Mit TTIP zu Wohlstand und Weltfrieden?

mit_TTIP_zu_Wohlstand_und_Weltfrieden Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP ist in Deutschland höchst umstritten, obwohl der Text des Abkommens noch nicht veröffentlicht ist. Die SPD will ihre Mitglieder von der Notwendigkeit von TTIP überzeugen. Was aber meint die Basis dazu? Matthias Schmidt und Thomas Jurk, beide Mitglieder des Bundestages, luden am 14.Januar 2016 in die Köpenicker Freiheit 15, um eben das herauszufinden. Beginnen wir ausnahmsweise am Schluss. „Ich hoffe Sie kommen weiter zu meinen Veranstaltungen. Denn wenn Sie mir nichts sagen, weiß ich auch nicht, was ich vertreten soll“, verabschiedete sich Matthias Schmidt. Er moderierte die Veranstaltung unter dem offen formulierten Titel „TTIP – Chance oder Risiko?“.

Chancen

Schon etwas weniger offen war das deutliche Plädoyer für TTIP von Thomas Jurk, auch wenn er an einzelnen Positionen vorsichtige Zweifel anmeldete. Es gibt gute Gründe für Freihandelsabkommen, und ganz besonders für dieses. Handelsbarrieren sollen abgebaut, gemeinsame Standards etabliert werden. Mit der EU auf der einen, den USA auf der anderen Seite würden sich die beiden größten Handelsräume zusammenschließen. Wirtschaftlich miteinander verflochtene Staaten sind weniger geneigt, einander zu bekriegen – ein Gedanke, der schon der Schaffung der EU zugrunde lag. Im günstigsten Fall stärken sie sich gegenseitig, späteres Wirtschaftswachstum nicht ausgeschlossen. Verbraucherschutz soll auf beiden Seiten des Atlantik nicht aufgeweicht werden. Kein Chlorhuhn, kein Genmais, kein BSE. Nicht zuletzt möchten sich die Befürworter in Europa dagegen absichern, dass andere Nationen, speziell aus dem asiatischen Raum, schneller sind. Es gibt den großen Kuchen „Weltmarkt“ zu verteilen. Niemand möchte Krümel fegen. Man dürfe sich dem Prozess nicht entziehen, lautet denn auch die Schlussfolgerung von Thomas Jurk.

