Zehn Uhr – der Arzt ist noch anzutreffen. Also flugs zur Praxis gejapst und unbeliebt gemacht. Ich handle mir mit meinem jähen Erscheinen das Missfallen der beiden säuerlich dreinblickenden Schwestern ein. Termine schließlich erst ab Mai! Vergeblich versuchen sie, ihren Doktor vor mir zu beschützen. Ich-muss-rein! Schließlich kann es sich um Sekunden handeln.
Gegenüber sitzen zwei ausm Heim – jedenfalls lecken die abwechselnd die Zeitung beim Blättern. Gut, dass vorhin keine mehr frei war. Jetzt kommen die auch noch vor mir dran. Herzstolpern, da bleibt mir gleich mal kurzfristig die Luft weg. Hurtig abgelenkt. Die Titelbilder sämtlicher Zeitungen zeigen am allerliebsten Helene Fischer. Diese steht scheinbar gegen 4 Uhr morgens auf, um den Tag linsentechnisch voll auszukosten. Bin in letzter Zeit auch ohne mediale Anstrengungen recht schnell erschöpft.
Nach zwei Stunden habe ich mir die Erlaubnis erworben, nun aufgerufen zu werden und unterrichte den Doktor von meinem Zustand – dieser hat wohl täglich mit Hysterikern zu tun und hängt mir gelassen ein Gummitäschchen um. Was wird das? Ein vollautomatisierter Schaffner? Reporter für Gummifragen? Nein, mein Blutdruck wird gemessen – und dies für die nächsten 24 Stunden. Im Viertelstundentakt fängt das Teil nun an, sich am Oberarm aufzublasen und kündigt die Pein mit einem Piepton an. Also umgehend stehengeblieben, sonst rastet der Pieper aus und fängt von vorne an.
Sonnenbebrillt und straff stranguliert laufe ich aus der Praxis über die Bölschestraße Richtung Hoffnung, dass keiner meine dicke Jackenbeule oder gar den Gummischlauch über den Schultern entdeckt. Ich biete einen ziemlich beklagenswerten Zustand und Hohn kann ich bei meinem Bluthochdruck gerade nicht gebrauchen. Vor dem Seifenregal bei Rossmann ist es dann soweit – das Ding geht los und ich erstarre. Mit hochrotem Kopf brumme ich zwischen Lavendel und Sebamed vor mich hin und in einem Umkreis von drei Metern steht alles mit mir still. Raus da und verzweifelt zur nächsten Tür wieder rein. KIK. Hier kennt mich keiner. Unter normalen Umständen versuche ich diesen wegen seines stark nach fiesen Arbeitsbedingungen in Bangladesh duftenden Sortiments zu meiden. Aus dem Ladenradio ertönt der 80er Superhit "Self Control" von Laura Branigan. Scheinbar ist niemandem aufgefallen, das Laura für den Refrain extrem nach Luft ringen musste und infolgedessen anscheinend noch im Studio verstarb – so macht die Eintagsfliege überhaupt nur Sinn! Ich bemühe mich, gerade zu gehen und die gewohnheitsmäßig tropfende Reinkomm-Nase möglichst lautlos hochzuziehen, da rutscht auch schon die dumm befestigte Brille am Latexschlauch entlang und knallt auf den Boden. Jetzt bin geliefert. Die Verkäuferinnen müssen wegen mir ihre Urlaubsunterhaltung unterbrechen. Ich schäme mich und gebe zu, dass ich in diesem Zustand ein weit besseres Gesprächsthema biete. Völlig entblößt kaufe ich ein hellgraues 10-Gramm-Shirt, das ich ob meiner Hyperhidrose niemals tragen werde und – „ich glaub es geht schon wieder los“ – sehe mich beim Rausrennen kurz in der Scheibe. Bemitleidenswert brummende Person, steif verpackt wie ein Cyborg, aber Hoppsa Sonnenbrille!
Atemnot.
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