Arbeitsplätze für die Autoindustrie

Im Interview mit dem Direktkandidaten der Bündnisgünen, Erik Marquardt
Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür, am 24. September 2017 geht’s an die Urnen. Über 60 Millionen Bürger sind an diesem Tag aufgerufen, den 19. Deutschen Bundestag zu wählen. In Treptow-Köpenick (Wahlkreis 84) bewerben sich fünf Kandidaten verschiedener Parteien, die wir in einer Serie vorstellen möchten. Wer die meisten Erststimmen auf sich vereinigen kann und damit das Direktmandat erhält, zieht in den Bundestag.

Diesmal in unserer Serie: Erik Marquardt von Bündnis 90/Die Grünen. Von 2014 bis 2015 war der 29-Jährige Sprecher und Vorsitzender der Grünen Jugend. Direkt im Anschluss ist er in den Bundesparteirat der Grünen gewählt worden. Er verdient sich sein Geld als Fotojournalist und bereiste seit der Flüchtlingskrise 2015 Afghanistan, die Balkan-Route und die Türkei. In Fotovorträgen macht er hierzulande auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam. Geboren und aufgewachsen in Wilhelmshagen, wohnt er jetzt in Weißensee. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung des Umweltschutzes, Abschiebungen nach Afghanistan und den Zehn-Punkte-Plan der Grünen.

Herr Marquardt, rechnen Sie sich Chancen aus gegen Gregor Gysi von der Linken?
Man tritt natürlich an, um gewählt zu werden. Ich werde um möglichst viele Stimmen kämpfen. Aber ich mag nicht lügen: Wir werben vor allem um die Zweitstimme, weil wir sinnvolle Themen ansprechen wollen. Es sieht nicht so aus, als ob wir hier ein Direktmandat erreichen.

Sie stehen auch auf der Landesliste, auf Platz 6. Haben Sie dadurch größere Chancen, in den Bundestag zu kommen?
Listenplatz 6 ist schon eine Herausforderung, doch es geht im Wahlkampf nicht darum, sich um Ämter zu bewerben. Ich sehe darin eine Chance, Menschen für Politik zu begeistern, Leute für politische Themen zu sensibilisieren. Im Alltag bleibt selten noch Zeit, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Während des Wahlkampfs jedoch ist die Aufmerksamkeit dafür größer, Politiker kommen näher an die Leute heran.

Was sind Ihre persönlichen Stärken und Schwächen?
Meine Stärke ist, dass ich neugierig und wissbegierig bin. Ich höre aber auch zu, was die anderen zu sagen haben. Politiker, finde ich, sollten nicht nur Antworten geben, sondern auch Fragen stellen. Aber vielleicht betreibe ich zu viel Aufwand, um alles ganz genau zu verstehen. Das geht bis zum Schlafdefizit. Ich weiß, ich sollte mir da öfter Grenzen setzen, um meine Familie und Freunde nicht zu vernachlässigen. Ich muss noch an meiner Politik-Life-Balance arbeiten.

Was verbindet Sie mit Treptow-Köpenick?
Ich bin Wilhelmshagen groß geworden und habe hier die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Ich denke an meine Entwicklung, wie ich groß geworden, wie ich zur Politik gekommen bin. Erinnerungen an Freunde, an Abende am Müggelsee.

Was macht den Bezirk in Ihren Augen besonders attraktiv?
Es ist ein schöner großer grüner Bezirk mit vielen unterschiedlichen Menschen. Ich will den Wahlkampf nutzen, alle Ecken und Ortsteile kennenzulernen. Und wir müssen dafür sorgen, dass der grüne Bezirk in der Stadt nicht zugepflastert wird. Besucher aus New York, Paris, London kennen das nämlich gar nicht.

Sie persönlich setzen nicht auf populäre Themen, sondern werben für eine gerechte und weltoffene Gesellschaft.
Sinn der Politik ist es nicht, das zu sagen, was die Leute hören wollen, sondern auf die Brennpunkte hinzuweisen. Den Klimawandel zum Beispiel muss man jetzt angehen, auch wenn die Auswirkungen noch gar nicht richtig zu spüren sind. Die anderen Parteien denken da nur kurzfristig, bis zur nächsten Wahl. Wir Grünen blicken weiter in die Zukunft: Derzeit sind 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, ihre Lebensgrundlage ist zerstört. Eine Ursache ist der Klimawandel. Auf diese Probleme muss man hinweisen, auch wenn sie nicht den Weg auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen.

