Hallo Herr Gysi, vielen Dank für Ihre Zeit. So langsam wird unser Interview zum Jahresende zur guten Tradition. Wo befinden Sie sich zurzeit bzw. wohin sind sie gerade unterwegs? Gerade war ich in Schwetzingen, im badischen Teil von Baden Württemberg. Ich habe vor Arbeitsrechtlern zu neuen Gesetzen gesprochen und natürlich zur weiteren Politik. Außerdem habe ich einen wunderschönen Schlossgarten des früheren Kurfürsten besichtigt in dem auch eine nie genutzte Moschee steht und ein Gemälde mit dem Titel „Das Ende der Welt“. Nun kenne ich wenigsten das Ende der Welt. Leider hatte ich für die Besichtigung nur eine halbe Stunde Zeit und nun bin ich unterwegs nach Sindelfingen im schwäbischen Teil von Baden Württemberg. Dort habe ich eine Veranstaltung in der ein ausführliches Gespräch mit mir geführt wird.
Leonard Cohen, Manfred Krug, Jutta Limbach, Bud Spencer, Harper Lee, Roger Willemsen, Achim Menzel. 2016 sind ja viele Menschen von uns gegangen, die für die Öffentlichkeit in vielfacher Weise bedeutsam waren. Mit wem hätten Sie sich gerne einmal am Müggelsee auf ein Feierabendgetränk Ihrer Wahl getroffen? Natürlich mit Bud Spencer, weil ich zusammen mit meinem Sohn mir immer seine Filme mit Terence Hill angesehen habe und ihn schwer in Ordnung fand. Übrigens habe ich ihn bei Thomas Gottschalk tatsächlich einmal kurz kennengelernt.
Kürzlich sagten Sie in einem Interview, der Grund für Ihre Rückkehr in die Politik war, dass viele Wähler aus Ihrem Wahlkreis Sie darum gebeten hätten. Was sind die wichtigen Themen, die die Wähler Ihres Wahlkreises von Ihnen angepackt sehen wollen? Zum einen wollen die Wählerinnen und Wähler aus Treptow-Köpenick dasselbe wie andere Wählerinnen und Wähler in ganz Deutschland, nämlich eine aktive Friedenspolitik der Bundesregierung, die Reduzierung der Flüchtlingszahlen durch wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen, deutlich mehr soziale Gerechtigkeit für alle Altersgruppen, Steuergerechtigkeit und Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur. Darüber hinaus wollen sie aber, dass ich helfe konkrete Probleme in Treptow-Köpenick zu lösen. Da geht es zum Beispiel um die Übereinstimmung von Landschaftsschutzgebiet Müggelsee, dem Segelsport und den Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner. Oder es steht die Frage, wie der Beginn der Nutzung des Spreeparks im Plänterwald so gestaltet werden kann, dass es genügend Nutzerinnen und Nutzer, genügend Besucherinnen und Besucher gibt, aber auch die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner berücksichtigt werden. Es geht auch um die Sicherung der Existenz verschiedener Kultureinrichtungen im Bezirk.
Kürzlich gab es ein Video auf Ihrem FB-Account, das ziemlich viral ging. Dort äußerten Sie den Wunsch, gerne mal die Lösungen der AfD abzufragen. Was möchten Sie zum Beispiel speziell die Treptow-Köpenicker AfD gerne einmal abfragen? Ich habe mich nur darüber geärgert, dass die AfD-Leute von Journalistinnen und Journalisten immer nur nach Flüchtlingen gefragt werden, aber nie nach ihren sozialen und steuerpolitischen Vorstellungen. Sie wollen keine Vermögenssteuer, auch keine Erbschaftssteuer bei großen Erbschaften. Aus der AfD gibt es auch Forderungen, die Rente und auch Hartz IV zu kürzen. Alles abenteuerlich.
