Die Brüder Götze

Raub und Mord in Köpenick und anderswo
Erstveröffentlichung am 11.02.2014
Den Komplizen erschossen und im Müggelsee „versengt mit Seil beschwert“ zu haben – das hätte der Walter Götze den Kriminalern zu gerne weisgemacht. Die lasen mit Interesse und Genugtuung den Kassiber, dessen sie am dritten Verhandlungstag vor dem Berliner Sondergericht im Juni 1938 habhaft wurden. Das ihn selbst inkriminierende Schriftstück wollte der Angeklagte seinem Bruder, dem Max Götze, zukommen lassen. Der saß, wie er, auf der Anklagebank. Jahrelang hatte dieses räuberische und, ja, ja, mordschnaubende Duo die Berliner Polizisten zum Besten gehalten, als sie plündernd durch die Wälder in und rings der Reichshauptstadt zogen, auch manch abgelegenen Bahnhof plündernd heimsuchten.

götzes
Foto: Maulbär-Archiv

Es war eines der letzten Spiele, die Walter Götze mit der Berliner Polizei spielte, als er die Beamten im Winter 1938 zum Narren hielt. „Nächsten Tag am Müggelsee an Ort und Stelle vormachen, wie ich den Komplizen erschossen und versengt habe. Haben Sie mir dann geglaubt. Während dem Eis in Müggelsee versengt. 2 Boote von Wasserpolizei 4 Tage gesucht.“ Einen Komplizen hatte er nicht erschossen. Seinen Handlanger wollte er decken – und schickte die Polizisten aufs glatte Eis des Müggelsees. Zuvor hatte Walter in Kumpanei mit Bruder Max jahrelang ganze Polizeiregimenter in Atem und bei schlechter Laune gehalten.


Saubere Früchtchen

Den Anfang machte das Pärchen bereits, da waren sie noch halbe Knaben. Die 1920er Jahre sind noch jung, und Max und Walter gingen zur Hand im Fuhrgeschäft ihres Vaters in Köpenick. Durch ihre Hände ging dabei so manches. Von einer fremden Handtasche hier bis zum unbewachten Kupferkabel dort. Das fuhren die sauberen Früchtchen ab, in rauen Mengen. Postdraht, den sie in Berlins Umgebung demontiert und eingesammelt hatten. Die Reichspost fand’s nicht nett. Die Richter auch nicht und steckten die beiden ins Zuchthaus.

Wäre es nach dem Spruch der Richter gegangen, wären die Götzes für 25 Jahre dort verblieben. Doch die Zeiten änderten sich und 1933 benötigte die neue Herrschaft Zuchthauszellen anderweitig. Knastbrüder wie die Götzes wurden auf freien Fuß und in Arbeit gesetzt. Doch statt es den Hakenkreuzlern zu danken, legten die Götzes nun erst richtig los.


Verbotene Techtelmechtel im Grunewald

Im Grunewald: „Der ganze Klafter Süßholz kost'nen Taler“ – das war einmal. Jetzt kamen Max und Walter und machten das Vergnügen teuer. Denn die nahmen gerne mehr und bevorzugt die prallen Brieftaschen der Privatchauffeure junger Damen. So traten sie des nächtens im warmen Sommer 1935 an manche Autotüre, öffneten diese mit vorgehaltener Pistole – und mit einem satten „Geld her!“ wurde das Techtelmächtel kurzerhand beendet, wechselten Portemonnaies den Besitzer.

Minister Goebbels schäumte vor Wut über die monatelang vergeblichen Versuche der Berliner Polizei, der Räuber habhaft zu werden. Jegliche Presseberichterstattung wurde verboten. Denn eine Verbrechensserie passte nicht in die heile Propagandawelt des Dritten Reiches und schon gar so kurz vor den Olympischen Spielen des Jahres 1936. Die Kripo tat ihr Möglichstes, durchkämmte wiederholt den Grunewald, Beamte mimten den Lockvogel und kosten einander wie Turtelnde. Ein Kommissar setzte zur Verbrecherjagd gar seinen privaten Sportwagen nebst Gattin in Szene. Alles ohne Erfolg.


