The Good, the Bad and the Maulbeerblatt

Der große Kiezmagazin-Contest. Part One
Prolog: Als der große Städtebauer Berlin erschuf, schnippte er mit seiner großen Stadtbauzigarre statt eines großen mehrere kleine Stadthäufchen nebeneinander. Diese wirken von außen betrachtet wie ein zusammenhängendes Gebilde. In Wahrheit besteht es aber aus lauter Kleinstädten, die nur durch den S-Bahn-Ring lose miteinander vernetzt sind und die (Achtung, mitschreiben!) Stadtbezirke genannt werden.

Dabei ist es so, dass der echte – will sagen: über mehrere (!) Generationen eingeborene – Berliner niemals seinen Stadtbezirk verlässt. Nicht weil er desinteressiert oder faul wäre (was er ist), sondern weil man ja auch morgen noch alle Ausstellungen, Konzerte, Restaurants besuchen kann. Es ist belegt, dass alles (wirklich alles), wofür diese Stadt berühmt ist (Loveparade, besetzte Häuser, Currywurst, schlechte Architektur, undeutliche Aussprache), von Zugezogenen initiiert wurde. Der Berliner kriegt einfach seinen Arsch nicht hoch. Muss er ja auch nicht. Kommt ja alles von alleine zu ihm.

Und so sitze ich nun hier seit 100 Maulbeerblattausgaben … Wisst ihr übrigens, wie der Name entstanden ist? Das war so: Der Berliner Bär trottete eines sonnigen Tages durch den Müggelsee und brummte: „Hier ist es schön.“ Und er rief zum großen Städtebauer:

„Dieser Teil der Stadt braucht eine eigenes Magazin!“

Dem großen Städtebauer ging es aber vom ständigen Zigarrerauchen – es war die Zeit der industriellen Revolution und überall wurde gebaut – gar nicht gut und so knurrte er nur: „Halts Maul, Bär!“ (Zwei Jahre später sollte die Friedrichshagener Schlittschuh-Herrenmannschaft Promille Müggelkufe diesen Witz zum schlechtesten Witz aller Zeiten wählen.)

Aber zurück zum Thema. Also saß ich da in meinem einbetonierten Schaukelstuhl am Müggelsee. In der Hand mein Maulbärblatt und einen lauwarmen Holundergrog. Ich schaukelte so vor mich hin. Plötzlich stieg ein seltsam fremder Gedanke in mir auf: „100 Maulbeerblattausgaben sitze ich nun hier. Wie es wohl in den anderen Teilen der Stadt aussieht? Wie es sich dort wohl lebt?“

Ich nahm drei Züge von meiner Hagebuttenpfeife und sprach: „Soll ich es wagen? Aber wie soll ich ohne mein geliebtes Maulbeerblatt auskommen. Mein treuer Gefährte in allen Leselagen? Die anderen Stadtteile werden doch wohl ihre eigenen Maulbeerblätter haben?!“ Erleichtert lehnte ich mich zurück. Aber besser vorher einen Blick zu riskieren. Sicher ist sicher.


Allerlei Ansichten im Prenzlauer Berg

Der Prenzlauer Berg erfreute sich kurz nach der Wende für einige Monate des Rufes eines Szenebezirks. (Wobei diese Zeit nicht lange genug dauerte, um zu fragen, welche Szene überhaupt.) Heute hat er ein eher biederes Image. Trotzdem (oder deswegen?) verfügt er über drei Lokalzeitungen: Prenzlauer Berg Nachrichten, Prenzlberger Ansichten sowie Prenzlberger Stimme.

Sofort fallen mir ein paar Namensvorschläge für die nächste Generation ein: Prenzlberger Tagesanzeiger, Prenzlauer Berger Aussichten oder Prenzlberger Bote. Aber nur eine von ihnen erscheint in gedruckter Form.

Und gleich der nächste Schock: Die Prenzlberger Ansichten sehen aus wie eine Briefkastenwurf-Zeitung. Die Farbbilder machen einen schwarzweißen Eindruck und eine Coverillustration sucht man vergebens. Es gibt keine Kochrezepte oder Schachrätsel. Auch der Comic auf der letzten Seite fehlt völlig.

Die Online-Namensvetter haben ein ähnliches publizistisches Verständnis: Lokale Gebrauchsinformationen – von der Spielplatzrenovierung zum Möbelrestaurator zum alteingesessenen Mitternachtsbaguette-Verkäufer – sind die Waren der Prenzlauer Berger Lokaljournalisten. Ich frage mich, warum sie sich nicht einfach alle zusammentun und den Bezirk mit einem große Prenzlauer Berger Lokalblatt beschenken.

