Die Jazzbrothers
„Römer, bitte recht kurz!“ schallts durch den „Blauen Salon“ am Schüsslerplatz in Berlin-Köpenick. Herein marschieren vier Steppkes im Geleit ihrer Mutter, die vierwöchentlich den Laden betritt. Der im Laden für Amüsement sorgende Ritus wird vom Anführer des Trupps so eingeleitet: „Jetzt gehen wir in’n Schlauen Ballon!“ Von dem Kurzhaarschnitt verschont bleibt einzig das Töchterchen der Familie.
Damals in den 1960ern wohnte die Familie Vollmer noch in der Altstadt Köpenick. Dort fand auch der erste Musikunterricht für die Kinder statt. Einmal in der Woche kam „Tante We“, eine ältere gutmütige Kantorin, die sich geduldig jedem Einzelnen widmete. Der älteste – Georg – lernte Klavier (später auch Beate), Norbert, Beate und Stephan zunächst Flöte – beim Geigelernen unterstützte sie Ludger. Zur alljährlichen Freude der Eltern gab’s ein Weihnachtsprogramm von allen Fünfen.
So bot sich auch an, dass sie gelegentlich damit am früheren Arbeitsort des Vaters, im Institut für die Physik der Werkstoffbearbeitung in Berlin-Rahnsdorf, für weihnachtliche Stimmung sorgten. Bei solchen Auftritten bekam Töchterchen Beate am Klavier noch einen Fußschemel untergeschoben.
Der Flöte abhold wollte Stephan mit 11 Jahren nun endlich Trompete lernen, doch ohne Pionierausweis blieb ihm eine Ausbildung an der staatlichen Musikschule und im Blasorchester der Jungen Pioniere verwehrt. „Die Eiche, an der ich damals geheult habe, steht noch immer im Bellevuepark in der Friedrichshagener Straße.“, lacht er heute. Dann also der schwierige Weg: erste Schritte im Bläserchor der evangelischen Gemeinde mit einem geliehenen Instrument, später viele Stunden vor den faszinierenden Armstrongplatten, Mittun in verschiedenen Berliner Dixiekapellen; ein Autodidakt. Der Wunsch nach einer eigenen Band entstand. Stephan, (tr), Ludger, (viol) und Ansgar Vollmer, (p), gründeten die „Jazzbrothers“. Als Mitstreiter fanden sich Johannes „Joe“ Siedel (pos), Karsten „Kiste“ Gradmann, (dr), Thomas „Schlint“ Weise, (git), Markus Behrsing (kl) und Jörg Froehlich (b).
Bei Vollmers wurde jetzt Dixieland geprobt. Mutter Vollmer tolerierte es: „ Wenn sie im Haus sind, machen sie wenigstens keine Dummheiten.“ Sie setzte sich mit „lärmempfindlichen“ Nachbarn auseinander, die kaum Verständnis für das musikalische Stürmen und Drängen der Jugendlichen aufbrachten. Zu den ersten Muggen ging es mit einem alten Handwagen, die komfortable Variante entstand später während Stephan Vollmers Tischlerlehre. Das „Jazzbrothers“-Schild wurde im damaligen polytechnischen Unterricht gebaut. Wieder halfen die Eltern. Vater Vollmer fuhr mit dem familieneigenen Kleinbus B 1000 bis nach Salzwedel oder Dresden. Aber beispielsweise auch nach Frankfurt (Oder) zu einem von Dr. Vollmer organisierten wissenschaftlichen Symposium eines Instituts der „Akademie der Wissenschaften“ in der Oderlandhalle. Dort heizten die „Jazzbrothers“ dermaßen ein, dass dieser fortan als „Dixieland-Symposium“ in die Geschichte des Instituts für Halbleiterphysik einging.
Dann kam das Jahr 1983, die Jungs gingen zu Konzerten namhafter Bands wie „Jazz Collegium“ ins „Kreiskulturhaus Karlshorst“. Und fragten einfach mal. Ob sie auch mal dürften. Sie durften. Der Leiter des Hauses erlaubte ihnen, von nun an dort zu proben und im Karlshorster Saal aufzutreten.
Bereits nach einem Jahr waren sie als jüngste Nachwuchsband der damaligen DDR auf dem Dixielandfestival im Dresdener Kulturpalast vertreten. Stephan Vollmer erinnert sich: „Wir waren durch den Auftritt beim Dixielandfestival plötzlich über die Grenzen bekannt. Eine junge Dixietruppe aus Westberlin – die „Dixie Giants“ – interessierte sich für uns, kam uns mal besuchen. Aus der Sympathie erwuchs manche wilde Fete mit Sessions bis tief in die Nacht. Der eine Typ, Peter, hatte ein Yamaha-Cornett, das es mir sofort angetan hatte. Da die Versorgung mit Musikinstrumenten im Osten nicht so rosig war, würde ich wohl nie an so ein Instrument kommen. Also handeln. Ich versprach ein Markneukirchener Flügelhorn zu besorgen, wenn er mir sein Cornett überließ. Wir wurden uns schnell einig, doch gab es da noch ein Problem. Westberliner durften in die DDR nicht einfach Instrumente einführen. Jedes mitgebrachte Instrument war von unseren Grenzern registriert und musste auch wieder zurück. Eine wagemutige Idee entstand: Die Instrumente wurden getauscht und Peter sollte mit dem Flügelhorn über die Grenze. Sollte er entdeckt werden, wollte er es auf Musikerblödheit und Alkohol schieben, brav zurückkommen und das Cornett holen. Ging es glatt, sollte er auf der anderen Seite der Mauer ‚Oh, when the saints, blasen. Auf der hässlichen Seite des Checkpoint Charly wartete ich angespannt – und hatte Glück! So kam ich zu meinem ersten Cornett, das ich inzwischen an meinen Sohn Arthur (8 Jahre) weitergegeben habe.“
Nicht nur Stephan Vollmer, alias Steve Horn, der als freischaffender Musiker in Berlin-Köpenick lebt, blieb der Musik treu. Alle ehemaligen „Jazzbrothers“ haben ihre Liebe zum Beruf gemacht. Grund genug für eine Session zum Bandjubiläum 2008? Wir dürfen gespannt sein!
Mit dem B-1000 ins Dixieland
Interview
Wird unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt? Teil 2
5.5.2013-Kabul: Du beschreibst die Bevölkerung als ein buntes Völkergemisch. Wie gelingt es ihnen allen miteinander, sich den Alltag zu gestalten? Das...
Unterwegs
Wie deutsch bist Du denn …?
Foto: Mikail Duran, Math