Dass es sie gibt, weiß kaum jemand.
Sonja Eichmann (40) ist die EU-Beauftragte des Bezirkes. Dass es überhaupt eine EU-Beauftragte im Bezirk gibt, dürfte kaum bekannt sein. Dabei ist sie seit 2004 im Amt. Wir stellen sie vor:
Die Diplom-Verwaltungswirtin ist in Köpenick geboren und in Treptow aufgewachsen. Lange hat sie in der Wirtschaftsförderung, kurz WiFö, gearbeitet. Dort geriet sie in ein transnationales Projekt, das Unternehmer und Verwaltungsfachleute aus verschiedenen Ländern zusammenführte. Plötzlich war Englisch statt Amtsdeutsch gefragt und eben auch Wissen darüber, wie die EU es möglich macht, dass Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer grenzübergreifend zusammenarbeiten und miteinander leben können. Dieses Wissen hat sie sich im Zusatzstudium Europäisches Verwaltungsmanagement und bei Auslandseinsätzen angeeignet.
Von ihrem Büro im Rathaus Köpenick, das direkt an das der Frauenbeauftragten grenzt, hat sie einen herrlichen Blick auf den Luisenhain und die Dahme. Sehr oft kommt sie nicht zum Rausschauen, denn es gibt viel zu tun für Europa. Sonja Eichmann ist auf einer halben Stelle für ein Themengebiet zuständig, für das die Stadt Birmingham zwölf Mitarbeiter beschäftigt.
In der englischen Metropole hat die anglophile Köpenickerin ein freiwilliges vierwöchiges Praktikum in der Stadtverwaltung absolviert. Möglich wurde ihr Aufenthalt durch Fördergelder aus Brüssel für Berufstätige, die Europa-Kompetenz erwerben wollen. Wer die Fördertöpfe kennt, weiß, dass die EU für viele verschiedene Anliegen Gelder bereit hält. Sonja Eichmann kennt viele dieser Geldquellen. Sie übernimmt die Erstberatung für Vereine und Unternehmen und hilft auch schon mal beim Ausfüllen der Anträge.
In den verbleibenden 20 Stunden ihrer Arbeitswoche ist Sonja Eichmann für die zwölf Treptow-Köpenicker Städtepartnerschaften zuständig. Die sind zwischen Köln und Cajamarca (Peru) über den gesamten Erdball verteilt. Städte in Italien, Slowenien, Polen, der Türkei, den USA und anderswo sind mit Treptow-Köpenick verbunden. Wie es zu diesen Partnerschaften gekommen ist und was sie jeweils ausmacht, das sind noch einmal zwölf Geschichten für sich. Sonja Eichmann erzählt sie gern. Nicht zuletzt, weil sie selbst alle Partnerstädte besucht hat.
„Europa liegt in Köpenick“
Frau Eichmann, fühlen Sie sich als Köpenickerin oder als Europäerin?
Ich fühle mich tatsächlich vor allem als Europäerin, dann als Berlinerin. Dass ich außerdem Deutsche bin, merke ich im Ausland, zum Beispiel in Großbritannien. Für die Briten, die sich mehrheitlich nicht als Europäer sehen, bin ich „die Deutsche“.
Wie ist Ihre Verbindung zu Großbritannien?
Ich habe dort freiwilliges Praktikum in der Stadtverwaltung von Birmingham gemacht, vier Wochen lang. Dort gibt es eine zwölf Personen große Abteilung „Europäische und internationale Beziehungen“. Ich bin ja hier Einzelkämpferin und wollte lernen, wie die arbeiten. Das war eine tolle Erfahrung. Ich setze mich hier in der Verwaltung für internationale Kompetenz ein. Da will ich nicht wie ein Blinder von der Farbe reden.
Wie bitte? Die Briten wollen raus aus der EU, bezahlen aber allein in Birmingham 12 Leute für die EU-Werbung?
Ja, das ist kurios, nicht? Das liegt daran, dass die Abteilung von einem Mann aufgebaut wurde, der ein echter EU-Fan ist. Und die Briten sind auch echte Profis in Sachen Fördermittelakquise. Sie wollen möglichst viel europäisches Geld in ihr Land holen. Mittlerweile haben sie so wie wir mit Einsparungen zu kämpfen. Trotzdem sind alle Kollegen, die den Job machen, glühende Europäer.
Und was hat Sie zu einer glühenden Europäerin gemacht?
Ich habe lange in der Wirtschaftsförderung des Bezirksamtes gearbeitet. Wir hatten damals schon ein transnationales Projekt zur Vernetzung von Unternehmen aus dem Bereich Nachhaltigkeit. Partner aus Malmö, Stettin und anderen Städten waren mit dabei und verständigten sich auf Englisch über mögliche gemeinsame Absatzmärkte. Das fand ich spannend. Ich wollte mehr über die Arbeit der EU wissen und habe dann neben der Arbeit zwei Jahre im Fernstudium europäisches Verwaltungsmanagement studiert.
Seit wann gibt es Europa-Beauftragte auf Bezirksebene?
Ab etwa 2002 richteten die Bezirke diese Stellen nach und nach ein. Über die Senatsverwaltung kamen immer mehr europäische Themen auf uns zu. Aber irgendwie sind die oft versackt, weil nicht ganz klar war, wer diese Themen wie bearbeiten sollte. Und irgendwann kam man an Europa einfach nicht mehr vorbei.
Warum braucht Treptow-Köpenick eine Europa-Beauftragte?