Nicht zuletzt die vielen Stimmen für die AfD haben im Bezirk zu einem historischen Schulterschluss zwischen Linken und SPD geführt. Sehen Sie auch so optimistisch in die Zukunft wie die Unterzeichner der Übereinkunft? Die Vereinbarung ist gut, allerdings muss sie noch umgesetzt werden. Auf der Bundesebene ist es viel schwieriger, wäre aber wünschenswert.
Trump, Le Pen und Petry sind das Ergebnis eines grundsätzlichen Glaubwürdigkeitsdefizites der etablierten Parteien, deren alternativlosen Entscheidungen sich der Bürger hilflos ausgesetzt sieht. Intransparente Mammutprojekte wie CETA oder um wieder lokal zu werden der BER werden am Souverän vorbei beschlossen, umgesetzt und auch bei Milliardenkosten für den Steuerzahler nicht in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang: Ist die Fokussierung der Linken auf die soziale Frage die richtige Strategie für 2017? Für jede linke Partei ist die soziale Frage die Entscheidende. Deshalb sind linke Parteien entstanden. Dazu gehört aber auch eine vernünftige Steuer- und Wirtschaftspolitik. Ohne Steuergerechtigkeit und ohne eine funktionierende Wirtschaft gibt es auch keine soziale Gerechtigkeit. Fragen des Friedens, die Gefährdung der Europäischen Union, das Flüchtlingsdrama sind ebenso wichtige Themen, wie die Frage der Glaubwürdigkeit von Politikerinnen und Politikern und Parteien.
Früher wirkten Union und SPD wie Alternativen, heute sind sie sich viel zu ähnlich. Früher verlor die Union, wenn die SPD gewann und umgekehrt. Heute verlieren beide zusammen. Diese Ähnlichkeit muss wieder aufgehoben werden. Die Union muss wieder eine konservative Partei werden und die SPD wenigstens so sozialdemokratisch, wie sie es unter Willy Brandt war.
Das Thema steigende Mieten und Verdrängung ist ja auch schon seit längerem in Treptow-Köpenick angekommen. Die neue rot-rot-grüne Berliner Koalition plant, die städtischen Gesellschaften in den nächsten fünf Jahren 30.000 Wohnungen neu bauen und 25.000 weitere kaufen zu lassen. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) äußerte die Befürchtungen, dass durch die konzentrierte Unterbringung von Menschen mit geringem Einkommen wieder neue soziale Brennpunkte in Berlin entstehen könnten. Wie schätzen Sie die Wohnungsbau-Politik von Rot-rot-grün ein? Was heißt das für Treptow-Köpenick? Der soziale Wohnungsbau ist seit geraumer Zeit schwer vernachlässigt worden. Ich begrüße den Willen der neuen Regierung in Berlin jedem Menschen das Wohnen zu ermöglichen. Das ist auch in Treptow-Köpenick dringend erforderlich. Die Regierung versucht, den Luxussanierungen etwas entgegen zu stellen. Allerdings muss tatsächlich darauf geachtet werden, dass die Stadt durchmischt bleibt und sich in jedem Bezirk alle sozialen Schichten wiederfinden. Deshalb müssen der Bau und der Kauf nicht geschlossen, sondern an vielen getrennten Orten in Berlin stattfinden.
Vor dem Hintergrund der NSU-Morde forderten Sie bereits 2012 im Maulbeerblatt die Auflösung des Verfassungsschutzes. Dies war auch eine Forderung der Linken im Zuge der Berliner Koalitionsverhandlungen mit SPDÂ und Grünen. Wie realistisch halten Sie eine Zustimmung der SPD in diesem Punkt? Wie regierungsfähig schätzen Sie die rot-rot-grüne Koalition im Roten Rathaus ein? Sicherlich werden SPD und Grüne die Auflösung des Verfassungsschutzes nicht mittragen wollen. Aber Veränderungen – wie in Thüringen – müssen möglich sein. Es geht nicht, dass Neonazis ständig von unseren Steuergeldern als V-Leute bezahlt werden und kein Mord verhindert und auch nicht vom Verfassungsschutz aufgeklärt wird, wie es beim NSU war.