Vielleicht hassen sich alle drei Herausgeber gegenseitig und sprühen sich nachts „Prenzlberger Stimme stinkt! Lest die Prenzlauer Berg Nachrichten!“ an die Hauswände? Und der Chefredakteur schreit dann aus dem Fenster „Ich habe dich ganz genau gesehen, Jörg (Name ausgedacht)! Du talentloser Provinzschreiber!“ Lustig, aber vielleicht nicht mein Bezirk.

Prenzlberger Ansichten: 15 000 Exemplare /// monatlich
Prenzlauer Berg Nachrichten: nur online
Prenzlberger Stimme: nur online

 


Kiez und Kneipe – Zwei die sich verstehen

Dort wo Kreuzberg und Neukölln sich „Gute Nacht“ sagen, liegt das sogenannte Kreuzkölln. Das darf man aber nicht so nennen, sonst bekommt man schnell mal Ärger mit lokalpatriotischen Ureinwohnern. Diese stehen argumentativ aber auf schwachen Füßen, verbindet doch beide Bezirke zwei Geschwister-Kiezzeitungen, die beide „Kiez und Kneipe“ heißen und auch noch gleich aussehen.

Mehrmals muss ich auf den Webseiten schauen, wer noch mal wo wohnt. Die Neuköllner Ausgabe erkennt man an dem Wappen oben links. Ich frage mich, ob die Macher manchmal ihre eigenen Zeitungen verwechseln? „Kiez und Kneipe“ verzichtet konsequent komplett auf Farbe und setzt vor allem auf Schrift.

Das Design stammt aus einer Zeit, als man noch mit Engagement und 1,8 im Turm beschloss, gemeinsam Dinge auf die Beine zu stellen. Saufen, diskutieren und dann machen. „Kiez und Kneipe“ begreift die Kneipe noch als Kulturträger an der Basis. Man will die Leute näher zusammen bringen und die heimische Wirtschaft stützen.

Die Kreuzberger Ausgabe hat sogar schon einen Tatort-Auftritt hinter sich. Leider mag ich keinen Tatort, so dass mich diese Angeberei nicht beeindruckt. Im Inneren der Kreuzberger Ausgabe gibt es ein Wiedersehen mit dem früheren Zitty-Comicstrip „Der dreißigjährige Punk“ von Bert Henning, der mittlerweile „Der fünfzigjährige Punk“ heißt. Alles sehr sympathisch, aber für mich dann doch ein wenig zu bodenständig. Zumal ich dieses Jahr weniger trinken wollte. Und vom Rauchen bekomme ich Kopfschmerzen.

Kiez und Kneipe Kreuzberg: 3000 Exemplare /// monatlich
Kiez und Kneipe Neukölln: 3300 Exemplare /// monatlich

Vom Fernmeldewesen in Friedrichshain

Der Friedrichshain hat ein eigenes, optisch äußerst hochgewachsenes schlankes Kiezmagazin. Das nennt sich „Zeitzeiger“ und dieser Name ist gut gewählt. Denn inhaltlich zeigt man vor allem auf die Vergangenheit. In der aktuellen Ausgabe geht es um die Geschichte des Fernmeldewesens in Friedrichshain. (Warum auch nicht?!)

Einige Ausgaben zuvor konnte man sich über historische Morde in der Gubener Straße informieren. Und über die Geschichte des Kohlenhandels im Friedrichshain. (Das ist lustigerweise interessanter als es auf den Blick klingt.) „Geschichte, Bildung, Partizipation!“ lautet der Schlachtruf des Zeitzeigers. Für mehr als vier Veranstaltungshinweise bleibt da am Ende meist kein Platz.

Kaum noch erwähnenswert, dass es auch hier kein illustriertes Cover gibt. (Sollte diese hohe Tradition allein dem Maulbeerblatt vorbehalten sein?!) Ich stecke mir alle ausliegenden Zeitzeiger als Leselektüre für die Bahn ein und denke mir dort Themenvorschläge für die nächste Zeitzeiger-Redaktionssitzung aus: „Wie die Rohrleitung in den Friedrichshain kam“ oder „Es werde Licht – Friedrichshainer Straßenbeleuchtung von dunkel bis heute“.

Friedrichshain Zeitzeiger: 2500 Exemplare /// monatlich

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