Von denen, die auszogen das Direktmandat zu erringen

Teil 1 – Der Platzhalter
Erstveröffentlichung am 10.04.2017
Einst gab es einen Wahlkreis. Dieser war der Schönste im ganzen Land. Er hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: einen See, zahlreiche Ausflugsgaststätten, eine Insel der Jugend und einen eigenen Aussichtsturm. Seine Schönheit hatte sich herumgesprochen und aus allen Himmelsrichtungen kamen Helden und Heldinnen, um es zu umgarnen und es in Besitz zu nehmen.

Der Gysi-Riese thront über seinem Wahlkreis 84.
Collage: Andreas Hartung

Eine Erzählung aus dem Wahlkreis 84

Das Land wurde jedoch von einem hartnäckigen Riesen mit monolithischem Gewicht beherrscht. Aufgrund seiner Wortgewandtheit und seines verschmitzten Zeigefingers erfreute er sich trotz seiner Größe großer Beliebtheit. Unverrückbar thronte er in der Mitte des Landes auf einem Ausflugsboot und allen erschien es, als wäre es schon immer so gewesen und als wenn es immer so sein würde.

Es gab jedoch eine Weissagung. Sie besagte, dass der Riese eines Tages ganz unerwartet besiegt werden würde. (Obwohl man im Allgemeinen heutzutage davon ausgeht, dass es sich dabei um einen Übersetzungsfehler handelt und es eigentlich heißt: verschwindet von selbst. Aber da das nicht sehr heroisch klingt, schweigt man lieber darüber.) Seit dem findet alle vier Jahre ein großes Wahljahr statt, bei dem die angereisten Recken und Reckinnen versuchen, den schwergewichtigen Platzhalter aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Wahljahr für Wahljahr schickten die Parteien ihre jüngsten und schönsten Helden in den Kampf, nur um zu sehen, wie ihre strahlenden Rüstungen an der undurchdringlichen Haut des Riesen zerschellten, sie sich die Zähne ausbissen und anschließend professionell lächelnd dahinschieden. Man munkelt der Garten des Riesen sei überfüllt mit den leblosen Überresten der politischen Ambitionen seiner Herausforderer.

Am schlimmsten für diese tapferen Märtyrer der Demokratie war jedoch, dass der Riese noch nicht einmal zu merken schien, dass sie gegen ihn kämpften. Stattdessen lud er alle seine Arbeitskollegen zu einer Dampferfahrt mit Bockwurst ein und fühlte manchmal ein leichtes Zwicken im Rücken als wäre etwas Piepsiges dagegen gerannt. Dann zuckte er mit den Achseln und stieg über etwas hinweg, was plötzlich auf dem Boden lag und professionell zu lächeln versuchte.

Im Laufe der Jahre wurde die Anzahl derer, die bereit waren auszuziehen, um den Riesen zu besiegen, immer geringer. Sie sagten: „Ich würde schon und ja, selbstverständlich würde ich ihn mit einem kräftigen Tritt vom Thron verjagen, aber leider, leider habe ich mir auf den Köpenicker Linedance-Tagen den Fuß verknackst! Schade. Aber vielleicht nächstes mal. Oder ich kandidiere … ähm woanders“.

„Aber irgendjemand muss kandidieren.“

ruft die Demokratie und wedelt aufmunternd mit mehreren Kamikazebinden. „So sind die Vorschriften“ Und plötzlich merkt jemand, wie er nach vorne geschubst wird und einen glänzenden Ritterhelm aufgesetzt bekommt. Die Kollegen gratulieren erleichtert, setzen ihn auf einen Esel und schicken ihn unter Hurrar-Rufen in die Richtung, wo der Riese als letztes gesehen wurde. Während sich seine Parteifreunde wieder ihrem Grill und der Bratwurstzange zuwenden, denkt der verzweifelte Held an die Prophezeiung und umklammert seinen Speer etwas fester. Dann gibt er seinem Esel die Sporen.

(Fortsetzung folgt)


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