Dienst? Du? Deutschland?

Zu Besuch beim Bundswehrnachwuchszentrum in Grünau
Bildschirmfoto 2015-05-05 um 12.00
Hauptmann hin oder her, Köpenick hat seine ganz eigene, über hundert Jahre alte Verbindung zum Militär. Im Bezirk gibt es Dutzende ehemals militärisch genutzte Flächen.
Nomen est Omen: die Kanonenberge. In der Nähe der Müggelberge wurde zu Kaisers Zeiten Sand für Berliner Bauprojekte abgebaut. In der entstandenen Sandkuhle schoss sich die preußische Armee unüberhörbar für die Bevölkerung auf den Ersten Weltkrieg ein. Einige hundert Meter Luftlinie weiter entstand zu Ehren von Reichskanzler Bismarck um 1900 die Bismarckwarte, ein 40 Meter hoher Turm mit Gedächtnishalle, den später die Wehrmacht nutzte. Zu DDR-Zeiten dann machte die Volkspolizei in der Dammheide übungshalber von der Schusswaffe Gebrauch. Ebenso wie die Mitglieder der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) im Hirschgarten. Das 13 Hektar große Gelände ist heute ein beliebtes Spazier- und Hundeauslaufgebiet. Und auch in Grünau konzentriert sich die wechselvolle Geschichte von Krieg und Frieden – geballt auf etwa 30.000 Quadratmetern an der Regattastraße 12. Die Gebäude, die einst als Herberge für die Wassersport-Olympiateilnehmer von 1936 errichtet wurden, haben schon viele Uniformen kommen und gehen sehen. Erst die der Wehrmacht, ab 1945 die der Sowjetarmee und dann nutzte die NVA den Komplex jahrzehntelang zur Nachwuchsgewinnung. Diesem Zweck dient die Dahme-Spree-Kaserne nach wie vor – seit der Wiedervereinigung unter der Flagge der Bundeswehr. Die Bundeswehr ist auf Personalsuche, auch und erst recht seit die Wehrpflicht 2011 abgeschafft wurde. Im Wettbewerb mit anderen großen Arbeitgebern aus Wirtschaft oder öffentlichem Dienst und im Wettlauf gegen den zunehmenden Fachkräftemangel muss sich die Bundeswehr in Zeiten des demografischen Wandels etwas einfallen lassen, um insbesondere junge Menschen für sich zu gewinnen. Sei es für eine militärische oder eine zivile Laufbahn.

Nachwuchsgewinnung made in Grünau

Damit das gelingt, legen sich Bundeswehr-Mitarbeiter in über 100 Karriereberatungsbüros bundesweit ins Zeug. Auf insgesamt 1.000 Jobmessen, Berufsbildungstagen in Schulen und anderen Veranstaltungen für Schüler erreichten die Karriereberater der Bundeswehr im vergangenen Jahr etwa 185.000 Schüler. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr. So geht es aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf Anfragen der Linken im Bundestag hervor. Allein für das Berliner Karrierecenter der Bundeswehr arbeiten 227 Menschen, 120 von ihnen in Grünau. Die Dahme-Spree-Kaserne in der Regattastraße in Grünau ist die Zentrale Ansprech- und Koordinierungsstelle des Karrierecenters der Bundeswehr Berlin. Als das Karrierecenter Ende 2012 eingeweiht wurde, glich das einem Staatsakt. Das Stabsmusikkorps spielte Händel, zahlreiche Grußwortgeber gaben sich das Mikrofon in die Hand, darunter der zuständige Staatssekretär und Bezirksbürgermeister Oliver Igel. Die Stimmung war feierlich, die Nationalhymne wurde zu Gehör gebracht. Selbst überregionale Medien wie die Süddeutsche berichteten dereinst aus Grünau. Es ging und geht um Bedeutendes: um die Zukunft der Bundeswehr – um die Wehrfähigkeit Deutschlands angesichts von Katastrophen und Kriegen weltweit. Etwa 4.700 Soldaten erfüllen derzeit im Ausland die Bündnispflicht der Bundesrepublik gegenüber ihren Partnern in der NATO und UN. Hier in Grünau ist der Arbeitsplatz von Jörg Jankowsky. Der Regierungsamtsrat betreut die Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Karrierecenters. „Wir müssen näher ran an die Menschen“, erklärt der gelernte Drucker und studierte Medienexperte bei einem Vor-Ort-Besuch der Kaserne. Viel Zeit verbringen er und seine Kollegen daher auch auf Veranstaltungen. Ob „connecticum“ oder „You“: Wo auch immer in Berlin Studieninfotage, Ausbildungsmessen oder sportliche Events stattfinden – die Bundeswehr ist mit von der Partie. In Köpenick zum Beispiel auf dem Grünauer Wassersportfest Anfang Mai oder beim „Ausbildungstag Süd-Ost 2015“ Mitte September im FEZ. Hier erfahren Interessenten etwas über die 56 Ausbildungsberufe und zahlreichen Berufsbilder im Dienste der Bundeswehr – von der Ärztin bis zum Zimmerer. Nur auf ausdrücklichen Wunsch, so Jankowsky, besuchen Karriere-Berater die Schulen und stellen dort Ausbildungswege und Berufe innerhalb der Bundeswehr vor. Denn die Bundeswehr ist nicht überall willkommen. Manche Berliner Schulen erklären sich bewusst zur bundeswehrfreien Zone. Seit wenigen Monaten betreibt die Bundeswehr Berlin einen eigenen Showroom in der Friedrichstraße. Wer will, kann sich hier direkt beraten lassen – und auch gleich bewerben. Mit rund 200 Besuchern pro Woche hält sich der Andrang bisher in Grenzen. „Die meisten interessieren sich für eine militärische Laufbahn und möchten wissen, was die Einstellungsvoraussetzungen sind und wo sie später eingesetzt werden“, sagt Jörg Jankowsky. Die Protestierer, die sich gelegentlich einfinden, stören ihn nicht. „Wir leben in einer Demokratie, da kann jeder seine Meinung sagen.“ Mit der Zahl der Bewerber ist er ganz zufrieden. „Bundesweit bewerben sich je nach Laufbahn bis zu fünf Mal mehr Männer und Frauen, als wir Posten haben.“ Dafür mangele es an anderer Stelle an Bewerbern, zum Beispiel in der IT, so der Sprecher.

