig machen und das Gerät mit der deutschen Post nach Rosenburg-Texas-USA schicken. Die junge Dame bedankte sich mit einem Finderlohn von 60 €. Schon mal eine nette Geste und ein Hinweis in die richtige Richtung. Ich verschenke Weihnachten auch lieber Gutscheine oder Bargeld als Krempel, den kein Mensch braucht.

Einen jungen Mann mit süddeutschem Akzent treffe ich privat am Hermannplatz, um ihm sein liegengelassenes Billigphone auszuhändigen. Der bedankt sich mit einem feuchtwarmen Händedruck. Ich fahre einen netten Herrn in die Hauptstraße nach Wilhelmsruh. Er steigt aus dem Wagen und ich bemerke einen Zehner, der unter dem Beifahrersitz liegt. Ist das Ihrer? Frage ich und der nette Herr verneint, überrascht von meiner Ehrlichkeit. Leider kann ich auf dem Schein keinen Hinweis auf seinen rechtmäßigen Besitzer finden und kann mir auch nicht vorstellen, das im Fundbüro jemand das kann. Ist ja nicht unbedingt ein Unikat, so ein Zehner und ich behalte ihn guten Gewissens.

Als ich vor einigen Jahren einem jungen Paar im Friedrichshain beim nächtlichen Umzug mit dem Taxi behilflich bin, da sparen sich die Herrschaften das Trinkgeld und schenken mir großzügig eine Tüte voll alter Socken und anderer schmutziger Kleidungsstücke, mit denen der Mülleimer an der Aral-Tankstelle weitaus mehr anfangen kann als ich.

Ich habe mir im Laufe der Zeit angewöhnt, nach Sympathie zu entscheiden, was ich zurückgebe und was nicht. Bei wertvollen Dingen ist natürlich klar, das ich den gesetzlich vorgeschriebenen Weg wähle. Das fällt nicht immer leicht, gerade bei Leuten, die sich als Arschloch erweisen. Aber hinzu kommt, das ich mich beim unrechtmäßigen Aneignen fremden Eigentums nicht wohl fühle. Oft wird in den Medien von spektakulären, mindesten fünfstelligen Geldfunden berichtet, die der ehrliche Finder zur Anzeige brachte. Mich hat noch niemand so in Versuchung geführt, aber ich denke, bei sechsstelligen Beträgen könnte mein Anstand taumeln.

Mein Freund Björn berichtete mir kürzlich, er hätte mal 1000 DM gefunden und diese bei der Polizei abgegeben. Er befürchtete ein schlechtes Karma und Konsequenzen, hätte er sich für dieses Geld ein neues Fahrrad gekauft. Der Björn ist einfach zu gut für diese Welt. Und die Moral von der Geschicht. Moral hat man oder nicht.


Editorial

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