Hitler auf Wagner

Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche!
Noch heute wird in Deutschland keine Symbiose aus Kunst und Macht eindringlicher, nachhaltiger und kritischer gesehen als die zwischen dem infernalen Weltzerstörer Adolf Hitler und dem musikalischen Erbauer Walhalls, Richard Wagner.

siegfried

Sequenzen des Missverstehens

Es war der Abend des 30. Januar 1933. In Berlin war an diesem Tag Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen worden und die SA marschierte, unheimlich mit tausenden Fackeln bewehrt, durch das Brandenburger Tor. Zur gleichen Zeit stand Robert von Scheidt auf der Bühne der Frankfurter Oper, „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm. Der Heldenbariton von Scheidt gab den Hans Sachs. Als er zur Schlussarie „Verachtet mir die Meister nicht“ ansetzte, trat er an die Rampe und erhob den rechten Arm zum Hitlergruß. Das Publikum war verblüfft. Nicht minder der Generalmusikdirektor der Oper, selbst am Dirigentenpult stehend: der deutsche Jude Hans Wilhelm Steinberg.

Symbolkraft lag in dieser Szene – und noch heute wird in Deutschland keine Symbiose aus Kunst und Macht eindringlicher, nachhaltiger und kritischer gesehen als die zwischen dem infernalen Weltzerstörer Adolf Hitler und dem musikalischen Erbauer Walhalls, Richard Wagner. Und immer wieder wird gefragt: Sind die Musik und sind die Schriften Richard Wagners (mit) schuld an Hitlers Gräueltaten?

Wie Hitlers Jugendfreund, August Kubizek, berichtete, war das Verhältnis Adolf Hitlers zur Persönlichkeit und zum Werke Richard Wagners von „jener einzigartigen Konsequenz“, die Hitlers ganzes Wesen erfüllte. Von frühester Jugend bis zu seinem Tode: Hitler hielt Wagner die Treue.

„Und dieses Verhältnis durchlief alle nur erdenklichen Phasen: ein erstes kindliches Ergriffensein, wachsende Hinneigung des Knaben, flammende Begeisterung des Jünglings, die sich bis zur visionären Ekstase steigerte, mit zunehmender Einsicht und Erkenntnis gesteigerter Kunstgenuss des Mannes, äußerste Förderung des Werkes, Trost, Zuflucht und Verklärung.“

Und Hitler selbst erzählte dem Freund: „Mit 12 Jahren sah ich zum ersten Mal Wilhelm Tell, wenige Monate darauf als erste Oper Lohengrin. Mit einem Schlage war ich gefesselt. Die jugendliche Begeisterung für den Bayreuther Meister kannte keine Grenzen.“

Kubizek, der in Wien so nah an der Seite Hitlers war, studierte Musik und half als Bratschist in der Hauskapelle eines reichen jüdischen Industriellen aus. Hitler nahm er einmal dorthin mit zu einer Soiree. Hitler bewunderte die Bibliothek des Hausherrn und genoss den Abend. Von Ressentiments keine Rede. Zu Wiener Zeiten war der STÜRMER-Jude für Hitler offensichtlich noch nicht erfunden…

Brauchte es dazu die Kenntnis um das Werk Richard Wagners? Dessen Antisemitismus war schillernder Natur. Sein Pamphlet „Das Judentum in der Musik“, das Wagner im Jahr 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank veröffentlichte, machte ihn – gewollt oder ungewollt – zu einer Ikone der deutschen Antisemiten. Über das „Judentum in der Musik“ zu parlieren, schien Wagner ein Bedürfnis. Es gereichte zur Diffamierung und Dämonisierung, zur Entstellung der Vielfalt jüdischer Kultur und Geschichte – und zu Wagners persönlicher Abrechnung mit Felix Mendelsohn und Giacomo Meyerbeer.

