Honnies Oberindianer

Der Schauspieler Gojko Mitić
Da hatte der Udo definitiv was durcheinandergebracht, als er seinen Sonderzug nach Pankow rollen ließ: Oberindianer in Honnies Reservat war nur einer: Gojko. Daran gibt es keine Zweifel. Denn Land auf, Land ab ist dem Verständnis der Leute nach aber wirklich niemand anderes Indianer des wilden deutschen Ostens gewesen als Gojko Mitic. Muskelbepackt unter braunroter Haut, mit gestriegeltem Schwarzhaar, in Mokassins und fransigen Lederhosen: So war er, unser Gojko. Bevor er unser wurde, war der Gojko als Sohn serbischer Bauersleute nahe der Stadt Leskovac an Serbiens großem Fluß, der Morava, in der späteren Föderativen Volksrepublik Jugoslawien zur Welt gekommen. Der stattliche Bursche wuchs bei den Großeltern auf, lernte fl eißig, wenn er seinen Körper nicht gerade stählte, wurde früh in Deutsch unterrichtet, mit dieser Sprache sehr vertraut, und machte das Abitur. Weil die Indianer in den John-Wayne-Filmen, die er als Kind so gerne sah, immer böse waren, war er in seinem Spiel lieber der Cowboy, bis der große Junge Gojko Mitic in Belgrad begann Sport zu studieren und das Leben ihm seine wahre Rolle zeigte. Lehrer meinte er anfangs noch werden zu wollen. Doch als ein internationales Filmteam auf der Suche nach reitbegabten Komparsen für den Film „Sword of Lancelot“ an der Sporthochschule Halt machte, erkannte der 20-Jährige seine Chance und die Filmleute einen Teil seiner Begabung und Gojko durfte in dem Mittelaltergemetzel sogar den Hauptdarsteller Cornel Wilde vertreten.
Aber nicht lange doubelte er in diversen britischen und italienischen Produktionen für die etwas kleinmütigen Mimen verwegene Helden der Leinwand. Bald nachdem er in „Onkel Toms Hütte“ den Attentäter auf Abraham Lincoln gespielt hatte, durfte Gojko schon als Staff age für Lex Old Shatterhand Barker und Pierre Winnetou Brice den Duft der Filmprärie und von Indianer(darsteller)- schweiß genießen und einen tanzenden Apachenkrieger zum Besten geben, um bald darauf unter Geiern sein Heil neben Stewart Granger, Götz George und Terence Hill zu suchen. Das Western-Genre war damals groß in Mode und füllte in den 1960er Jahren Kinosäle und Wohnstubensessel – deutschlandweit. Dieser Erkenntnis eingedenk, wollte die DEFA den kommerziellen Konkurrenten des wildkapitalistischen Westens nicht nachstehen und wartete bald mit einer klassengefestigten Sicht auf die Geschichte Amerikas auf. Dafür warf sich Gojko Mitic nun als Häuptling Tokei-ihto in Schale und dem bösen Wesen des weißen Mannes entgegen. Seine erste Hauptrolle im DEFA-Klassiker „Die Söhne der Großen Bärin“ war, „der Einbruch des romantischen Protests gegen ... schale Realitätsprinzipien“, wie ein späterer Rezensent schrieb. Der Film machte ihn schlagartig zum Star. Elf der damals 17 Millionen DDR-Bürger sollen ihn im Kino geschaut haben. Und was nun folgte, war eine Bilderbuch- oder eben einzigartige Filmkarriere. Als Häuptling Chingachgook, Ulzena oder Tecumseh – Gojko Mitic wusste sich immer gut ins Bild zu setzen, überzeugte durch seine schauspielerische Präsenz und begeisterte Publikum und Kollegen durch seine wagemutigen Stunts. Die Filme der DEFA machten Gojko Mitic über die Grenzen der kleinen Arbeiter- und Bauern Republik bekannt. In Polen und der Sowjetunion, in Ländern Afrikas und Asiens fanden die Indianer-Streifen mit Gojko zahllose Fans. In der ersten Zeit trug er dafür beinahe jährlich in einem Film die gute Rothaut zu Markte und vor die Kamera. Und alle dankten es ihm. Unzählige Kinderzimmer zierten Poster: Gojko der Oberindianer, Häuptling aller Guten, unergründlicher Indianerblick und stolze Pose. Eine DDR-Combo huldigte ihm („Und jedes Mädchen wäre gern seine Squaw in der Not“) und verkündete der Welt zu guter Letzt sogar: „He, Gojko, Gojko, du bist ganz groß!