Wenn das letzte Blatt vom Baum gefallen, der Oktoberseinen letzten Atemzug ausgehaucht hat, nahtunweigerlicher der Teil des Jahres, der die Menschen unserer Klimazone (und nördlicher) für längere Zeit zum Aufenthalt in geschlossenen Räumen zwingt. Nadelstreifenfeiner Nieselregen, eiskalt von böhigem Wind direkt in die nicht von Kleidung bedeckten Stellen des Körpers gepeitscht, unter Laub versteckter Hundestuhl, morgens vereiste Scheiben und abends die frühe Dunkelheit, der elfte Monat, der ungerufen und doch erwartet hartnäckig den Sommer endgültig verabschiedet. Oh, Du schrecklicher Monat, mein erklärter Feind, dem ich nicht zu entfliehen vermag, dem zu Leibe zu rücken kein Kraut gewachsen, kein Schwert geschmiedet, kein Geld der Welt schützt vor Dir, der Du mich bedrohst mit Karneval und der Du den Weg bereitest für den Dezember, die Zeit der falschen Glückseligkeit. November – Du armseliger Lakai des Winters.
Nichts desto Trotz sieht ein jeder positiv denkender Mensch Licht am Ende des Tunnels. Für diesen Satz werfe ich gleich mal einen Fünfer ins Phrasenschwein, aber er passt mir gerade sehr gut ins Konzept. Sechs lange Monate wird es nun wieder dauern, dann darf man wieder begründet auf Besserung hoffen. Berlin, Du mein November. Wie lange darf ich bei Dir auf Besserung hoffen?
Ich rede hier gar nicht von den x Millionen Baustellen, die meine Lebensaufgabe, Personen von Adlershof nach Zehlendorf auf möglichst schnelle und commode Art zu befördern behindern, sondern die immer noch sehr moderne Namensgebung von Straßen und Plätzen nach Menschen mit komplizierten Namen, denen einschlägige Lexika Einträge widmen, die weniger Buchstaben haben. Marianne von Rantzau, Valeska Gert, Rudolf Rühl, Elisabeth Meier-Müller-Schulze-Lehmann. Besonders beliebt war bei den Taxiprüfern in Berlin das Marie-Elisabeth-Lüders Haus in der Adele-Schreiber- Krieger-Straße, einer Sackgasse von imposanten 250 Metern Länge. Ich möchte nicht das Ansehen jener Personen in den Schmutz ziehen, jedoch werfen Veränderungen immer auch neue Fragen auf. Verschwunden sind die Namen, die zur Zeit des Stalinismus das Bild des Stadtplans prägten. Die neue Demokratie wusch die Geschichte rein vom Unrat der DDR-Geschichte, aber immer noch befahre ich häufig den Hindenburgdamm, benannt nach dem Manne, der Hitler zum Reichskanzler ernannte. Könnte man auch mal ins Auge fassen …
In Mitten dieses Nonsens bereitet mir eine Namensumbenennung jedoch immer wieder viel Freude. Das letzte Ende der Kreuzberger Kochstraße heißt seit fünf Jahren Rudi-Dutschke-Straße. Kleines Pflänzchen Hoffnung, zarter Frühblüher. Die Rudi- Dutschke- Straße begrenzt, wie könnte es schöner sein, direkt am Axel-Springer-Haus die Axel-Springer- Straße. Rudi Dutschke, einer der revolutionären Führer der westdeutschen, sozialistischen Studentenbewegung, der 1968 von einem reaktionären Spießer und erklärtem Bildleser angeschossen und lebensgefährlich verletzt wurde, vergab dem Täter. Springer klagte gegen die Namensgebung, Marx und Lenin sei Dank, vergeblich.
Dutschkes Weg der Aktionen und des Leidens soll nicht umsonst gewesen sein, darf nicht vergessen werden in einer Zeit, in der im Namen des Anti- Terror-Staatsterrors die Bürgerrechte immer mehr beschnitten werden, V-Männer des Verfassungsschutzes die Neonaziszene unterstützen und bei deren Verbrechen zusehen, die Polizei ungehindert Akten schreddert, in der Ängste geschürt und Sicherheit geregelte Einnahmen garantiert. Das Leben mit I-Phone, Leasinghaus und -auto ist schön bequem, aber trügerisch. Ich befördere Personen, die mir freudig erzählen, das sie an einem Abend im Berliner Night-Life mehr Kohle auf den Kopp hauen, als ich im Monat verdiene, aber ich krieche ihnen nicht in den Arsch für einen Fünfer vom Glück. Schließlich haben dieserlei oft nicht einmal das Abitur. Was willst denn jetzt eigentlich? Mehr Freiheit und Gerechtigkeit, mehr Mitbestimmung, mehr Lebensqualität für Alle. Was rege ich mich schon wieder auf. Mir geht’s gut, ich beklage mich nicht und Freiheit kann man auch gar nicht essen oder mit ihr nicht beim Nachbarn protzen. Auch euch geht es gut. Aber, Augen auf, wer weiß denn schon, wie lange noch!
Für mehr Freiheit auf Berliner Straßen
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