In Phoenix, Arizona, startet am 28. März die XXVI. Wrestlemania und wer kein Ticket mehr bekommen hat, kann gewiss auch hierzulande auf einem einschlägigen Sportkanal dabei sein, wenn die Gladiatoren der Neuzeit in den Ring steigen.
Mit Feuerwerk und viel Tam-Tam erscheinen die Matadore auf der quadratischen Richtstatt inmitten von Bergen aus Popcorn und Silikon. Befreit von allen Regeln kommt hier die wahre Natur des Menschen zum Vorschein. Es kracht und donnert gewaltig, wenn die gut geölten Muskelprotze aufeinander prallen.
Das Hauen, Treten, Würgen und Werfen endet für gewöhnlich erst wenn einer liegen bleibt. Die Schiedsrichter haben kein leichtes Spiel. Auch sie bekommen ordentlich auf die Fresse, während erfahrene Kommentatoren die technische Finesse der Athleten analysieren.
So könnte man meinen, einem Sportevent von Raabschem Ausmaß beizuwohnen, bis man bemerkt, dass all die tödlichen Schläge haarscharf – am Kopf vorbei – ins Leere zielen. Und endlich erkennt man, dass diese steroidgemästeten Vandalen, die in ihren schrillen Kostümierungen geradewegs der Phantasiewelt eines elfjährigen Schulversagers entsprungen scheinen, einer lang erprobten Choreografie folgend, lediglich ein martialisches Ballett aufführen. Abgesehen von ein paar blauen Flecken, haben die hoch bezahlten Akteure nichts zu befürchten. Ernsthafte Verletzungen sind tragische Betriebsunfälle.
An diesem Punkt muss man sich entscheiden: Bin ich bekloppt oder die?Warum macht jemand so etwas? Wer schaut sich solchen Mist an? Worauf kann man sich überhaupt noch verlassen, wenn nicht einmal der Schmerz im Fernsehen echt ist? Die Erkenntnis trifft wie ein Faustschlag ins Gesicht – es ist Scheißegal! Was zählt ist allein der schöne Schein, das schillernde So-als-ob! Wrestling ist das alles erklärende Abbild unserer modernen Wertegemeinschaft. Wrestling ist im selben Maße ein Kampfsport, wie McDonalds ein Restaurant, Heidi Klum ein Top- Model, Guido Knopp ein ernstzunehmender Historiker und das Billy-Regal ein Möbelstück. Maßgebend ist die Behauptung, ein Möbelstück zu sein. Wenn es zudem noch preiswert ist und man etwas hineinstellen kann, was macht dann noch den Unterschied? Derart erleuchtet, lässt sich das ganze Dasein nur noch als endloses Dauerwrestling begreifen. Die Scheingefechte unserer Volksvertreter im Bundestag, die immer gleichen Gestalten in den TV-Talkrunden, der deutsche Friedenseinsatz in Afghanistan, die internationalen Finanz- und Klimagipfel – was zählt ist allein die Imitation von Anteilname und Engagement, der Anschein von demokratischem Diskurs und Lösungswillen. Ob Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Steuersünder-CD oder Taschengelderhöhung für Familien – Wrestling around the clock! Ob darbende Ärzte demonstrieren oder Verdi unterbezahlte Klofrauen auf die Barikaden treibt – alle spielen mit ihren Muskeln, streifen ihre Kostüme über und nehmen ihre antrainierten Posen ein – die ARD sendet einen Brennpunkt-Extra – und schon ist er gefunden, der Kompromiss. Wrestling ist der Hoffnungsstreif am Horizont. Wrestling weist den Weg in eine bessere Welt. Es zeigt, dass der Mensch all seine Konflikte friedlich aussitzen kann, ohne damit sein Recht auf Unterhaltung preiszugeben. Mehr kann sich niemand wüschen. Ring frei zur nächsten Runde!