Beim Blick auf die Entwicklung der deutschen und europäischen Musik kam Wagner zu dem Ergebnis, dass die Periode des „parasitären Judentums in der Musik“ geschichtlich als die der „unvollendeten Unproduktivität, der verkommenen Stabilität“ anzusehen sei. Wagners apokalyptische Vision: Um Menschen wie alle anderen zu werden, müsse „der Jude“ aufhören, Jude zu sein, also seine eigene Kultur und Geschichte aufgeben. Falls er diesen Schritt nicht tue, werde er keine Erlösung finden, sondern drohe ihm der Untergang.

Wagner war damit Teil eines deutschen Missverständnisses. Im 19. Jahrhundert braute der Antisemitismus hierzulande eine explosive Mischung, ein Gemisch aus romantischen, antikapitalistischen, völkisch-nationalen Vorstellungen, in denen der Hass gegen die westlich liberale Demokratie die Essenz bildete.

Den Künstler Wagner von Wagner dem antisemitisch-rassistischen Ideologen zu trennen, scheint Vielen in der Rückschau unsinnig. Dabei wird Wagner unterstellt, mit den Figuren seiner utopischen Welt, in der das Kraftvolle und Schöne zur Herrschaft gelangt, den Typus eines neuen, eines germanischen, von der Moderne erlösten Menschen gestaltet und damit die Projektionsfläche der Gedankenwelt Adolf Hitler bereitet zu haben.

Ob dem so ist oder nicht: Wagner bot ein Gestaltenheer aus dem Repertoire der deutschen Kunstgeschichte auf: Im „Fliegenden Holländer“ seine Variation des Fauststoffes; in den „Meistersingern“ beschwor er die deutsche Geschichte des Mittelalters; und im „Tannhäuser“ und im „Ring des Nibelungen“ verarbeitete er germanische Mythen und mittelalterliche Heldenepen ebenso wie in „Lohengrin“ und „Parsifal“: Wagner mischte diese Elemente zu einem ästhetischen Zaubertrank– und mengte eine gehörige Portion Pangermanismus darunter.

Dabei begab Richard Wagner sich privat durchaus in die Gesellschaft jüdischer Künstler und Zeitgenossen, sagte selbst, sein Haus „Wahnfried“ werde allmählich zur Synagoge und Juden seien am Ende „doch die allervornehmsten“. Seinen früheren Freund, den berühmten jüdischen Schriftsteller Berthold Auerbach, interessierte das nicht mehr und er schrieb den Berliner Juden ins Gewissen, die jüdische Selbstachtung zu verraten, wenn sie sich derartig gierig auf Wagner-Opern stürzten, wie sie es wohl seinerzeit taten.

Und Wagner sah durchaus sein legitimes Anrecht auf allgemeine und umfassende Beachtung: „Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven; Schönheit, Glanz und Licht muß ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche!“ – und die kunst- und genietrunkene Epoche hatte durchaus Verständnis dafür.

An seinem Hofe in Bayreuth sammelte der Meister Wagner die künftigen Treuhänder seines Erbes. Zu einem der geistigen Nachlassverwalter stieg der britische Admiralssohn Houston Stewart Chamberlain auf. Chamberlain hatte in Florenz Botanik studiert, war kunstsinnig und betätigte sich alsbald in Wien als freier Schriftsteller. Dem Publikum stellte er sich nicht zuletzt als „Rassentheoretiker“ vor.

Seine Schriften hießen „Arische Weltanschauung“ oder „Rasse und Persönlichkeit“. 1882 war er bei der Uraufführung des Parsifal in Bayreuth. Während eines Dresdner Aufenthaltes gewann Chamberlain das Vertrauen von Wagners Frau Cosima und wurde schon bald in den erlauchten Kreis aufgenommen.

1896 veröffentlichte Chamberlain eine zweibändige Monographie zu Richard Wagner und drei Jahre später sein Opus Magnum: „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“, in dem er die germanische „Rasse“ lobpreiste, die anderen Völker, allem voran die Juden als Hindernisse in der Geschichte darstellte.

Der Engländer durfte im Jahre 1908 die Wagner-Tochter Eva heiraten. Gemeinsam sollten die beiden nach Hitlers Festungsaufenthalt in Landsberg die Druckfahnen seines Buches „Mein Kampf“ redigieren.

