Dicht an dicht

Im Gespräch mit Mohannad (45), Wael (39), Aisha (29) und Amani (32) | Foto: Matthias Vorbau

Im November 2015 wurde die Turnhalle der Ahorn-Schule Friedrichshagen zu einer Notunterkunft (NUK) für Geflüchtete umfunktioniert. Aktuell leben hier 142 Geflüchtete. Die meisten flohen aus Syrien, Afghanistan und Irak. Neben allein reisenden Männern und einigen wenigen allein reisenden Frauen, leben hier hauptsächlich Familien mit ihren Kindern.

Ein Blick durch die Tür öffnet die Sicht auf Betten, die dicht an dicht stehen, abgehangen mit Laken und Decken – für ein Mindestmaß Privatsphäre. Im rechten Teil der Halle wurde etwas Platz gelassen, auf dem sich die Kinder gegenseitig in Bobbycars quer durch die Gegend schieben oder herunterschubsen oder Luftballons hinterherjagen oder auch Mitarbeiter(-innen) der NUK den Kindern hinterherjagen. Im Eingangsbereich stehen ein paar Bänke, hier werden Handys aufgeladen, Musik gehört oder Karten gespielt. Im oberen Bereich der Turnhalle wird dreimal am Tag Essen ausgeschenkt.

Sozialarbeiter(-innen) und Ehrenamtler(-innen) unterstützen bei Behördengängen, Kinderbetreuung, Arztbesuchen, beim Wäschewaschen und beim Deutschunterricht. Sie organisieren Fußballturniere, kümmern sich um Rechtsbelehrung, knüpfen Kontakte zu Schulen und Kindergärten. Sie suchen Sicherheitskräfte mit Arabischkenntnissen, um die Kommunikation zu verbessern. Sie laden nach Hause ein, zum Kochen, Wäschewaschen oder einfach zum Reden.

Kurz gesagt: Sie versuchen die Geflüchteten zu unterstützen, einzubinden und die Notunterkunft an ihre Bedürfnisse anzupassen, so gut es eben geht. Absolutes Highlight und eine willkommene Abwechslung sind Ausflüge zur Sonnenallee. Aisha, Waell, Mohannad und Amani schwärmen: „Das Essen dort ist sehr gut!“, und holen unter ihrem Bett eine Kiste mit Vorräten typisch arabischer Nahrungsmittel hervor. Die vier flohen aus Syrien, wie die meisten hier. Ihr Fluchtweg führte sie über die Türkei, über Griechenland, in einem Schlauchboot über das Mittelmeer, weite Strecken auch zu Fuß über Osteuropa und schlussendlich nach Deutschland. Und da sitze ich nun mit Aisha, Wael und Amani, bei einem Chai (Tee) und sie erzählen mir, wie es ihnen hier geht.

Was der Unterschied zwischen dem deutschen und syrischen Familienleben ist, was sie sich für die Zukunft wünschen und was ihnen an Deutschland gefällt. Mohannad, ein Freund, ist auch dabei, er übersetzt für mich ins Englische, wenn’s nicht klappt müssen eben Hände und Füße herhalten.

Wie fühlt ihr euch in der NUK?
Wael: Wir fühlen uns müde, es ist sehr laut. Die Kinder kappeln sich jeden Tag und einige Familien streiten sich. Man fühlt sich erschöpft, weil man nie wirklich zur Ruhe kommt. Meistens ist es nach Mitternacht, ehe man zum Schlafen kommt. Es wäre für alle leichter, wenn es Wohnungen gäbe. Auf Dauer ist es sehr schwer mit so vielen Menschen zusammen zu leben. Das schlechte Internet macht es uns oft schwer Kontakt zu Familienmitgliedern zu halten, die zurückgeblieben sind oder in anderen Ländern in den Camps leben. Aber wir wurden sehr herzlich aufgenommen. Alle hier sind sehr offen und hilfsbereit.

