Fluch und Segen

Hatte die Tage gerade Post bekommen. Ich bin säumig in Sachen Rundfunkgebühren. Man kommt nicht mehr herum um den Scheiß. Habe mich so 20 Jahre davor gedrückt. Was soll´s, ich zahl jetzt gezwungener Maßen gern, für die paar Kröten wird man von den Öffentlich- Rechtlichen mit tollem Programm und objektivem Journalismus entschädigt und das Geld kommt dem Böhmermann-Prozess zu Gute. Danke, Frau Merkel. Eigentlich geht es mir aber um was völlig anderes. Gestern erst wurde mein Horizont wieder vom Radio erweitert. Thomas Tuchel, Trainer beim Bundesligavize BVB, gab die Parole aus, das Ziel sei das Ziel und nicht der Weg. Hm, da kann ich ja getrost 23 Jahre meines Lebens in die Tonne hauen, denn genau die habe ich gebraucht, um ans Ziel meiner Träume zu gelangen. Gehe nicht über los, so einfach wäre es gewesen! Hätte ich Tuchel bloß früher sprechen hören. Was sind schon 23 für einen guten Weg, wollen wir nicht jammern, ich bin ans Ziel gelangt, schenkt man den Aussagen meiner älteren Geschwister glauben. Die sagen nämlich, das mein erster Berufswunsch der des Taxifahrers war. Gut vorstellbar, denke ich an die frühe Kindheit zurück, dann war ich wirklich ziemlich beeindruckt. War nicht immer einfach damals, ein Taxi zu bekommen. Dafür wurde man bei Erfolg doch entschädigt. Vater streckte den Arm in Richtung Straße, Daumen nach oben, Bremsen kreischten, Vater öffnete den Wagenschlag vom dicken Wolga und ein brummiger Mann mit Schnauzbart und blaugrauer Uniform hieß uns einsteigen. Noch heute spüre ich den Geruch in der Nase, Aftershave, Zigarre, Abgas und Schweiß. Die Karren immer auf 11 geheizt ging´s bei minus 10 Grad Celsius warm und bequem schnellstens nach Hause. Vor der Haustür angelangt, entrichtete man in Ehrfurcht den geforderten Betrag. Fertig. Simpel. Genial. Das waren noch Zeiten...Eine Fahrt durch ¼ von Berlin für 18,50 Ost. Das ist nun Geschichte, sehr zum Leidwesen meiner Kollegen am Bahnhof Schöneweide, die das noch als aktive Fahrer in besagter Uniform miterleben durften. Und jetzt gehöre ich dazu. Leider hat das Gefühl, alles erreicht zu haben, sich bis jetzt noch nicht eingestellt. Ehrlicher Weise muss ich auch zugeben, dass sich in meinem Falle der Wunsch selbst erfüllt hat. Ganz ohne mich zu fragen, drängte sich mir dieser Job aus blanker Existenzangst auf. Nichts tun ist bei uns sehr schlecht bezahlt in den häufigsten Fällen und wenn man nicht Rockefeller sein Sohn ist. Deswegen gehen hierzulande so viele Menschen nur zur Arbeit... Was ich eigentlich schon am Anfang meiner Geschichte erzählen wollte, aber ihr habt mich nicht gelassen, ich wollte euch von den Augenblicken erzählen, in denen ich meine Berufswahl verfluche, in denen ich mir wünschte, ich wäre Bürokaufmann, Tankwart oder, besser noch und näher dran, Klofraumann. Doch seit der besagten sich selbst erfüllten, kindlichen Prophezeiung bin ich vorsichtig geworden im öffentlichen Äußern von Wünschen, gerade heute, wo eben nicht nur die Stasi zuhört. Es geht mir um Harndrang, um die volle Blase, um verdammt nochmal Pissen-müssen-undnicht- gehen-können. Zugegeben, ich habe im Laufe der Jahre meine Blase extrem trainiert und den Stoffwechsel habe ich sowieso voll im Griff, dennoch gibt es eben Situationen, in denen sich ein Wald oder ein Baum etwas abseits des Straßenlandes sehr von Vorteil erweist. Naiv wie ich war, suchte ich am Anfang meiner Karriere oft Gaststätten und Tankstellen auf, in der blinden Hoffnung, meiner gefüllten Blase Erleichterung zu verschaffen. Leider die Rechnung wieder ohne den Wirt gemacht. In Gaststätten ist man nicht verzehrend kein gern gesehener Gast, Tankstellentoiletten sind oft ein Fall für´s Gesundheitsamt. Auch bei den von Total, Aral und Co. viel beworbenen Tankstellenbistros: Fehlanzeige. Freudestrahlend Kaffee bestellend fordere ich im zweiten Atemzug den Schlüssel zur Schüssel und bekomme statt dessen zur Antwort: Besetzt, verstopft, frisch gestrichen. Die Augen starr, feucht und unentschlossen verlasse ich den ungastlichen Ort, gieße den heißen Kaffee auf die Blase und suche mir wie eine räudige Töle einen Baum, etwas im Abseits der Öffentlichkeit, wenn ich dann die Chance habe. Es gibt so Situationen, da klappt das nicht. Beispiel. Flughafen Tegel. Der Taxi Nachrückparkplatz hat einen komfortablen Klo- Container mit zwei Standbecken und einer Nirosta- Pissrinne für zwei Personen, gut dimensioniert für 300 Kaffee und Tee trinkende Droschkenkutscher, wenn man abgezähltes Kleingeld zur Hand hat. Cem, mein türkischer Kollege, dem ich vor Jahren mal handfesten Beistand bei einem Zahlungsstreit leistete, spendiert mir Kaffee so oft er mich am TXL erblickt (mit Milch und Zucker, so wie ich ihn nicht ausstehen kann, aber versuch Du mal, einem Türken was abzuschlagen oder auszureden). Ganz klar versäume ich den Toilettengang, stehe mit gefüllter Blase eine gefühlte Ewigkeit an der Ladenleiste, um dann eine Fahrt in eine baumlose Gegend mit viel Öffentlichkeit zu bekommen. Oft wird mein beruflicher Alltag nicht davon bestimmt, wo man die lukrativsten Fahrten bekommt, sondern wo man günstig und ungesehen pinkeln kann. Ich habe mir so die ganze Stadt erarbeitet, habe in den Grunewald genauso gepinkelt wie in den Frohnauer Forst, den Tiergarten und die Wuhlheide. Herrlich die Brücke an der Thaerstraße, Sternenhimmel und Eisenbahnromantik, nur der Baum, dein Ding und dann Erleichterung. Muss schließen jetzt. Könnte noch viele, schöne Orte aufzählen. Doch das Maß ist voll und ich muss jetzt pinkeln. Was bleibt, ist die Moral der Geschicht: Schüttle nie die Hand eines Taxifahrers, du weißt nie was er vorher geschüttelt hat.

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