Gangster made in Köpenick

Und die Götzes? Sie gingen ihnen nicht auf dem Leim, sondern in die Wälder des Südostens. Nahezu ein Heimspiel, sozusagen für die Gangster made in Köpenick. Wenn sie ihre Hauptquartiere – Max in der Adlershofer Arrasstraße 110, heute Florian Geyer-Straße 110, und Walter in Oberschöneweide, Marienstraße 1 – verließen, zog es sie an die Landstraßen von Fredersdorf und nach NeuZittau, Königswusterhausen und Mahlow: In Fangschleuse und bei Hangelsberg, von Neu-Hartmannsdorf bis Müncheberg stürzten plötzlich Bäume auf die Straße, kamen des Nachts Wagen daher. Versuchten die Fahrer in Gegenrichtung zu entkommen, fiel auch dort ein Baum, saßen sie in der Falle. Lichtkegel blendeten den Automobilisten.

Ein Maskierter riss die Türe auf, mit vorgehaltener Pistole forderte er Bares. So geschehen winters wie sommers jener Zeit. Und es konnte jeden treffen. Waren es am Wannsee der französische Diplomat,der mit seiner kleinen Tänzerin eine Mondscheinsonate trällerte, oder der Brauerei-Direktor, seiner Sekretärin nachts auf der Avus Fahrunterricht gebend, wurden im Osten nicht sinnliche Nachtschärmer und heimkehrende Fuhrleute allein zu Opfern der Götzes: Selbst vor einem SS-Führer, einem Gauamtsleiter und einem Kreisleiter der Partei machten die Raubbrüder nicht halt.

Dann, am 2. November 1935, legen sie noch einen drauf: Einen zweistöckigen Omnibus, Linie 28, unterwegs auf der Müggelheimer Chaussee in Richtung Köpenick, kapern die Götzes, als der Fahrer einen riesigen Ast auf der Fahrbahn wahrnimmt und im Näherkommen in Augenhöhe ein über die Straße gespanntes Seil sieht. Vollbremsung. Es wollen neue Gäste einsteigen. „Hände hoch! Geld her!“, schallt's von der Tür. Und noch bevor der verdutzte BVG-Mann, Urbild eines Berliner Omnibusfahrers und auf der Brust das Eiserne Kreuz Erster Klasse aus dem vorigen Krieg, miff und maff sagen mag, kracht ein Schuss. Der Fahrer blickt in einen Trommelrevolver.

Er drückt aufs Gas, versucht seinen Bus auf Hochtouren zu bringen. Die Geldtasche legt er unter seinen Sitz. Im Höchsttempo rast der Bus Köpenick zu. Peng, ein Schuss im Wagen. Das Geschoss in der Fahrer-lehne. „Lass halten!“, brüllt der Räuber. Wieder kracht ein Schuss. Der Räuber macht Ernst. Der Fahrer springt aus dem fahrenden Gefährt …

Die Gangster erweiterten ihr Portfolio. Im Sommer 1935 hatten sie die Stationskasse des S-Bahnhofs in Rahnsdorf mitgehen lassen: Gitterstäbe eines Toilettenfensters durchgesägt, hinein und wieder raus. Ein Jahr darauf hatte die Kassiererin dem Kontrollbeamten gerade die Einnahmen von 580 RM vorgelegt, als die Fensterscheibe zersprang, ein maskierter Kerl:

„Maul halten und nicht rühren!"

schrie und sich mit einem Griff des Geldbeutels bediente.


