Hübsche Zahl, die 50. Und sonst? „Rin“, schrieb schon Ludwig XVI. am 14. Juli in sein Tagebuch. Und ich? Ich erwache wie aus dem Dunstnebel und riskiere einen Blick auf meinen Wecker, das heißt, würde ich, aber ich habe das letzte bimmelnde Exemplar gegen die Wand geworfen, als es begann, seiner Bestimmung nachzugehen. Ich lüfte meine Bettdecke, linkes Bein, rechtes Bein, nein, noch mal zurück, so jetzt rechtes Bein und dann linkes Bein, alles wieder unter Kontrolle. Ich taste mich dorthin, wo ich gestern aus dem Fenster sah und lüpfe das Rollo ein wenig. Is‘ schon wieder dunkel oder immer noch? Jetzt spüre ich den Kopfschmerz.
Alles klar, ist schon wieder dunkel. Wahrscheinlich Polarnacht. Ich presse mir eine frische Tasse Bohnenkaffee aus dem gestrigen Filter, nippe daran und greife zum Telefon. Der AB blinkt, aber ich habe keine Lust, ihn abzuhören. Aussagen über meine Unzulänglichkeiten deprimieren mich immer sehr. Jetzt würden sie mich auf jeden Fall aus der Bahn werfen oder zurück an die Theke treiben. „Hallo Sebastian?“, „Ach, Tatjana, gib mir mal Chef…“, „Hallo Matthias, ja ich weiß… Jubiläum, und? Fototermin, ja ja…nee, hab ich nicht vergessen, viel zu tun, soll er warten, er ist doch schließlich der Praktikant.“
Dieser Johannes, aus dem wird bestimmt mal ein Großer, aber bis dahin soller schön Fresse halten, sonst fegt er noch in 20 Jahren die Redaktionsgemächer. Nehm‘ ich das Auto oder mach ich mir erst mal ein Bier auf? Ich entscheide mich für beides. Leider hat meine kleine Maus, die Manu, meinen Autoschlüssel in ihrer Weiberhandtasche und die hat sie mit auf Arbeit. Gott verdammt, die kennt mich aber auch zu gut.
Nun denn, 443322, Kollege kommt gleich, ah, da ist er ja schon, der Taxifahrer meines Vertrauen. Scharnweberstraße 6 in Friedrichshagen, Maulbeerblatt, kennste? Aber wir fahren vorher noch beim Lecker- Bäcker vorbei. Habe eine fette Cremetorte fertigen lassen, 2 Kubik und 3 Etagen hoch, geziert von 50 Maulbeerblättern, on Top ein Kahlköpfi ger mit Gesichts- und Rollkragenpulli, in der Linken ein gigantisches Apfel-Handy, rechts, etwas dezenter, den Pulitzerpreis, alles aus hochwertigem Lübecker Marzipan. Damit mal was ran kommt an die halben Hähne in der Redaktion. Fuffzich Tacken, das ist mir die Schleimerei voll wert, auch wenn‘s mein letzter Fuffi ist. Nee, für dich is ooch noch Jeld da. Aber lieber vorsorgen, bevor gar keiner mehr meinen Müll druckt.
Schließlich bin ich nicht so ein Superstar wie die anderen, die da Bürgermeisterin sind oder Rockstar, Radiosprecher und stellvertretender Flughafengegnergruppenseminarleiter (kommissarisch) und was weiß ich alles. „Halt mal da am Wald kurz an, bitte.“ So, geht schon wieder. Ok, genug geschleimt. Denken doch, die können sich was erlauben. Die Wahrheit ist: Ich kann sie nicht ausstehen, diese Maulbeermenschen. Und nu jib Jas hier, ick hab nich ewich Zeit. Man, hab ick ‘ne Laune. Und erst die bekloppte Katze. Hab ‘nen Kater am Kopp von gestern Abend, ditt reicht ma schon. So, da wären wir, und da sitzen sie ja alle schon im Halbkreis hinterm Schaufens- „Die guten Vorsätze.?“ ter. Wie sie es gelernt haben in ihre Waldorfschule, beim Morgenkreis, diese studierten Affen.
Unsereins hat wenigstens noch strammstehend Helden verehrt beim Morgenappell, da war die 1 noch ne 1 und die 4 ‘ne ehrliche Zensur. „Na, haste BZ am Abend mitgebracht“, fragt mich hämisch der Richard, der, mich kommen sehend, die Tür öffnet. „Nee, war schon lange ausverkauft“, erwidere ich, schwer angepisst.
Ich will die zwei Stufen zur Redaktion im saloppen Sprung passieren, habe aber meine Schuhbänder sehr leidenschaftslos verschlossen und noch die schmucke Torte in den Händen, strauchele, lande unsanft inmitten des waldorfschen Morgenkreises und hab die schon volle Nase schön in meiner schönen Torte. Man, schmeckt ja gar nicht mal so gut. Teilen:
50 Exemplare und ein bisschen Pustekuchen
Mama Mia
Was gesagt werden muss
Redefreiheit ist etwas Großartiges. Jedenfalls die eigene. Ich mache tagtäglich ausgiebig von ihr Gebrauch. Schon Stunden bevor ich zur Arbeit...
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