Risiken

Das ist global gedacht, und für Eigentümer international agierender Unternehmens ist TTIP gewiss eine gute Sache. Die meisten Menschen besitzen aber kein solches Unternehmen. Viele sind angestellt, einige ohne Job, ein paar führen selbständig kleine Familienbetriebe. Mehr und mehr von ihnen kaufen bewusst regional ein, bevorzugen lokale Handwerker oder wollen wissen, unter welchen Bedingungen ihre Bekleidung produziert wird. Sie stellen sich überwiegend eine einzige Frage. Was kostet uns der Spaß? Einige Mängel von TTIP sind schon jetzt offensichtlich. Sie könnten für all diese Lebensbereiche Folgen haben. Einer der gravierendsten ist die Art des Zustandekommens, die von Demokratieverzicht geprägt ist. Er habe „erst durch Indiskretionen von TTIP & CETA erfahren“, kritisierte Gerhard Hobel (Gewerkschaft IG Bau) bei der Veranstaltung in der Freiheit15 gegenüber Schmidt und Jurk die bisherige Informationspolitik. Dass etwas, von dem sich die beteiligten Staaten höhere Einkommen, niedrigere Arbeitslosenzahlen und allgemeinen Wohlstand versprechen, so wenig öffentlich gemacht wird, stimmt nachdenklich. Auf massiven Druck der Öffentlichkeit hin ist inzwischen ein Teil der Vorschläge, die die EU in die Verhandlungen einbringt, publiziert worden. Die bisher ausgehandelten konkreten Vertragsbedingungen jedoch nicht. Kurzum: Noch immer ist nicht transparent, welche Inhalte, welche Folgen TTIP haben wird. Als Indikatoren dienen das vergleichbar gelagerte Abkommen CETA* sowie der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Stand der Verhandlungen und Positionspapiere. * Das kanadisch-europäisches Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement ) wurde bereits 2014 ausverhandelt, ist aber noch nicht verabschiedet. Als zusätzliche Quelle wurden die Dokumentensammlung https://correctiv.org/recherchen/ttip/dokumente/ herangezogen.  
Ein offensichtlicher Demokratiemangel kennzeichnet auch die geplante regulatorische Zusammenarbeit.
  Auch der parlamentarische Kontrollmechanismus steht bisher nicht fest. Die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich um ein Gemischtes Abkommen handeln wird, das von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss. Wird diese Rechtsauffassung von der Europäischen Kommission geteilt? Wir wissen es nicht. Das Europäische Parlament wie auch die nationalen Parlamente werden jedenfalls erst eingebunden, wenn der Vertragstext vollständig ausverhandelt ist. Ihnen wird abverlangt, dass sie dann über das Gesamtpaket abstimmen. Ein Verfahren der Nachbesserung, die Veränderung einzelner Passagen, ist nicht vorgesehen. Am Prozess der Vertragsgestaltung ist folglich kein einziges Parlament als Akteur beteiligt. Wer ein Auto kauft, darf es Probe fahren und bei Nichtgefallen zurückgeben. Völkerrechtliche Verträge haben es da einfacher. Wenn also Ihr Abgeordneter sagt „Wir passen auf, dass unsere Prinzipien nicht über Bord geworfen werden“, denken Sie immer „... wenn man uns ließe!“ mit dazu. Ein offensichtlicher Demokratiemangel kennzeichnet auch die geplante regulatorische Zusammenarbeit. Die Gesetze beider Vertragspartner unterscheiden sich stark voneinander. Das verursacht Handelshemmnisse. Folglich müssen europäische und US-amerikanische Gesetze miteinander in Einklang gebracht werden. Daran wäre dann nichts auszusetzen, wenn der Modus der Harmonisierung auf demokratischen Grundsätzen basierte. Das ist nicht der Fall. Es sind Unternehmen, die prüfen, ob ihnen die Gesetze oder Gesetzgebungsvorhaben eines Landes im Wege sind, noch bevor sie den Parlamenten vorgelegt werden. Es sind Unternehmen, die Gesetzesvorschläge einbringen. Es sind schließlich Unternehmen, deren Empfehlungen zu folgen die Regierungen sich durch TTIP verpflichten. Mit einer Investitionsschutzklage, wie sie das Transatlantische Freihandelsabkommen vorsieht, bekommen sie zudem ein höchst wirksames Werkzeug in die Hand, um ihre Vorstellungen auch gegen Regierungen durchzusetzen. Vattenfall hat mit Hilfe einer solchen Klage die Bundesrepublik auf Schadensersatz verklagt, als in der Folge des Fukushima-Unglücks der Atomausstieg beschlossen wurde. Kanada war im Rahmen des Freihandelsabkommens NAFTA auf Schadensersatzes in Anspruch genommen worden, weil die Stadt Quebec die Gasförderung per Fracking aussetzte, um zunächst die bestehenden Risiken für das Grundwasser zu analysieren. Eine Regierung, die den politischen Willen ihrer Bevölkerung umsetzt, ist erpressbar, wenn der geforderte Schadensersatz nur hoch genug ist. Umweltschutz, Verbraucherschutz, Datenschutz mussten schon immer teuer erkauft werden. TTIP wird aller Voraussicht nach nicht dafür sorgen, dass sie günstiger werden. Die Erfahrungen mit dem Klagerecht von Investoren gegen Staaten weisen deutlich in diese Richtung.  
Das Thema Schiedsgerichte ist vom Tisch und nicht mehr Teil der Verhandlungen Thomas Jurk
  Wo über diese Art von Klagen entschieden werden soll, ist umstritten. Zunächst waren Schiedsgerichte geplant. Gemeint waren damit nicht etwa staatliche Gerichte, die öffentlich verhandeln und zu überprüfbaren Ergebnissen kommen. Ein nichtöffentliches Verfahren unter Anwälten ohne die Möglichkeit einer Berufung sollte etabliert werden. „Das Thema Schiedsgerichte ist vom Tisch und nicht mehr Teil der Verhandlungen“, hieß es dazu knapp in der Köpenicker Informationsveranstaltung der SPD. Das ist nicht vollständig zutreffend. Die Verhandlungen über diesen Punkt wurden zunächst ausgesetzt. Die Kommission hat ihren Vorschlag zum Investor-Staat-Schiedsverfahren überarbeitet. Er beeinhaltet nun die Schaffung eines unabhängigen Investitionsgerichts, das mit einer Berufungsinstanz versehen ist und in seiner Funktionsweise dem Internationalen Gerichtshof entspricht. Die Urteilsfindung soll öffentlich ernannten Richtern mit hoher Qualifikation übertragen werden. Dieser Vorschlag wurde dem Verhandlungspartner zwar übermittelt. Verhandelt und beschlossen ist er aber nicht. Im Februar 2016 gehen die Verhandlungen über TTIP in die 12. Runde, thematisch wird es dann um die öffentliche Auftragsvergabe gehen. Ein Unternehmer aus Los Angeles soll nämlich die gleichen Chancen haben, den Auftrag für ein Bauprojekt zu bekommen wie einer aus Karlshorst. In Berlin scheitern währenddessen Schulsanierungen daran, dass die Verwaltung schon zur Planung der dringendsten Fälle außer Stande ist. Es fehlt nicht nur allgemein Personal, es fehlen Spezialisten, die eine ordnungsgemäße öffentliche Ausschreibung durchführen können. In der Folge bleiben Schulen unsaniert. Wird das besser, schneller oder einfacher gehen, wenn mehr Bauunternehmen zur Auswahl stehen? Die eingangs gestellte Frage nach Chance oder Risiko lässt sich klar beantworten. Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, für die TTIP neue Chancen und auch Teilhabe an wirtschaftlichem Wachstum verspricht. Nur verteilen sich diese positiven Effekte nicht gleichmäßig auf die Gesamtbevölkerung. Es gibt auf der anderen Seite eine weitaus größere Gruppe, deren Alltag von TTIP im günstigsten Fall nicht berührt, im schlimmsten verschlechtert wird. Geringverdiener haben von TTIP nichts zu erwarten. Umweltschutzinitiativen oder Verbraucherschutzbünde werden mehr Hürden als bisher zu überwinden haben, wenn sie sich darum bemühen, Konsumgüter verträglicher oder sicherer zu machen, die Schadstoffbelastung zu verringern, Umweltschäden zu vermeiden. „Die hohen europäischen Standards beibehalten“ bedeutet in erster Linie, sie nicht zu erhöhen. Schutzmechanismen, die der Allgemeinheit zugute kommen, werden durch TTIP geschwächt. Im Gegenzug wird der Einfluss großer Konzerne gestärkt. Für alle, die nicht über den Atlantik hinweg wirtschaftlich tätig sind, überwiegen damit klar die Risiken. Wer sich gezielt um regionale Interessen bemüht, wer sich für Umweltbelange einsetzt, für den ist TTIP von Nachteil. Für die Fans der Demokratie war TTIP von Anfang an inakzeptabel. Sagen Sie das Ihrem Abgeordneten, wo immer Sie Gelegenheit dazu haben! Foto: Campact e.V.

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