Glauben Sie, damit Erfolg zu haben?
Langfristig, ja. Die Freiheiten, die wir heute haben – Meinungs- und Pressefreiheit, Gleichberechtigung – sind das Ergebnis von jahrzehnte- und jahrhundertelangen Kämpfen. Inzwischen gibt es sogar Bestrebungen diese Entwicklungen zurückzudrehen. Darum sollte man beharrlich auf die Probleme hinweisen, etwa im Umweltschutz, um sie irgendwann zu lösen.

„Krebs und Straßenverkehr fordern viel mehr Opfer als der islamistische Terror.“

Manche Kommentatoren schrieben, Donald Trump habe mit seinem Nein zum Klimaabkommen den Klimaschutz wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Und damit die Grünen gestärkt. Ist da was dran?

Ich will keine Hilfe von Trump, ich würde ihn lieber stürzen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass so ein Mensch Präsident werden konnte. Ich folge ihm auf Twitter und finde es erschreckend, wie er Politik macht. Als mächtigster Mann der Welt stellt er den Klimawandel in Abrede und baut triumphierend wieder Kohleminen. Das ist schwer verdaulich.

Viele wissen nicht mehr, wofür die Grünen stehen. In Berlin sind sie in einem Linksbündnis, in Baden-Württemberg gibt es eine grün-schwarze Koalition, in Rheinland-Pfalz die Ampel. Sind die Grünen eine Wundertüte?

Für mich sind die Grünen eine links-liberale Partei. Ich wundere mich auch, dass es so schwer fällt, linke Positionen zu artikulieren und sie in ein Programm zu gießen. Wir müssen deutlich machen, wofür wir stehen und dass wir eine glaubwürdige Partei sind. Aber wir tun uns in letzter Zeit schwer damit, das in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie die Abschiebung nach Afghanistan: Als das Ganze akut wurde, kam bei einer entsprechenden Suchanfrage im Netz heraus: Die Grünen kritisieren das kaum. Sie haben sich teilweise nur halbherzig dem Koalitionspartner entgegengestellt. In Berlin und Niedersachsen werden Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt, in anderen Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligun laufen sie weiter. Aber wie wir wirklich dazu stehen, ist im Moment schwierig herauszufinden.

Wie würden Sie das ändern?
Wir müssen wieder klarer in den Aussagen werden, prägnanter in den Entscheidungen. Wir sollten vermeiden, in manchen Bundesländern Nachrichten zu produzieren, die nichts mit dem grünen Programm zu tun haben. Es kann nicht sein, dass durch mächtige Personen wie etwa in Baden-Württemberg Minderheitenpositionen in den Medien zum Standpunkt der Grünen werden. Ich erwarte vom Parteivorstand, dass sich die Grünen von solchen Aussagen distanzieren und zumindest auf Bundesebene einen eigenen Standpunkt durchsetzen.

Sie sagten eben, die Grünen seien links-liberal. Nehmen wir doch das große Thema der SPD, die soziale Gerechtigkeit. Wie stehen die Grünen dazu?
Soziale Gerechtigkeit ist tatsächlich ein großes Thema, das die Leute bewegt. Im Durchschnitt geht’s den Leuten in Deutschland gut. Aber das hilft nicht denen, die durchs Netz gefallen sind, die in Altersarmut leben, die mit den Hartz-IV-Sätzen nicht klar kommen und Sanktionen erfahren, weil sie bestimmte Anforderungen nicht erfüllen. Um diese Leute muss man sich kümmern und ihnen wieder Perspektiven schaffen.

Wo aber macht Grün wirklich den Unterschied?
Ökologie, Klima, Umwelt – grüne Kernthemen erscheinen oft als weiche Punkte. Aber im Endeffekt geht es um entscheidende Menschheitsfragen: Barack Obama hat einmal gesagt, wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels spürt, und die letzte, die etwas dagegen tun kann. Dieses berühme Zitat treibt mich um, weil die nächste Generation schon Probleme haben wird, sich selbst zu ernähren. Hungersnöte werden wiederum zu Kriegen führen. Und wir als Grüne sind am besten geeignet, diese Themen im Parlament anzusprechen. Dafür werden wir gebraucht. Und es betrifft uns ja auch in Deutschland.

Meinen Sie, wir werden eine Hungersnot im Land haben?
Nein, aber die Autoindustrie – da fordern wir, dass ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden, sondern dass man auf erneuerbare Energien umsteigt. Damit wollen wir nicht die Autofahrer ärgern. Wir sind nur überzeugt, dass die jetzige Technologie keine Zukunft mehr hat. Und wenn wir nicht bald damit anfangen, bei den Autokonzernen umzurüsten und in Forschung zu investieren, dann verlieren wir in Deutschland Jobs. Diese Entwicklung dürfen wir nicht verschlafen, weil sie auch der Autoindustrie schaden wird. Wir setzen uns für Arbeitsplätze ein. Bei der Ökologie macht Grün auf alle Fälle den Unterschied.

