Von Friedrichshagen nach Walhalla

Das Ende des bösen Genius Joseph Goebbels
Es war ein Sonntag, dieser 22. April. „Da waren sie plötzlich da, diese Russen.“ Zur Mittagsstunde war es vorbei, „Hitler kaputt“, das „Tausendjährige Reich“ endet in Friedrichshagen bereits nach zwölf Jahren.
Joseph Goebbels
Foto: Maulbär-Archiv
Seit Tagen waren Wehrmachtssoldaten durch den Ort geflutet. Zerrissen und verdreckt in einem Strom von Flüchtlingen. Am Müggelseedamm, Ecke Bruno-Wille-Straße, stand ein Panzer. Der hatte keinen Sprit mehr. Und am Fürstenwalder Damm, Höhe Wasserwerk, ruhte nun ein verwaistes Sturmgeschütz. Panzersperren starrten noch in den Einmündungen zur Bölschestraße. Tote lagen in den Straßengräben. Am Vortag ging Artilleriebeschuss über Friedrichshagen nieder und Schlachtflieger hatten noch am Morgen angegriffen, ein Angriff traf die Ahornallee, ein anderer die Werlseestraße. „Da klingelte das Telefon … bei einer Bewohnerin der Löcknitzstraße in dem Augenblick … als die Russen den Raum betraten, die um Hilfe schreiende Frau gefangen nahmen und in der Garage erschossen.“ Pastor Delius fand unter den Toten nicht allein Soldaten und Volkssturmmänner. Ehepaare mit ihren Kindern – selbstgetötet. Als ein „Schadensbild“ der Zerstörungen an Gebäuden und Straßen aufgenommen wurde, durfte man feststellen: Gekämpft wurde hier nicht viel. Aber übrig geblieben von Kurortzeiten und Kudamm des Ostens war irgendwie auch nicht viel. Sah nicht ganz so gut aus in Friedrichshagen …

Böser Genius aus Rheydt

Das sah es in Deutschland schon lange nicht. Weltkrieg eins, Versailler Vertrag, Inflation und Weltwirtschaftskrise hatten Heilsbringer geboren. Auch einen Führer für Volk und Vaterland. Und der Sturz der Republik war die Parole. Bei den Reichtagswahlen im Juli 1932 erhielt die NSDAP 37 Prozent der Stimmen. Die Wähler hatten den „bürgerlichen“ Parteien und der parlamentarischen Demokratie eine klare Absage erteilt. Und der „böhmische Gefreite“, Adolf Hitler, stand bereit, während sich die SA die Strassen in blutigen Kämpfen mit kommunistischen Rot- Front-Kämpfer eroberte. Das Schlachtgebrüll entfachte ein sehr böser Genius: Joseph Goebbels. Der wuchs in Rheydt auf, einer Kleinstadt am Niederrhein. Als Schüler ziemlich faul, entwickelte er mit den Jahren aber großen Ehrgeiz. Seine Lieblingsfächer waren Religion, Latein und Geschichte.

Weltschaulich flexibel

Dabei ist er anfangs strenger Katholik, wird mit den Jahren aber recht flexibel und kokettiert auch mit den Kommunisten. Verfallen ist er aber Adolf Hitler. Für den entdeckte er auch seinen Hass auf „die Juden“. „Gegen jede Sentimentalität … Die Juden müssen raus“, gibt er die Marschrichtung der braunen Bataillone vor. Und das erklärte er nun jedem, der ihm zuhörte. Anfangs waren das wenige. Doch es wurden stetig mehr. Und weil das so gut klappte, machte Hitler ihn 1926 in Berlin zu seinem Statthalter. Waren damals Köpenick, Schöneweide und Treptow arbeiterschaftlich geprägte Bezirke, gab es in Friedrichshagen nach wie vor einen Hang zum mondänen Flair, wo neben Beamten Großbürgerliche und Handwerker lebten. Bei den Köpenicker Kommunalwahlen gewann die SPD im Jahr 1919 34,5% der Stimmen, die USPD, die spätere KPD, satte 34,2%.
„Christus hat für seine Bergpredigt keine Beweise angetreten.“
Bei den Reichstagswahlen 1930 hatte sich das Bild bereits geändert: Die NSDAP erhielt in Köpenick 14% der Stimmen und war damit der zweitbeste Stimmbezirk für die Partei in Berlin geworden, allein von Pankow übertroffen. Die anderen Radikalen, die Kommunisten, schafften es gar auf 27,1% der Stimmen. Goebbels hatte die NSDAP und ihren Kampfverband, die „Schutzstaffel“ straff organisiert. Wer dazu gehörte zur Kriegsabteilung IX der NSDAP, traf sich vorzüglich in „Tabberts Waldschloß“ in Hirschgarten. In Friedrichshagen gab es Zulauf en gros. Vor allem, als am 30. Januar 1933 der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg den neuen Kanzler des Deutschen Reiches ernennt: Adolf Hitler. Organisiert und dafür geschafft hatte unter Einsatz all seiner Energie der in Vielem etwas zu kurz geratene Dr. Joseph Goebbels.