Fühlt ihr euch willkommen?
Mohannad: Ja, die Leute hier haben uns sehr herzlich empfangen. Sie tun viel für uns. Aber es gibt auch ein paar Leute (nicht auf die NUK bezogen, sondern auf Begegnungen im Alltag), die uns skeptisch gegenüberstehen. Vielleicht, weil sie Angst vor uns haben. Einige sehen in uns eine Bedrohung. Amani wurde in einem Restaurant unangenehm auf ihr Kopftuch angesprochen. Als hätten sie sich darüber geärgert, sich davon bedroht gefühlt. Sie fragten sie, warum sie das trägt und nicht abnimmt. Es schien so, als wollten sie, dass sie es abnimmt, als würden sie sich bedroht fühlen. Darum trauen sich manche Frauen nicht alleine raus. Ich glaube, das Problem ist, dass viele den Islam mit Terrorismus gleichsetzten. Das verstehe ich nicht. Der Islam ist kein Terrorismus. Warum haben die Leute Angst vor uns? Man muss unterscheiden zwischen Islam und Terrorismus. Wir sind schließlich auch Muslime und fliehen ja trotzdem vor Terrorismus. Gehen eure Kinder hier zur Schule?

Aisha: Ja, mein Sohn Jazan geht für ein Jahr in eine Willkommensklasse mit anderen Flüchtlingskindern und danach sollen sie dann in die deutschen Klassen kommen. Er mag die Schule sehr gern. Er ist sehr interessiert an der Sprache und lernt schnell. Seit Januar gibt es zwei Willkommensklassen in der Ahorn- Schule. Hier lernen die Kinder aus der NUK im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren die deutsche Sprache. Auch für die Erwachsenen gibt es täglich Deutschunterricht von 15 bis 18 Uhr in der Wilhelm-Bölsche-Schule. Aisha besucht dort den Unterricht und als wir zusammensitzen, tauschen wir deutsche gegen arabische Wörter und lachen gegenseitig über unsere holprige Aussprache in der jeweils anderen Sprache.

Was gefällt euch an Deutschland?
Mohannad: Hier sind wir sicher. Und die Leute hier haben ein sehr großes Herz und sind sehr hilfsbereit. Sie bringen uns Sachen vorbei und manchmal waschen sie unsere Kleidung.

Amani: Deutschlands Sozialsystem ist gut. Es gibt eine Krankenversicherung und man wird unterstützt, wenn man Kinder hat, und das Wetter ist wärmer als im Norden Europas.

Waell: Die Hygienestandards sind sehr hoch und hier werden die Menschenrechte eingehalten.

Gibt es auch etwas, das ihr nicht mögt?
Mohannad: Lageso. Man muss immer so lange warten und selbst, wenn du nur eine Frage stellen möchtest, wirst du abgewiesen und weggeschickt. Sie hören einem nicht zu und sind schlecht organisiert. Manche Familien stehen dort nächtelang.

Was ist an der deutschen Kultur anders und neu für euch?
Mohannad: Das Familienleben. Bei euch ist es so, dass die Kinder in einem bestimmten Alter das Haus verlassen und ihr eigenes Leben führen und eher wenig Zeit mit den Eltern verbringen. Bei uns steht die Familie über allem. Man lebt zusammen oder besucht sich gegenseitig sehr viel und man fragt, ob es Probleme gibt und wenn ja, dann hält die ganze Familie zusammen und unterstützt sich gegenseitig. Wir reden einfach sehr viel miteinander. Hier fragt man sich „Wie geht’s?“ und das war es dann aber auch oft schon. Ich habe das Gefühl, dass hier jeder sein eigenes Leben lebt. Das gibt es bei uns so nicht.

Was vermisst ihr an eurer Heimat?
Wael: Alles!
Mohannad: Diesen Familienzusammenhalt. Und überhaupt unsere Familien, unsere Eltern. Und das Klima!

Was sind Eure Wünsche für die Zukunft?
Wael: Eine eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz. Leider kann ich hier nicht als Maler arbeiten, so wie ich es in meiner Heimat tat, da ich seit meiner Schussverletzung in der Brust Schmerzen habe. Ich hoffe etwas anderes zu finden…
Mohannad: … und wir wollen zusammen mit unserer Familie sein! Wir vermissen unsere Eltern sehr!

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Kontakt und Infos zur NUK: treptow-koepenick.schnell-helfen.de

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