Wie alt ist Horst? Und wie viele Klimmzüge schafft Paul?

Ganz egal, ob jemand Unteroffizierin oder ITFachkraft werden möchte: Wer sich bei der Bundeswehr bewirbt, der muss nach Köpenick. Jedenfalls, wenn er (oder sie) in Berlin, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern lebt. In der Dahme-Spree-Kaserne in der Regattastraße werden pro Monat etwa 500 Bewerber jeweils zwei Tage lag auf Herz und Hirn geprüft. Den elektronischen Eignungstest absolvieren alle Bewerber. Eine der Fragen aus den Bereichen Sprachlogik oder Mathe könnte lauten: „Horst und Paul sind zusammen 8 Jahre alt. Wie alt ist Paul, wenn Horst 2 Jahre älter ist als Paul?“ (alle Beispielaufgaben hier) Auf Bewerber der militärischen Laufbahnen wartet anschließend der Arzt und dann der Sporttest. „Das schafft fast jeder“, weiß Jankowsky. Sprints, Klimmhang und Tempo auf dem Fahrradergometer sind gefragt. Einzelinterviews und Gruppengespräche folgen. „Direkt nach den Tests bekommt jeder erfolgreiche Bewerber von uns ein ganz konkretes Angebot, zum Beispiel für eine Laufbahn als Feldwebel oder für eine Ausbildung als Verwaltungsfachkraft oder Mechatroniker. Wer möchte, kann sofort unterschreiben und weiß dann ganz genau, wo und wie es weitergeht“, erläutert Jörg Jankowsky. Um die Rolle und Bedeutung der Bundeswehr in Berlin weiß auch der Bezirk Treptow-Köpenick. Auf zahlreichen Veranstaltungen begegnen sich Bundeswehr und Bezirksamtsvertreter. Man kennt und schätzt sich. Bei einer dieser Begegnungen wurde der Staatsstreich im Dienste gemeinsamer PR beschlossen: Der Hauptmannstreich sollte nicht wie sonst für die Touristen von der Hauptmanngarde gespielt werden, sondern von den Mitgliedern der Bundeswehr selbst. In der Hauptrolle eine der ersten Frauen des Berliner Wachbataillons im Rang eines „Hauptmann“. Die Aktion im August 2014 rief neben neugierigem Publikum auch zahlreiche Kritiker auf den Plan. Jörg Jankowsky ist mit dem Ergebnis dennoch zufrieden. Die Werbebotschaft erreichte ihr Ziel: Karriere in der Bundeswehr ist möglich. Und, wenn man es denn so betrachten will: Es gibt ein Leben nach der Bundeswehrkarriere. Zum Beispiel im touristisch-künstlerischen Bereich.
Die Bundeswehr in offiziellen Zahlen
277.000 Beschäftigte (davon ca. 183.000 militärische und 93.500 zivile)
Militärisches Personal: 53.000 Berufssoldaten, 120.000 Zeitsoldaten, 10.500 Freiwillig Wehrdienstleistende
Ziviles Personal: 23.800 Beamte, 65.000 Angestellte, 4.700 in Ausbildung
Frauen: 18.500 Soldatinnen (ca. 10%), davon 7.800 im Sanitätsdienst
Ausland: 4.700 Soldaten in 17 Einsätzen weltweit
Verteidigungshaushalt der Bundeswehr (2014): 32,8 Milliarden Euro, davon Personalausgaben: 10,6 Milliarden Euro
Foto: Björn Hofmann

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