Leistungssport mit Froschschenkeln

Vorletzte Woche trieben mich der Hunger und mein leerer Kühlschrank wie so oft in den Supermarkt meines Vertrauens. Dort ergab sich mir das gewohnte Bild: Menschen in allen Größen, Formen und Farben griffen in den schier endlosen Regalen nach Dosen, Tüten und Verpackungen in allen Größen, Formen und Farben, packten diese in ihre Einkaufswagen (der Mercedes des kleinen Mannes) und fuhren sie in den Gängen ein wenig spazieren.

Als ich gerade ergründen wollte, ob zwischen der Physiognomie der Kunden und der Gestaltung ihrer gewählten Produkte eine Analogie besteht (Stichwort Spargel-Tarzan), erregte ein lautstark geführtes Gespräch im Kassenbereich meine Aufmerksamkeit. Eine Frau vom Typ Grundschullehrerin befahl ihrer Tochter: „Nein Elisabeth, du lässt den armen Mann jetzt in Ruhe!“ „Aber Mama, schau doch! Ein echter Pirat!“, entgegnete die so Zurechtgewiesene.

Tatsächlich stand vor den beiden in der Schlange ein älterer Herr mit Augenklappe, der in aller Gemütlichkeit sein Toilettenpapier und andere Dinge auf das Band legte. Eine Ahnung sagte mir, dass das noch interessant werden könnte. Drum hakte ich schnell die letzten Punkte auf meiner Einkaufsliste ab und stellte mich hinter die drei Genannten. Ich überlegte. Was, wenn das kleine Mädchen Recht hat?

Unsere Breitengrade sind zwar nicht gerade der angestammte Lebensraum von Freibeutern, allerdings hat man auch schon Riesenpythons in Kloschüsseln entdeckt. Das betreffende Subjekt verfügte aber weder über Holzbein und Piratenhaken, noch über einen redseligen Papageien auf der Schulter. Andererseits ist das Fehlen oder Vorhandensein von Klischees heutzutage kaum noch ein verlässliches Mittel zur Einordnung eines Individuums in Subkulturen.

Mitten in meine innere Auseinandersetzung platzten zwei Damen herein, die sofort ihren Teil zur Debatte über den vermeintlichen Seeräuber beitrugen. „So muss man im 21. Jahrhundert nun wirklich nicht mehr rumlaufen“, echauffierte sich die eine. „Da kann man doch was machen lassen“, meinte die andere und strich sich dabei durch die Perücke. Abermals geriet ich ins Grübeln.

Seit wann ist der Homo sapiens eigentlich so versessen auf makellose Schönheit, dass er nicht einmal eine harmlose Augenklappe verträgt? Sicher, Leonardo da Vincis vitruvianischer Mensch mit den idealen Proportionen ist seit 1490 als Skizze vorhanden. Der Trend zur absoluten Selbstoptimierung fällt wohl trotzdem eher in unsere moderne Gesellschaft. Ein Blick hinüber zum Zeitungsregal bestätigte mich in meiner These.

Dort lachten mir auf den Covern sämtlicher Magazine diverse gutaussehende Models und Prominente der Kategorien A bis D entgegen und versprachen, wie man besser kocht, länger schläft, konzentrierter arbeitet und „wieder mehr Pep ins Liebesleben bringt“. Damit hörte es jedoch nicht auf: Sternchen X verriet exklusiv im großen Interview, wie sie nach ihrer Brustvergrößerung endlich wieder selbstbewusst in den Spiegel schauen kann.

Und der Schauspieler einer ehemals erfolgreichen TV-Serie pries den Gang zum Schönheitschirurgen gar als Rettung seiner Karriere an. Zumindest im Showgeschäft scheint kein Platz mehr für Menschen abseits der Perfektion zu sein. Da wir als dominante Spezies auf dem Planeten kaum etwas fürchten müssen, ist unsere größte Sorge der körperliche Verfall. Wir können immer älter werden, wollen dabei trotzdem so lange wie möglich aussehen wie 20.

Und wo soll das alles hinführen? Eingriffe, die das Äußere nach Belieben verändern, sind das Eine. Doch irgendwann wird die Medizin so weit sein, dass die natürlichen Grenzen des Menschen deutlich ausgebaut werden können. Viele Erfindungen basieren auf Beobachtungen im Tierreich. Der nächste Schritt ist es, die körperlichen Eigenschaften direkt zu kopieren.

Rein sprachlich sind wir längst soweit. Man stelle sich einen Leistungssportler vor, dem man Adleraugen, kräftige Froschschenkel und eine Pferdelunge implantiert hat – ein Spitzenathlet! Aber für all das bin ich wohl zu sehr Hasenfuß. Dann also doch lieber eine Augenklappe...


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