Als dann endlich der kleine grüne Ampelmann die wilden Fahrzeuge zum Stillstand bringt, hebt sich der Schnauzbart des Alten zu einem triumphierenden Lächeln. Für die letzten Meter bis zum Bürgersteig lässt er sich Zeit. Diesen Sieg will er genießen. Als sich die Blechlawine wieder hupend in Bewegung setzt, schwingt er noch einmal drohend seine Klinge. Hund und Blaumann ziehen schleunigst Leine.
Allein die beiden Muttis flüstern tapfer und vernehmlich. „Nie ist die Polizei da, wenn man sie mal braucht!“ Und natürlich haben sie Recht. Und selbstverständlich muss man das wohl noch sagen dürfen. Und schon erinnern sie sich an ihre pädagogische Verantwortung. „Das ist nicht lustig, Leander. Da gibt es gar nichts zu lachen!“ „Ja genau, Nadine. Darf man denn Autos hauen? Darf man Autos hauen? Nein, Nadine, das darf man nicht!“
Wilhelm Voigt versteht die Welt nicht mehr. Früher zogen die Leute ihren Hut, wenn er im vollen Ornat des preußischen Offiziers ihren Weg kreuzte. Dass er die Sachen vom Trödler hatte, sah man ihm nicht an.
Nun hängt sein Mantel am Haken und der Säbel wartet im Schirmständer und ich sitze in der Alten Laterne und er mir gegenüber und ich höre bereits zum dritten Mal sein altbekanntes Husarenstück. „Und wie ich gerade um die Ecke biege, da kommt dort eine Truppe Soldaten – Und ich dann – Halt! Mir nach! Im Gleichschritt marsch! Und wir dann alle ab nach Köpenick, am Bahnhof noch schnell ein Bierchen gezischt und rein ins Rathaus, Treppe hoch – Und ich dann – Im Namen Ihrer Majestät, Sie sind verhaftet und die Stadtkasse wird von mir persönlich in Sicherheit gebracht!“
Ich haue mir wieder auf die Schenkel und brülle vor Lachen und der Alte zwinkert mir fröhlich zu und fragt, ob ich eigentlich wüsste, wie er damals die Vollidioten im Rathaus über den Löffel barbiert hätte. „Ne, Willi, erzähl doch mal, aber vorher muss ich erst mal pinkeln.“ Das wäre die Gelegenheit, um aus dem Klofernster zu türmen. Nein, denke ich dann: „Hat sich nicht einst Rex Gildo auf diese unwürdige Weise davon gemacht?“
Im Lokal hat sich währenddessen die Lage zugespitzt. Verständnislose Blicke klagen mich an. Die übrigen Gäste erwarten offenbar ein Wunder, denn der Köpenicker Hauptmann ist außer sich. Sein Stuhl liegt auf dem Boden und mit zitterndem Säbel hält er mir eine aufgespießte Tageszeitung vor die Nase.
„Hast du das gelesen? Einfach unglaublich! Das ist doch das Allerletzte! Schon wieder wird unseren allmächtigen Finanzverbrechern mit irrsinnigen Milliardensummen der Arsch gerettet und mich haben sie seinerzeit für ein Trinkgeld in den Bau gesteckt!“
Heute sei vieles anders, versuche ich ihn zu beruhigen, aber der gut gebräunte Leistungsträger am Nebentisch fühlt sich leider persönlich angesprochen. Er schließt seinen dunkelblauen Zweireiher und sagt dann prompt das Falsche. „Sie flegelhaftes Subjekt! Im Gegensatz zu Ihnen sind unsere weltweit agierenden Geldinstitute unverzichtbar und systemrelevant! Ich darf jedoch gar nicht daran denken, was so einer wie Sie uns täglich kostet. Anstatt heute zu jammern, hätten sie es früher lieber mal mit anständiger Arbeit versuchen sollen!“
Dem guten Mann kann nun keiner mehr helfen. Ich trete zur Seite, während der scharfe Stahl durch die Luft schneidet und zack, zack, zack, den betriebsbereiten Laptop des vorlauten Tischnachbarn in Stücke schlägt. Mit den nächsten Hieben werden auch Kaffeetasse, Handelsblatt, iPhone und Autoschlüssel filetiert. Als der so Zurechtgewiesene schließlich in seine Hosen pullert, lässt es der alte Haudegen dabei bewenden.
Er winkt dem Kellner, um sich über das aktuelle Kuchenangebot zu informieren. „Was sind das nur für Zeiten?“, fragt er dann. Ich zucke ratlos mit den Schultern. Wie soll man das erklären? Mit hörbarem Vergnügen verputzt er seine Torte und leckt sich genüsslich die Krümel aus dem Bart. „Das nenne ich wahren Luxus. Was braucht der Mensch sonst noch zum Glücklichsein?“
Die Tür geht auf, eine dralle Dame erscheint und übernimmt sofort das Kommando. „Achtung! Stillgestanden! Ja wie sieht es denn hier aus? War unser Hauptmann wieder ungezogen? Jetzt aber ab nach Hause und dann geht es sofort ins Bett – und heute ohne Fernsehen!“ Willi steht stramm und greift dann seinen Mantel. In der Tür schlägt er noch einmal die Hacken zusammen und grüßt schneidig in die Runde.
Der Ölprinz am Nebentisch verlangt nach einem Telefon. Es ist an der Zeit, die Staatsmacht zu alarmieren. Der Kellner schaut an ihm herab und rümpft diskret die Nase. „Wollen sich der Herr zunächst ein wenig frisch machen?“