Der Bock von Babelsberg

Was nun folgte, war das opus magnun eines Demagogen, wie ihn die Welt nur selten gesehen hat: Als Minister für „Volksaufklärung und Propaganda“ hatte er eine Devise: „Christus hat für seine Bergpredigt keine Beweise angetreten.“ Und so verfährt er auch. Er okkupiert die Sinne der Deutschen, wo er sie trifft. Er lockt sie in die Kinos, wo zwischen 1933 und 1945 über 1200 Spielfilme zu sehen sind. Die Mission des Films: „Kraftquelle“ für jeden Deutschen zu sein. Und wer seine Filme nicht sah, der hörte ihn – aus der „Goebbelsschnauze“. Der Volksempfänger kündete den Volksgenossen zuerst vom nahenden Volksgemeinschaftswunder mit KdF-Wagen und Deutschem Einheits-Fernseh-Empfänger E1, vom Volkskühlschrank und der Volkswohnung, dann vom völkischen Lebensraum im Osten. Von dort dröhnten dann auch die Nachrichten aus Walhalla und vom Untergang durch den Volksempfänger.

Wollt Ihr den totalen Krieg?

Goebbels inszeniert Reichsparteitage in Nürnberg, die bis zu eine Million Menschen in die Stadt brachten. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin geraten zu einem propagandistischen Höhepunkt seiner Kunst. Und als er den Verstand des deutschen Volkes weichgekocht, krächzt er ihnen entgegen: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Den bekamen die Deutschen dann. Und das Reich ging unter. Wir kennen die Geschichte. Der Dr. Goebbels entzog sich dem deutschen Volk, als er vor ihm Rechenschaft ablegen sollte. Mit eigener Hand nahm er sich das Leben, riss die Gemahlin und sieben eigene Kinder mit in den Tod. Das war in den Katakomben der alten Reichskanzlei, geschehen am 1. Mai 1945.

Verscharrt in Friedrichshagen

„Die dunkle Schmutzflut aus den sibirischen Tundren“, die Rote Armee, findet den Leichnam von Joseph Goebbels im Garten der Reichskanzlei. Sie schaffen den halbverkohlten Toten nach Plötzensee, in den Heckerdamm. In eine Zeltplane gewickelt wird die Leiche auf einen LKW geladen und in den darauffolgenden Tagen von einem Ort zum anderen geschafft. Die Sieger wussten nicht wie tun mit den Überresten des Feindes, wollte man zumal keine Stätte hinterlassen, wo sich dereinst seine Jünger sammeln könnten. Man chauffierte die Leiche wochenlang von Ort zu Ort. Doch dann wollte es die Geschichte, dass die Fährte dieses Erzverderbers ausgerechnet in Friedrichshagen endet. Hier, in einem örtlichen Waldstück, wurde Wilhelm Eckhold, einem Offizier aus Goebbels Stab, die Leiche seines ehemaligen Chefs präsentiert. Er identifizierte ihn. Und damit verliert sich endgültig die Spur.
Rudolf Hirsch lebte viele Jahre in Friedrichshagen. Eigentlich war er Rheinländer, wie Joseph Goebbels. Doch der hatte dafür gesorgt, dass Rudolf Hirsch seine Heimat verlassen musste. Denn Rudolf Hirsch war Jude. Deutscher Jude. Als solcher schrieb er in der Sprache Luthers und Goethes. Tausenden Lesern in der DDR wurde sein Name vertraut, als er unter dem Titel „Als Zeuge in dieser Sache“ von 1953 an bis ins Jahr 1983 allwöchentlich Gerichtsreportagen veröffentlichte. Er berichtete auch von bedeutenden Prozessen gegen Kriegsverbrecher aus Goebbels‘schem Geiste. Denen schrieb der Friedrichshagener Rudolf Hirsch ins Gewissen: „Es gibt … kein Entrinnen. Die Last der Geschichte ist nicht abzuschütteln. Es ist die Geschichte Deutschlands in seiner tiefsten Erniedrigung.“ 

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