Was in Rahnsdorf geht, klappt in Hirschgarten allemal

So zogen die Götzes am 5. September 1936 die Register ihres Könnens und wiederholten die Kassenberaubungen am S-Bahnhof Hirschgarten. Doch es klappt nicht wie gewollt. Als die Türscheibe klirrt, eilt der Beamte dorthin. Es kommt zum Kampf. Es fallen Schüsse. Der uniformierte Beamte stürzt zum Telefon, alarmiert das Überfallkommando. Noch einmal entkommen die Götzes. Ihre Beute: 50 RM.

Das Geschehen war ihnen mittlerweile außer Kontrolle geraten. Walter machte immer häufiger von der Schusswaffe Gebrauch. Und: Er war zum Mörder geworden: 24. März 1937, Walter Götze geht auf dem Fußweg neben dem Fahrdamm Grünau-Schmöckwitz. Es ist bereits dunkel. Da kommt ein Radfahrer auf ihn zu. „Hallo, wo wollen Sie hin?“ „Heim, nach Schmöckwitz!“ „Was haben Sie in der Tasche?“ „Meine Thermosflasche“ „… zeigen Sie mal her!“, sagte Polizeioberwachtmeister Hermann, der hier auf Streife war, wie Hunderte anderer Beamter zur gleichen Zeit. Da schoss Walter zuerst und hüpfte in den Wald

Am 13. Juni 1938 begann der Prozess. Den Brüdern aus Oberschöneweide und Adlershof wurden 157 Raubtaten mit rund 13.000 Mark Beute, 16 schwere Körperverletzungen und zwei Morde zur Last gelegt. Neben dem Mord an dem Polizeibeamten Hermann erschoss Walter Götze im Grunewald, am Hundekehlensee, in der Nacht zum Ostermontag 1937 den 21-jährigen Arbeiter Bruno Lis, der mit seiner Freundin vom Tanz gekommen war.


Von Roland Freisler auf den Laib geschrieben

Unsicher, auch den Räuber Max Götze zum Tode verurteilen zu können, informierte Staatsanwalt Henkel den Staatssekretär im Reichsjustizministerium Roland Freisler. Im Eilverfahren wurde unter dessen Federführung noch während des Gerichtsverfahrens ein Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen erlassen, das in Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien rückwirkend die schärferen Aburteilung der Täter ermöglicht hätte und in die Rechts- und Kriminalgeschichte als „Lex Götze“ eingegangen ist.

Die Juristen sträubten sich jedoch gegen die Anwendung dieses unerhörten Gesetzes. Als sie in der Verhandlung feststellten, dass Max Götze beim Raubüberfall auf den Bahnhof Hirschgarten auf einen uniformierten Bahnbeamten während dessen „amtlicher Tätigkeit“ geschossen hatte, urteilten sie ihn mit dem Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens ab, dass auch demjenigen den Tod androhte, der einen Beamten während des Dienstes zu töten versuchte.

Walter und Max Götze starben am 30. Juni 1938 auf der Guillotine von Plötzensee. „Im Namen des Volkes“ wurden ihre Taten bereits 1938 für die Kinoleinwand mit der Fachberatung durch das Reichskriminalpolizeiamt verfilmt. Der Film wurde im Januar 1939, am „Tag der Deutschen Polizei“, im Berliner Tauentzien-Palast uraufgeführt und in der „Filmwelt“ war das Resümee zu lesen:

„Es gibt heute keinerlei falsche Sentimentalität oder Romantik mehr, es wird nicht mehr ein Lump vermittels psychoanalytischer Zaubertricks als Opfer einer Umgebung hingestellt … Der ganze Dreck ist weggefegt. Das nationalsozialistische Strafrecht kennt nur noch eine These: Auge um Auge – Zahn um Zahn.“

Der Alliierte Kontrollrat hob das nationalsozialistische Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen am 30. Januar 1946 auf, der NS-Propagandafilm zur Rechtfertigung der Todesstrafe wurde verboten. Aber Köpenick blieb um eine traurige Moritat reicher.


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