Ein kleines bisschen Anarchie

Gedanken zum Kampf- und Feiertag
Erstveröffentlichung am 01.05.2014
Jedes Jahr pünktlich zum 1. Mai überkommt mich so ein Kribbeln. Ein Gefühl, als ob ein bestimmter Teil meines Ichs nach draußen gelangen möchte: mein rebellisches Ich. Mit Spannung verfolge ich daraufhin die Berichterstattung in den Medien oder mache mir vor Ort selbst ein Bild vom Tanz in den Wonnemonat Mai. Wenn ich dann das alljährliche Treiben zwischen Polizeiaufgebot und protestierenden Menschenmassen vor Augen habe, schreit in mir eine innere Stimme laut: „Demonstration! Demonstration!“

Ich kann nicht sagen, dass ich mich mit der politischen Anschauung der meisten Demonstrierenden komplett identifizieren kann oder gar selbst einmal tätig geworden wäre. Vielmehr ist es die Faszination dafür, dass in unserer durchregulierten Gesellschaft, die für alles Gesetze hat und unter anderem sogar eine EU-Schnullerkettenverordnung hervorbringt, dennoch Raum für ein wenig Unordnung annektiert wird.

Denn Regeln sind zwar schön und gut und sogar wichtig, um das friedliche Zusammenleben aller Menschen zu gewährleisten. Sie zu befolgen, fällt aber insbesondere angesichts dieser Fülle und der Zahl fragwürdiger Normen nicht unbedingt leicht. Statt nach jemandes Pfeife zu tanzen, würden wir viel lieber darauf pfeifen und aus der Reihe tanzen. Eine Feststellung, die ich für mich schon im Sportunterricht in der Grundschule machen konnte.

Ab und zu tut es einfach gut sich aufzulehnen, sich bestimmte Freiheiten zu nehmen. Darum springen wir so gern vom Beckenrand. Darum stellen wir unsere Fahrräder an Wände ab, an denen Bitte keine Fahrräder anlehnen steht. Darum betreten wir am Bahnsteig den gekennzeichneten Bereich schon vor dem Halt des Zuges. Und freuen uns dann spitzbübisch. Alles okay, solange es niemandem ernsthaft schadet.

Dass das Brechen von Regeln in der Natur des Menschen liegt, beweist schon allein der wohl berühmteste Fall in der bekanntesten Polizeiakte der Welt – der Bibel: Obwohl die Anzahl der gültigen Rechtsnormen seinerzeit doch noch ziemlich übersichtlich war, kamen Adam und Eva nicht umhin gegen das eine Verbot zu verstoßen, dass Gott ihnen ausdrücklich ausgesprochen hatte (neben Grillen auf dem Rasen untersagt vielleicht, doch wer weiß, ob die zwei Rebellen das nicht auch getan haben). Sie aßen die verbotene Frucht.

Da Strafe sein muss (Welcher Idiot hat das eigentlich mal festgelegt?), wurden die Prototypen von Bonnie und Clyde kurzerhand aus dem Garten Eden geschmissen und mit scharfen Sanktionen belegt.

Seitdem war die Geburt für Frauen kein Zuckerschlecken mehr und der Mann musste Ackerbau betreiben. Zumindest bis die Menschheit die Periduralanästhesie und den Traktor mit 6-Zylinder-Dieselreihen-Motor erfand, aber das ist eine andere Geschichte…

Allerdings muss man festhalten, wie gemein die Ausgangssituation vor der vermeintlichen Straftat für die beiden eigentlich war. Einen tollen Baum der Erkenntnis mit saftigen Früchten, die partout nicht gegessen werden dürfen, in einen schicken Garten zu setzen, ist in etwa so, als würde man vor den Augen eines Kindes ein Eis mit drei Kugeln kaufen und dieses genüsslich und mit lautem Schmatzen begleitet verzehren. Und wenn man nicht alles schafft und sich das Balg schon Hoffnung macht, wirft man die Reste einfach in den Sand. Insofern ließen sich Gott beinahe sadistische Züge unterstellen.

Fraglich ist außerdem, warum Gott dermaßen Wert darauf legte die Erkenntnisse dieses Baumes Adam und Eva vorzuenthalten. Erkennen wir hier eine erste Form von Zensur? Sollten Adam und Eva auf ewig unmündig und demzufolge kontrollierbar bleiben?

Wo stünde die Menschheit heute, wenn die Mutter aller Straftaten nicht gewesen wäre? Wer weiß, vielleicht liefen wir immer noch nackt durch eine riesige Grünanlage, in deren Bäumen man stets nach einer Schlange Ausschau halten sollte? Eine Vorstellung, die mir nur bedingt zusagt. Deshalb lasst uns ruhig unsere Bagatelldelikte und kleinen Regelverstöße, solange es im gesunden Rahmen bleibt. Für ein kleines bisschen Anarchie…


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