Zu den Wagners und zu Chamberlain suchte Hitler Kontakt. Als er 1923 zu seinem ersten Besuch in der Villa Wahnfried antrat, zählte er die „Grundlagen“ zu seinen Lieblingsbüchern und der „Völkische Beobachter“ erhob das Werk gar zum „Evangelium der nationalsozialistischen Bewegung“.

Die Begeisterung war beiderseitig: Hitler wurde Cosima bei seinem ersten Besuch in Bayreuth 1923 als „Retter Deutschlands“ angekündigt. Tatsächlich war man auf Haus Wahnfried überzeugt, mit Hitler sei der neue Messias gekommen. Bei den Wagners hieß er nur „Wolf“. „In Bayreuth“, sagte Hitler, „wurde das geistige Schwert geschmiedet, mit dem wir fechten.“ Und Chamberlain an Hitler:

„Sie sind ja gar nicht, wie Sie mir geschildert worden sind, ein Fanatiker, vielmehr möchte ich Sie als den unmittelbaren Gegensatz eines Fanatikers bezeichnen. Der Fanatiker erhitzt die Köpfe, Sie erwärmen die Herzen.“

Dass Cosima Wagner und ihr Bayreuther Kreis echte Antisemiten waren, daran besteht kaum Zweifel. Und selbst ein merklich verstörter Joseph Goebbels notierte nach einem Gespräch mit der Wagner-Tochter und Chamberlain- Gattin, Eva, sie sei „eine feine zarte Frau, aber doch etwas hart in ihren Anschauungen“.

Die Bedeutung Richard Wagners für Hitler skizzieren? Hitler betrachtete Richard Wagner und sein Werk als ein kulturpolitisches Modell. Sein Leben lang hielt Hitler an dieser Liebe fest. Er sah die Bayreuther Festspiele stets als seine persönliche Angelegenheit! Dies schloss seine Zuneigung zur Familie Wagner als „Onkel Wolf“ genauso ein wie seine beachtliche finanzielle Unterstützung für die Festspiele in Bayreuth.

Wurde Richard Wagner ein Opfer des Bayreuther Kreises, von Cosima Wagner und Chamberlain, von Hitler und den Nazis? Möglicherweise. Möglich auch, dass Hitler mit jungen Jahren in Wien, wie er später behauptete, in der Hofoper die Aufführung von „Tristan und Isolde“ mehr als 40 Mal gesehen hat. Als Meldegänger an der Weltkriegswestfront will Hitler, laut eigener Aussage, alle wesentlichen Stellen des Stückes vor sich hin gepfiffen haben.

Hitler identifizierte sich mit Wagner‘schen Opernfiguren, Isoldes Liebestod aus dem Tristan soll er Vielem vorgezogen haben. Doch Hitler identifizierte sich auch mit Parsifal, dem reinen Toren, der den siechen König Amfortas heilte. Und mit Lohengrin, dem Helden unbekannter Herkunft. In Wagners Bühnenstück wird am Ende des letzten Aktes dem Herzog von Brabant durch Lohengrin der Titel Führer verliehen. Als Hitler das Stück kennenlernte, war er selbst noch der Trommler, nicht der Führer.

Sollte man die Bedeutung dieses Begriffs für Hitlers eigenen Werdegang außer Acht lassen? Und natürlich: Der „Ring“ fesselte Hitler, die Geschichten von Verrat und Mord, von Gier und Inzucht. Schätzte er am Werk Wagners das Motiv der Inzucht? Den Meister Wagner beschäftigte dies zumal und insbesondere in der Walküre. Auch den „Onkel Dolf“, wenn er seiner Nichte Geli Raubal gedachte? Kurzum: Es waren weniger Wagners politische Schriften, es war sein monumentales Opernwerk, das in Deutschland für Generationen mythenbildend wirkte – um das auch Hitlers Denken sich drehte.

