Der Höhlenmensch und seine Königin

Alexander Stolze startet wieder mal solo durch
Einst mit Bodi Bill gefeiert, steht der Berliner Musiker Alex Stolze vor der Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums. Schon jetzt ist klar: Es wird wieder unkonventionell.
Alex Stolze
Foto: Rosa Merk

Wer in der Nähe der polnischen Grenze auf eine renovierte Ruine stößt, hat gute Chancen, dabei auf Alex Stolze zu treffen. Vor acht Jahren kaufte er das Grundstück für 5.000 Euro und investiert seither regelmäßig Zeit und Geld in sein Projekt.

Hier, mitten im Nirgendwo, wie er selbst oft betont, steht auch sein eigenes Studio. Fernab der Großstadt findet er die Ruhe und die Muße, um an seinen Songs zu arbeiten. Oder um Tomaten zu pflanzen. „Wenn ich nicht gerade Musik mache, baue ich gern etwas oder kümmere mich um den Garten“, sagt der 39-Jährige. Der Gegensatz aus kreativem Schaffen und rustikaler Arbeit ist nur ein vermeintlicher. Auch musikalisch vereint der gebürtige Köpenicker scheinbar Unvereinbares.

In einer Konzertankündigung von Frederick Kapp heißt es: „Dabei rückt Alex Stolze die Violine ins musikalische Zentrum und begibt sich auf eine waghalsige Reise durch die Jahrhunderte, um archaische Streicher- Arrangements und gezupfte Rhythmustexturen in einem elektronischen Musikumfeld aufleben zu lassen.“ Mama Stolze, die angesichts des kreativen Werdegangs ihres Filius schon längst stolze Mama sein dürfte, wollte eigentlich selbst Musik studieren.

Letztlich wurde sie aber von ihren Eltern überzeugt, doch lieber „etwas Richtiges“ zu machen. Ihre Begeisterung für Melodien und Töne gab sie aber glücklicherweise an ihren Sohn weiter. Dieser spielt seit dem achten Lebensjahr Violine, am Klavier macht er ebenfalls eine gute Figur. Im DDR-Unterricht war das nicht unbedingt eine leichte Angelegenheit, jährlich wurde mit strikten Prüfungen der Fortschritt am Instrument überprüft. Allerdings habe klein Alex auch ohne großes Üben im Vorfeld stets mit sehr guten Leistungen punkten können, wie er mit einem verschmitzten Lächeln zugibt. Viel wichtiger für den soeben erst in ihm entdeckten Künstler Alex Stolze war aber die Erkenntnis, dass ihm das Spiel große Freude bereitete. Ohnehin sei für ihn die Violine „die Königin unter den Instrumenten“.

Die Wendezeit und die 90er kamen für ihn persönlich im passenden Moment. Stolze, zum Zeitpunkt des Mauerfalls mitten in der Pubertät, wil l sich alsbald in einer neuen Welt ausprobieren und entdecken: „Ich als junger Erwachsener? Kiffen, trampen und Bob Dylan.“ Den Zugang zur elektronischen Musik findet Alex Stolze kurz vor dem neuen Jahrtausend mit ersten experimentellen Stücken und Improvisationen. Unter dem Pseudonym Alex Amoon veröffentlicht er 2002 die EP „I'm The Virus“. Mit dem „Lichtenberger Gitarrenheld“ Konrad Wilde und seinem Bruder Fabian spielt Stolze in der Band Nonostar Violine und Piano, 2003 erscheint das erste Album „Nude“. Die Gruppe spielt in diversen Clubs, gibt gut besuchte Konzerte. Ein regelmäßiger Besucher der Auftritte ist Fabian Fenk. Mit ihm kommt Stolze in Kontakt, man tauscht sich kreativ aus. Ab 2005 entsteht aus dieser Vereinigung Bodi Bill. Zunächst produzieren die zwei Musiker nur einzelne Tracks, später ganze Songs. Doch erst als Anton K. Feist dazugeholt wird, „klingen die Stücke so, wie sie klingen können“. 2007 erscheint „No Wars“, das erste von drei Studio-Alben. Im selben Jahr heiratet er die Künstlerin Andrea Huyoff - „die große Liebe meines Lebens“. Mit ihr hat er zwei Kinder, heute fast zwei und fünf Jahre alt.

Aus einer früheren Liaison kommen zwei ältere Kinder. Dass beide Künstler sind, mag Stolze sehr. „Wir sind kreative Freigeister, das hält uns jung. Unser Alltag wird nie langweilig.“ Mitunter kann man sich so auch nicht nur moralisch unterstützen: „Die ersten Bodi Bill-Videos hat meine Frau gemacht.“ Für die Gruppe läuft es sehr gut. Die Kritiker sind begeistert, die Presse schwärmt vom „technoiden Folk-Elektro“ (Tagesspiegel).

Auf laut.de heißt es zum letzten Album „What?“ von 2011, „das Trio liefere weder discotauglichen Einheits-Pop, noch bodenstampfenden Elektro“ und sei damit der Sargnagel für das ewige „Oasis-Gedudel“. Legendär sind vor allem die Konzerte der drei Berliner. Schweißtreibend, mitreißend und faszinierend sind gängige Attribute für deren Auftritte. Dennoch entschließt man sich 2012 einvernehmlich eine Pause einzulegen. „Wir haben zu Beginn gesagt: Wir machen das fünf Jahre, sonst bringt das nichts. Vielleicht hatten wir rückblickend betrachtet aber ein bisschen zu viel Dampf im Kessel und es zu sehr gewollt“, sagt Stolze. Auf Facebook warten seither über 22.000 Fans auf die Reunion und neues Material. „Bei so hohen Erwartungen ist es schwierig, etwas zu machen, aber Fabian Fenk und ich setzen uns dieses Jahr erst mal völlig ungezwungen zusammen“, kündigt Stolze an. Unterbeschäftigung droht ohnehin niemandem: Fabian Fenk und Anton K. Feist nutzten die Bodi Bill-Pause für ihr neues Projekt The/Das (Debüt-Album „Freezer“ erschien 2014), Stolze bastelt nach den Stationen Dictaphone und Unmap an seiner Solo-Karriere. Auf seiner Webseite ist zu lesen, er fühle sich wie ein Höhlenmensch in einer hoch technologisierten Umwelt.

Um das zu verdeutlichen, trat er bei Konzerten von Bodi Bill sogar des Öfteren in einem entsprechenden Fellkostüm auf. „Wir stehen am Anfang eines elektronischen Zeitalters. Das Zusammenleben mit Robotern steht mittlerweile kurz bevor, wir werden alle mit Chips ausgestattet. Für mich ist es ein interessantes Spannungsfeld, mit der Violine ein Instrument aus der Geschichte einzubringen und es auf moderne Art für das Smartphone am Leben zu erhalten.“

Anders als bei Bodi Bill, wo die experimentelle und wilde Musik durch einen Ruhemoment der Geige abgelöst wurde, ist das Ausgangsmaterial bei Stolze jetzt die Violine, die sich im elektronischen Umfeld behaupten muss. Dadurch ergebe sich auch ein Blick auf die eigene Menschlichkeit. Wie weit haben wir es geschafft uns zu entwickeln? „Die Flüchtlingskrise zeigt, dass es Menschen gibt, die sich weiterentwickeln wollen“, sagt Alex Stolze, der selbst eine syrische Familie aufgenommen hat. „Ich glaube an die Utopie.“


Foto: Rosa Merk
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