“ Und selbst die Kritiker lobten: „Wo er auch hinkommt, ob zu Filmforen, zu Premieren während der alljährlichen Sommerfi lmtage oder zum Berliner Opernball, stets ist er umringt von Autogrammjägern, und immer erfüllt er diese Pfl icht als Publikumsliebling freundlich lächelnd, hat für jeden ein gutes Wort und verliert selbst im heftigsten Gedränge nie seine charmante Liebenswürdigkeit.“ Und die BZA wusste: „Die Popularität dieses Schauspielers ist ungeheuer. Die Gerechtigkeit, die er verkörpert, die Wahrheitsliebe und Furchtlosigkeit – gepaart mit romantischem Abenteuer – machen ihn zu einem erstrebenswerten Freund, den man sonst nur aus Märchenbüchern kennt.“ Beim Einkauf in der Kaufhalle im Kiez der Proletarier und Mittelständler – ja, das war der Prenzlauer Berg einmal – konnte man ihn treff en. Dort wohnte der Filmstar. Eher bescheiden wirkte der Mann, dem die quasi Heldenverehrung in der nach Lichtgestalten dürstenden Kohlrübenrepublik zuteil wurde. Doch um nicht zeitlebens „Indianer vom Dienst“ zu sein, unternahm Gojko Mitic den Sprung über die Klippe der Besetzungsfachgrenze und versuchte sich als Kosmonaut in einem Science-Fiction-Film, gefiel Publikum und Nomenklatura als Agent Boris in der Kundschafterserie „Archiv des Todes“ und mutiger Partisan Pablo Calvo an der „Front ohne Gnade“. Am Bergtheater in Thale erlebten Zehntausende ihren Häuptling Gojko als Spartacus, Robin Hood und D'Artagnan. Er veröff entlichte Lieder auf Schallplatten und moderierte die große Unterhaltungsshow des Ostens, den „Kessel Buntes“. 1982 übte er dann doch noch den Beruf, dem er ursprünglich hatte nachgehen wollen, für einige Sequenzen aus: „Der lange Ritt zur Schule“, worin Gojko Mitic zugleich als Sportlehrer und Roter Milan auftritt und das Genre der Indianerfilme und Western unnachahmlich parodiert, ist ein „fantasievoll erzähltes modernes Märchen, dessen ‚Sprünge‘ zwischen Traum und Wirklichkeit sich nie verbrauchen“, wie das Lexikon des internationalen Films urteilt. Der Eintritt von DDR und Defa in die ewigen Jagdgründe der Weltgeschichte kostete dem Gojko seinen Skalp nicht! Denn er hatte sich weder ernsthaft kompromittiert am politischen System, noch war er talentfrei oder gar ambitionslos in die neue Zeit getreten. Im Gegenteil: Gojko Mitic gelang, was der DDR versagt geblieben war: Er löste sein Pendant im Westen in dessen Hauptrolle ab. Als „Winnetou“-Nachfolger von Pierre Brice stand Gojko Mitic bei 1024 (!) Aufführungen in den Jahren von 1992 bis 2006 auf der Bühne, da war er bereits 66 Jahre alt und zum umjubelten Star bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg geworden. Der zeitlose Frauenschwarm fand bis heute immer sein Publikum, unternahm auch einen Ausflug in die Welt der Daily-Soaps, spielte in knapp 100 Folgen von „Verbotene Liebe“, in der Krimiserie „Soko-Leipzig“ und in „Donna Leon“. Vor einem Jahr, am 13. Juni, ist der Sohn der großen Bärin 70 Jahre alt geworden. Da hat er noch als Häuptling Bromden in „Einer flog über das Kuckucksnest“ am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin auf der Bühne gestanden, wo er bereits ein Jahr zuvor als Alexis Sorbas brillierte. Alter ist für ihn eine Frage der Einstellung, „es kommt von innen heraus“, sagt er. Konsequent hat er aufs Friedenspfeifchenrauchen verzichtet, mäßig dem Feuerwasser zugesprochen. Noch immer taucht und schwimmt er, fährt Rad oder reitet, fährt Kajak auf der Dahme, wenn er nicht gerade liest oder fotografiert. Zu alledem hat Gojko Mitic sich die bestmögliche Umgebung gewählt: Denn mittlerweile lebt er Köpenick, ist angekommen, wo es jedem gut tun kann zu sein, wohnt direkt am Wasser. „Da kommen immer wieder Enten vorbei“, sagt er. Schön ist es hier, einfach nett, in Köpenick.

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