Es war Wagners Werk, „das so lebhaft die Welt der deutschen Vorzeit heraufbeschwor, mit ihren Heldensagen, mit den kämpfenden heidnischen Göttern und Heroen, mit Dämonen und Drachen, mit ihren Blut-und primitiven Stammesfehden, mit ihrem Sinn für das Schicksalhafte, für die Liebesseligkeit und den Adel des Todes, dieses Werk gab Deutschland eine Weltanschauung“. Oder, wie Adolf Hitler es verstand:

„Wer das nationalsozialistische Deutschland verstehen will, muss Wagner kennen!“

Doch Hitler mochte auch andere Musik. Es wird berichtet, Lehárs Operette „Die lustige Witwe“ habe er sieben Mal in einem Jahr gesehen. Und in seinem Hauptquartier, der „Wolfschanze“, erklang – möchte man seiner Diätköchin Glauben schenken – nicht Wagner, sondern die „Lustige Witwe“.

Lustig war es im Reiche Adolf Hitlers eher selten. Der sah sich selbst als den Siegfried in der Götterdämmerung und übernahm höchstselbst die Inszenierung zum Übergang des Deutschen Reiches nach Walhall. Hitler mag sich auch für den Wotan einer untergehenden Welt gehalten haben.

Als selbsternannter Gralsritter, kampfbereit gegen die „jüdisch-bolschewistische Mongolenflut“, hatte er sich 1935 gar malen lassen. Die Bezeichnung „Barbarossa“ für seinen Feldzug gegen das „jüdisch-asiatische Untermenschentum“ war kein bloßer Deckname, sondern eine persönliche Chiffre auf Hitlers Gedankenwelt, Anknüpfung an den sagenumwobenen deutschen Kaiser Friedrich I.

Den hatte auch Wagner zum Sujet gewählt; doch unvollendet blieb seine Barbarossa-Oper. Hitler, Wagner – die Unvollendeten. Vor seiner Sekretärin brüstete Hitler sich, Teile aus dem „Ring des Nibelungen“ bis zu 140 Mal gesehen zu haben. Zweifellos hat der Ring auf Hitler einen Einfluss gehabt.

Die Götterdämmerung war die letzte Wagneroper, die Hitler am 23. Juli 1940 sah. Nach der Stalingrad-Katastrophe ertönte Siegfrieds Trauermarsch aus den Volksempfängern. Im Anschluss an die Nachricht vom heldenhaften Tod Adolf Hitlers, die der deutsche Rest-Rundfunk mittels der verbliebenen Goebbelsschnauzen im Lande kundtat, erklang Siegfrieds Trauermarsch aus der Götterdämmerung, während britische Panzer schon durch Sachsen und durch Schleswig rollten.

Um mit Thomas Mann zu sprechen: „Es ist viel Hitler in Wagner“ und Wagner eine „Mischung aus Barbarismus und Raffinement und Wagners Kunst die Nachbarschaft zwischen Ästhetik und Barbarei“. Wird aber Richard Wagner durch diese unheimliche Nachbarschaft zum „praktischen, schauerlichsten Verbrechertum, gipfelnd im Holocaust“ zur Mittäterschaft gezwungen?

Für den 18. Juni 2012 war im Smolarz-Auditorium der Universität Tel Aviv das erste große Wagner- Konzert in Israel seit der Gründung des Staates im Jahre 1948 geplant. Es wurde abgesagt. Der in Israel aufgewachsene Chefdirigent der Berliner Staatskapelle, Daniel Barenboim, musste sich im gleichen Jahr scharfe Kritik gefallen lassen, nachdem er bei einem Konzert in Israel Wagner als Zugabe spielen ließ. Ein Tabubruch. „Jedoch wenn man das Wagner- Tabu bis heute aufrechterhält, bedeutet es, Hitler in gewisser Hinsicht Recht zu geben“, wie Daniel Barenboim sagt. Auch deshalb sei dem Meister aus Bayreuth weiterhin mit Freude aufgespielt und mit Andacht und Verstand gelauscht.

 


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