„Ich will keine Hilfe von Trump, ich würde ihn lieber stürzen.“

Ist Umweltschutz der einzige Punkt?
Auch im Bereich Asyl und Migration macht die Partei der Grünen für mich den Unterschied. Bei uns fordert niemand eine Mauer, um Flüchtlingsströme zu stoppen. Mauern und Zäune lösen keine Probleme. Sie führen nur dazu, dass man sie nicht mehr sieht. Vielleicht ist dann eine Turnhalle weniger belegt, und ein paar Kinder bei uns haben weniger Sportunterricht. [A1] Wobei es mir nicht darum geht. Aber wenn die Flüchtlinge nicht in der Turnhalle schlafen, schlafen sie vielleicht im Kriegsgebiet von Aleppo in einer Ruine und müssen dort sterben. So sieht die Realität leider aus.

Welche Lösungen haben die Grünen?
Fluchtursachen bekämpfen. Das ist der einzige Weg, dem man sich jetzt widmen muss. Man muss dafür sorgen, dass sich gar nicht erst so viele Menschen für eine Flucht entscheiden. In den Ländern, aus denen die Flüchtlinge zu uns kommen, brauchen wir wieder lebenswerte Bedingungen. Es ist ja ein Irrtum anzunehmen, die Grünen wollten besonders viele Flüchtlinge ins Land holen. Sein Land zu verlassen, weil dort Krieg oder Hunger herrschen, stellt für jeden Einzelnen eine riesige Tragödie dar.

An erster Stelle des Zehn-Punkte-Plans, mit dem die Grünen in den Wahlkampf gehen, wirbt Ihre Partei für Umwelt-Themen – Klimaschutz, E-Mobilität, nachhaltige Landwirtschaft. Besinnen sich die Grünen auf ihre Wurzeln als Öko-Partei?
Leider fällt vielen gar nicht mehr auf, dass die Grünen in Sachen Umweltschutz und Tierschutz immer noch eine Vorreiterrolle haben. Das ist beim letzten Wahlkampf zu Tage getreten. Diesmal wollen wir deutlich herausstellen, dass Ökologie unser Kernthema ist. Martin Schulz etwa tut immer noch so, als hätte die Kohleindustrie eine Zukunft. Und als hätte man ökologisch keine Verantwortung für Deutschland. Das wollen wir nicht zulassen.

Wollen die Grünen mit dem Zehn-Punkte-Plan Ihr Profil schärfen?
Natürlich, es gibt ja auch Punkte zur Integration, zu Fluchtursachen, zur Sicherheit. Ich hätte es aber sinnvoller gefunden, die Forderungen mehr zuzuspitzen. Ich finde, man sollte sich mehr trauen und deutlicher sagen, wofür man steht. Aber gut, die zehn Punkte bieten eine schnelle Orientierung, welche Themen die Grünen gerade gut finden. Aber unser Wahlprogramm ist viel umfassender.

Seit dem Atomausstieg der Kanzlerin haben die Grünen ein wichtiges Thema verloren.
Damit ist ja nicht das Umweltproblem insgesamt und global gelöst. Und natürlich betrifft es auch uns, wenn an der Grenze zu Belgien und Frankreich marode Atomkraftwerke am Netz bleiben. Wenn so ein Kraftwerk kaputtgeht, wie in Fukushima, haben wir eine riesige Katastrophe, auch in Deutschland. Aber das scheint niemanden zu interessieren.

Die Mehrheit interessiert sich, so scheint es, im Moment mehr für innere Sicherheit. Im Zehn-Punkte Plan heißt es, die Grünen stehen für eine effektive Sicherheitspolitik. Wie sieht die aus?
Wir haben im Fall Anis Amri gesehen, wie die Behörden versagt haben. Solche Fälle muss man unbedingt aufklären und dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Es ist eine große Gefahr, dass sich der islamistische Terror in Deutschland ausbreitet, und die Leute haben Angst davor. Darum müssen wir die Strukturen verbessern, damit die Behörden besser zusammenarbeiten, auf nationaler und internationaler Ebene. Damit sich ein solcher Fall nicht wiederholt. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen.

Sie meinen der Terror wird zu sehr aufgebauscht?
Sicher. Menschen, die nach Deutschland kommen, sollen ordentlich registriert werden, und nur einmal, bitte sehr. Das Asylsystem sollte in geordneten Bahnen laufen. Andererseits muss man sagen, dass die meisten Flüchtlinge selbst vor dem islamistischen Terror geflohen sind, Muslima machen den Großteil der Opfer aus. Das bestätigen auch die Zahlen: Krebs und Straßenverkehr fordern zehntausend mal mehr Opfer als der islamistische Terror.


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