Eine regionale Kriminalgeschichte aus dem Kalten Krieg
Bei Erkner wollte er zuschlagen. Das Ziel: die Bahnlinie Berlin-Warschau-Moskau, das Opfer: der „Blaue Express“, Personenschnellzug von Berlin in die polnische Hauptstadt, mit Weiterfahrt nach Moskau. Für den 21. Februar 1952 hatte er den Anschlag vorgesehen. Zu dieser Zeit war er, Johann Burianek, bereits mit vielen Wassern des Kampfes gewaschen, eines Kampfes im „Kalten Krieg“, der für ihn und seine Streiter kein kalter mehr war.
Burianek war im November 1913 in Düsseldorf geboren worden, entstammte einfachen Verhältnissen, war Wehrmachtssoldat geworden, arbeitet nach dem Krieg in Ost-Berlin – und wäre beinahe Polizist bei der neuformierten Deutschen Volkspolizei der DDR geworden. Bei seiner Überprüfung fand man jedoch heraus, dass er in den letzten Kriegstagen einen desertierten deutschen Wehrmachtssoldaten in Eigeninitiative einem Kriegsgericht ausgeliefert hatte. Der Deserteur überlebte durch glückliche Umstände und Burianek wurde 1949 von einem Gericht der DDR wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, saß von der Strafe ein halbes Jahr ab.
Als Kraftfahrer im Berliner Volkseigenen Betrieb Secura, begann er zu arbeiten, blieb in Ost-Berlin, nicht weil die Haft seinen Hass auf die junge Republik verringert hätte. Im Gegenteil. Nun wollte Burianek mit allen Mitteln dazu beitragen, die „Arbeiter und Bauernmacht“ in der Bevölkerung zu isolieren, sie letztendlich zu stürzen. Dafür war ihm jedes Mittel recht. Er schloss sich der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, kurz: KgU an. Die Kampfgruppe war eine antikommunistische und militante Vereinigung. Von West-Berlin aus organisierte sie „politische Sabotage und politische Seelenführung der Menschen, die das stalinistische Joch zu tragen haben“, wie sie sich selbst verstand. Dazu mit einer offiziellen Lizenz der West-Alliierten als politische Organisation ausgestattet, übte die KgU den Widerstand gegen Staat und Wirtschaft der DDR – mit System. Oder wie der regierende Bürgermeister von Berlin-West, Willy Brandt, es ausdrückte: „… durch unsere tägliche Arbeit die Konsolidierung, die Stabilisierung des aufgepfropften totalitären Regimes in der uns umgebenden Zone so weit wie möglich erschweren, so sehr wie möglich verlangsamen.“ Er wurde verstanden.
Für Burianek und seine Mitstreiter hieß das, den Alltag der „Ost-Zone“ durch Sabotage zu stören, die Menschen zu verunsichern. Dafür war ihnen manches Mittel recht. Ein Auszug aus dem Repertoire der Gruppe: Vergleichsweise harmlos waren die Störaktionen bei den III. Weltjugendfestspielen 1951 in der DDR, wobei Burianek von der KgU-Zentrale in Berlin- West mit Propagandamaterial versorgt wurde, mehrere Tausend Flugblätter mit Boykottaufrufen gegen den SED-Staat nach Ost-Berlin brachte und verteilen half. Weniger nett waren da schon die 150 Stinkbomben, 1000 „Reifentöter“ und fünf Pakete mit Brandsätzen „zum Anzünden von Propagandagerüsten“, die besorgt wurden. Durchaus noch ernster wurde die Sache, als die im Osten agierende Gruppe um Burianek gefälschte Transportpapiere herstellte, Brandsätze in Briefkästen legte, Sprengstoffanschläge auf Talsperren und Elektrooder Fernmeldeanlagen vorbereitete, mit Brandstiftungen in Betrieben und Scheunen die Tötung von Vieh und das Vernichten von Lebensmitteln plante. Der gruselige Spielplan der Gruppe war groß und – er wurde größer: „Ein Ingenieur aus der Bande des B. konstruierte zwei Wurfmaschinen zur Inbrandsetzung von Objekten auf größere Entfernung und entwickelte eine Konstruktion, deren Verwendungszweck darin bestand, HO-Kioske in Brand zu setzen. B. und seine Bande … versuchten eine Festsäule am Strausberger Platz in Brand zu setzen, was allerdings misslang. B. erkundete Möglichkeiten zur Stilllegung des Kraftwerkes Klingenberg und schlug seinen Agentenführer bei der KgU vor, dazu ausgebohrte mit einer Sprengladung versehene Briketts zu verwenden.“ Im Oktober und November 1951 soll Burianek, so die Unterlagen der ostdeutschen Ermittlungsorgane, die Mitglieder seiner „Bande schriftlich zu unbedingtem Gehorsam und strikter Befolgung aller ihnen erteilten Aufträge zur Bekämpfung des Kommunismus, wo immer er auftritt“, verpflichtet haben. Diese „Verpflichtung enthielt ferner den Zusatz, dass Verrat mit dem Tode bestraft wird“. Und so zündelten sie gemeinschaftlich weiter, wurden von KgU-Aktivisten Milchvorräte durch den Zusatz von Saccharin oder Seife ungenießbar gemacht. Und Burianek schmuggelte Säure über die Sektorengrenz von West nach Ost. Mit dieser Säure legte man eine hydraulische Presse von 50t Leistungsfähigkeit in einem Oberschöneweider Betrieb still.
