Von Nummern und Runden

Müggelsee-Halbmarathon
Es ist Sonntag Morgen um halb zehn. Die Sonne spendet etwas Licht, die kalte Herbstluft zieht mir in die Knochen. Das Thermometer zeigt mir fünf Grad Celsius. Auf dem Müggelsee: Boote mit weißen Segeln. Auf den „Müggelsee-Terassen Rübezahl“: viele nummerierte Menschen.
Ich zähle exakt sechshundertneun. Sie laufen in kurzen, eng anliegenden Hosen umher, kreisen ihre Arme oder bewegen sich hüpfend fort. Ein Mann mit Cowboyhut am Mikrofon findet aufheiternde Worte und informiert über den Grund der Ansammlung: Heute findet der erste Müggelsee-Halbmarathon statt. Einundzwanzig Kilometer sind per Laufschritt zu bewältigen. Die Strecke verläuft im Uhrzeigersinn einmal komplett um den Müggelsee herum. Aber den „Teppich“ und durch den Spreetunnel sollen die Läufer Friedrichshagen durchqueren. Dann geht es durch Wilhelmshagen und Hessenwinkel zum kleinen Müggelsee. Ab hier verläuft die Strecke weitgehend gerade und führt auf direktem Wege zum Ziel. Es ist kurz vor zehn. Ich will mir einen heißen Kaffee gönnen, der Stand ist jedoch überlaufen. Der Moderator fordert die Teilnehmer auf, sich in Startposition zu begeben. Ich sehe, wie sich die Menschenmasse zu einem Block formt. Diszipliniert warten die Vordersten in einer Linie. Ein Knall – und der Block zieht sich zügig auseinander. Völlig unterschiedliche Laufstile offenbaren sich schon in den ersten Sekunden: vom gemütlichen Dahintrippeln bis hin zum ehrgeizigen Sprint ist alles vertreten. Einige Zeit später starten auch die Fünf- und Zehnkilometerläufer. Endlich kehrt an den Ständen Ruhe ein, und ich kann einen Kaffee und eine Bratwurst ergattern. Die Wärme verteilt sich in meinem Körper. Auf dem Platz werden Kartons bereitgestellt. Bananengelb blitzt hervor. Plastiktrinkflaschen werden auf Tischen drapiert. Der Sportreporter gibt kurze Informationen zu den Laufgemeinschaften. Es fallen fantasievolle Namen wie „die Laufschnecken“, „die eisernen Hauptmänner“ und „Forrest Gump“. Aufregung macht sich breit. Die ersten Fünf- und Zehn-Kilometerläufer kommen ins Ziel. Verhaltenes Klatschen. Der tosende Applaus wird für später aufgespart. Dann die eindringliche Stimmlage des Kommentators: „Und nun ist es soweit- die ersten beiden Läufer kämpfen um den Sieg. Da steckt noch Saft in den Beinen! Eine fantastische Leistung! Wenn ich einen Hut hätte, würde ich ihn ziehen!“ Die beiden Ersten sollen nicht die einzigen Sieger dieses Halbmarathons sein. Jeder, der diesen Lauf durchstanden hat, darf sich als Gewinner fühlen. Was bedeuten schon Zeiten? Die ankommenden Läufer legen die Hände in die Hüfte, dabei wird tief durchgeatmet. Die weiblichen Läufer lächeln dabei, die männlichen spucken aus. Gratulanten scharen sich um ihre Helden. Der Platz füllt sich wieder. Jubelrufe und Umarmungen bestimmen die Atmosphäre. Die Siegerehrungen der einzelnen Kategorien verlaufen unspektakulär. Ein kurzer Besuch auf dem Siegertreppchen, Händeschütteln, überreichen eines Präsentes – dann: Applaus. Bevor ich meine Heimkehr antrete, lasse ich dieses letzte Bild auf mich wirken: Hunderte von Menschen mit Nummern stehen auf einem Platz am Müggelsee, und verspeisen Bananen. Ich freue mich auf ein heißes Bad.    

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