Sollte Rot-Rot-Grün kommendes Jahr auch eine Option im Bund sein, so müssen noch größere Meinungsunterschiede überbrückt werden. Wird die Linke ihr striktes Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr aufweichen oder wird der Einfluss der Linken die Grünen und die SPD wieder zu Friedensparteien machen? Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig und wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf. Den richtigen Weg dafür zu finden ist schwierig, aber notwendig und möglich. Auf jeden Fall kann es mit der Linken niemals einen Kriegseinsatz wie in Jugoslawien oder Afghanistan geben. Auch Grüne und SPD haben inzwischen hoffentlich zumindest begriffen, dass der Krieg in Afghanistan ein großer Fehler war.
In dieser Ausgabe des Maulbeerblattes geht es an anderer Stelle um das Thema Ehrenamt: Engagieren Sie sich privat für ein bestimmte Initiative? Glauben Sie, dass eine systematische Koordination für privates Engagement im Bezirksamt einem Trend Vorschub leistet, dass sich die öffentliche Hand aus so wichtigen Themen wie Sozialarbeit oder Bildung immer mehr zurück zieht? In jeder Gesellschaft ist ehrenamtliche Tätigkeit sehr wichtig. Sie muss viel stärker anerkannt werden. Ich mache viele Gespräche und Veranstaltungen in meinem Wahlkreis Treptow-Köpenick, in ganz Deutschland und in anderen Ländern. Das ist für mich insofern ehrenamtliche Tätigkeit, als ich all das nicht machen müsste, aber ich mache es gern. Besondere Initiativen starte ich regelmäßig zugunsten der SOS-Kinderdörfer.Allerdings haben Sie recht. Es muss stärker darauf geachtet werden, dass der Staat sich nicht über die ehrenamtliche Tätigkeit Schritt für Schritt seinen Verpflichtungen entzieht.
Es wartet auch noch ein Ehrenamt der anderen Art auf Sie: In den Medien werden Sie immer wieder als Bundespräsidentschafts-Kandidat gehandelt. Würden Sie für das Amt kandidieren? Und wenn ja: Wäre dann nicht das Köpenicker Schloss eine echte Alternative zu Bellevue? Bürgerinnen und Bürgern, die mir schreiben, ob ich nicht Bundespräsident werden wolle, antworte ich regelmäßig, dass ich doch gar kein präsidialer Typ sei, mir langweilige Eröffnungsreden nicht lägen. Sie antworten dann: Eben deshalb sollen sie es ja werden. Ich kenne die Zusammensetzung der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Wir müssen uns diesbezüglich keine Gedanken machen. Und ich werde auch nicht kandidieren. Der Bundespräsident in Treptow-Köpenick bedeutete auch viele Einschränkungen. Was glauben Sie, was es für Absperrungen gäbe, wenn der israelische, der amerikanische, der russische oder der chinesische Staatspräsident im Köpenicker Schloss empfangen werden würden?
Wie feiern Sie dieses Jahr Weihnachten? Mit Weihnachtsgans Auguste oder eher vegan und lowcarb? Zurzeit gebe ich mir größte Mühe abzunehmen. Schon deshalb freue ich mich wie verrückt auf die Weihnachtsgans. Sie darf aber natürlich keinen Namen haben. Tiere mit Namen kann ich nicht essen. An meiner Freude auf die Weihnachtsgans können Sie auch erkennen, was ich nicht bin.
Was steht auf Ihrem Wunschzettel? Darauf steht, dass ich mein Pflegeset in so kleiner Form geschenkt bekommen möchte, dass ich keine Schwierigkeiten mehr beim Sicherheitscheck auf Flughäfen habe. Bei meiner Marke, ist das nicht so leicht zu bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch und frohe Weihnachten, Herr Gysi!
Das Interview wurde geführt von Therese Reinke und Matthias Vorbau