Der ganz große Coup der Gruppe war nun für den 21. Februar 1952 vorgesehen. Burianek wurde mit einem Sprengstoffkoffer ausgerüstet. Dieser sollte an der Fernbahnschiene bei Erkner montiert werden. Am Vorabend des geplanten Anschlages erfuhr Burianek jedoch, dass die West-Berliner Zentrale der KgU ihm das versprochene Fluchtfahrzeug nicht stellen konnte. Das Anschlagsunternehmen wurde abgebrochen. Die KgU-Kämpfer in Ost-Berlin gaben sich mit dem gescheiterten Anschlag in Erkner jedoch nicht zufrieden und planten statt des Anschlags bei Erkner die Eisenbahnbrücke bei Spindlersfeld in der Nacht vom 29. Februar zum 1. März zu sprengen. Burianek kam dabei die Aufgabe zu, den Sprengstoffkoffer am 29. Februar abends an einen Komplizen zu übergeben. Er selbst begab sich am folgenden Morgen an den Tatort, um die Wirkung des Anschlages in Augenschein zu nehmen. Die Volkspolizei hatte die Freischärler aber bei der Anbringung der Sprengladung überrascht, war ihrer jedoch bei einem Feuergefecht nicht sofort habhaft geworden. Wenige Tage später schlugen die Polizisten dann erneut zu, diesmal erfolgreich. Johann Burianek wurde ebenso wie eine Reihe seiner Mitkämpfer festgesetzt. - - Am 15. Mai 1952 wurde in einem großen Schauprozess vor dem Obersten Gerichts der DDR unter Vorsitz der „Roten Hilde“ Benjamin der Angeklagte, Johann Burianek, beschuldigt, ein „Agent der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ zu sein und „schwerste Terrorakte“ aus „bewußte(r) Feindschaft gegen unsere antifaschistisch-demokratische Ordnung“ begangen zu haben. Der Prozeß vor dem Obersten Gericht der DDR endete am 25. Mai 1952 mit dem Schuldspruch und der Verurteilung des Angeklagten zum Tode. Es war das erste Todesurteil dieses Gerichts. Am 2. August 1952 wurde es in Dresden vollstreckt.
Warum ist diese Geschichte heute noch erzählenswert? Weil sie ein Paradebeispiel ist, wie sehr von Zeit und Ort die Beantwortung der Frage abhängt, wer als Freiheitskämpfer gilt und wer als Terrorist? Oder weil diese Geschichte eben auch ein Teil unserer Geschichte und speziell unserer Regionalhistorie ist? Oder weil sie uns – juristisch zumindest – bis in die Gegenwart ereilt? Denn das Landgericht Berlin rehabilitierte Johann Burianek am 2. September 2005 wegen „gravierender Missachtung elementarer materieller Vorschriften“. Verurteilt wurde dafür nun vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten ein Oberstleutnant a.D. des Ministeriums für Staatssicherheit: wegen Verunglimpfung eines hingerichteten DDR-Widerstandskämpfers. Das Gericht befand den Angeklagten, Wolfgang Schmidt, ehemaliger Mitarbeiter der Hauptabteilung XX des MfS, für schuldig der „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. Schmidt hatte auf seiner Internetseite Burianek als „Banditen“ und „Anführer einer terroristischen Vereinigung“ bezeichnet. Nun wurde er zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt. Die Berufung gegen das Urteil wurde am 18. März 2013 vom Landgericht Berlin verworfen. Die Geschichte nicht.
Abbildung: Johann Burianek wärend des Gerichtsprozesses, Quelle: Bundesarchiv, Fotograf: Hans-Günther Quaschinsky, 23. Mai 1952
Blutzoll für die Freiheit?
Editorial
Kann Spuren von Nüssen enthalten
„Auf die Nüsse!“, so lautete diesmal das vom Chefredakteur erwählte Thema für das vorliegende Druckerzeugnuss. Dabei bleibt es sein Geheimnuss,...
Zeitreisen
450 Jahre Treptow (I)
Abbildung: Hans Baluschek: Hier können Familien Kaffee kochen, Öl auf Leinwand, 1895 Vorbehaltlos schließe ich mich an...
Alfs Allerlei
Tipps und Tricks, um zu werden wie Alf Ator
Auszug aus dem bald erscheinenden Handbuch Die Frisur: ALF ATOR selbst hat einen so genannten Mandschu-Zopf. Doch auch mit einer anderen...