Mindestens sechzig Prozent der Entscheidungen, die uns Bürger hier im Bezirk betreffen, werden in Brüssel getroffen, vor allem aus dem Bereich Verbraucherschutz: Fluggastrechte, Lebensmittelsicherheit, Kennzeichnungspflicht auf Verpackungen. Für uns im Sommer das klassische Beispiel ist die Badegewässerrichtlinie. Die regelt, welche Richtlinien Gewässer wie der Müggelsee erfüllen müssen, damit dort Menschen unbeschadet baden können. Dass wir hier in Köpenicker Gewässern eine so gute Wasserqualität haben, hat eben auch etwas mit Brüssel zu tun.
Wie können sich die Köpenicker Bürger Ihre Arbeit konkret vorstellen?
Zu mir kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Fragen. Unternehmen, Vereine und Bürger möchten wissen, ob es für ihr Vorhaben europäische Fördermittel gibt. Manchmal wollen Eltern wissen, wie sie ein Auslandsstudium für ihr Kind organisieren können.
Oft kommen Leute und haben von neuen europäischen Richtlinien gehört und wollen wissen, was es damit auf sich hat. Weil ich den Überblick habe, weiß ich in der Regel, welche Stelle für diese Fragen zuständig ist. So kann ich erste Informationsmaterialien bereitstellen. Ich mache die klassische Erstberatung. Wenn ich kann, gebe ich aber auch detaillierte Hilfe, zum Beispiel beim Ausfüllen von Förderanträgen.
Davon gibt es nicht eben wenige …
Es gibt ungefähr 280 EU-Förderprogramme. Die kann ich nicht alle kennen. Aber die, bei denen es um die Förderung regionaler Projekte geht, kenne ich gut. Zum Beispiel das Programm LSK – Lokales soziales Kapital, das ist sehr niedrigschwellig. Trotzdem macht so ein Antrag meist etwas Mühe, aber es geht ja auch um die Verteilung von Steuergeldern, die EU-Bürger wie wir erarbeitet haben.
Es heißt immer, Deutschland sei der größte Netto-Zahler der EU. Dabei profitieren wir auch kräftig. In welche Höhe fließen eigentlich EU-Fördergelder nach Treptow-Köpenick?
Das ist schwierig zu sagen, weil EU-Fördermittel von verschiedenen Akteuren vergeben werden: von der EU-Kommission, vom Senat, von den Bezirken usw. Wenn Träger XY von Brüssel direkt Gelder bewilligt bekommt, erfahren wir als Bezirk nicht unbedingt davon. Wenn wir als Bezirk Antragsteller sind, dann wissen wir natürlich, wie viel Geld pro Förderperiode wir einwerben. Darunter sind 100.000 jährlich für LSK-Projekte, eine Million Euro für das Programm PEB - Partnerschaft, Entwicklung, Beschäftigung.
Insgesamt sind zwischen 2007 und 2013 mindestens 35 Mio. Euro aus EU-Mitteln nach Treptow-Köpenick geflossen. Nicht eingerechnet EU-Gelder für Schul-, Wissenschafts- und Forschungsprojekte und kleinere Projekte freier Träger aus anderen EU-Programmen.
Noch zählt Treptow-Köpenick nicht gerade zur den angesagten Multikulti-Bezirken Berlins. Wie attraktiv ist Köpenick für europäische Touristen oder Menschen, die hier leben möchten?
Ja, wir sind noch nicht multikulti, werden aber immer attraktiver. Viel hat mit der wirtschaftlichen Situation in Europa zu tun. Neulich war eine Delegation von Sozialarbeitern aus Spanien hier, die wissen wollten, wie wir hier mit Flüchtlingen umgehen. Bei der Begrüßung habe ich unsere Sozialdaten vorgestellt, zum Beispiel eine Arbeitslosenquote von 10 Prozent. In Spanien sind es 50 Prozent und mehr bei der Jugendarbeitslosigkeit! Wir merken, dass immer mehr Menschen aus anderen europäischen Ländern in der Hoffnung auf Arbeit zu uns nach Berlin und damit nach Treptow-Köpenick ziehen.
Stellen Sie denn fest, dass der Anteil ausländischer Einwohner im Bezirk steigt?
Im Bezirk hatten Ende 2014 laut Statistischem Landesamt 9,9 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen übrigens in Oberschöneweide, Adlershof und Alt-Treptow. Ich denke, das zeigt auch, dass Hochschulen wie die HTW und die HU ausländische Studierende und Wissenschaftler anziehen. Und das ist gut so.
Macht sich die jeweilige Berichterstattung über europapolitische Themen wie die Finanzkrise in Ihrem Arbeitsalltag bemerkbar?
Wenn ich bei Veranstaltungen mit einem Infostand stehe, dann gibt es viele Leute, die ihren ganzen Frust mal bei mir los werden wollen. Ich versuche dann anschauliche Beispiele zu finden, wie uns Europa nützt, das ist nicht ganz einfach.
Und wie versuchen Sie den Skeptikern Europa schmackhaft zu machen?
Die europäische Idee ist nach wie vor großartig. Sie gründet auf den schrecklichen Erfahrungen der Weltkriege. Wenn ich dann sage, dass wir auch wegen der EU seit 60 Jahren Frieden in Europa haben, dann überzeugt das nicht jeden. Oder wenn man als Urlauber reisen kann, ohne an den Grenzen warten oder Geld umtauschen zu müssen. Jeder EU-Bürger kann in 28 europäischen Ländern studieren, leben und arbeiten, wo und wie er möchte. All das sind Errungenschaften der EU.
Woran merken Sie, dass Sie Europäerin sind?
In der Abgrenzung zu anderen, zum Beispiel bei Reisen in unsere außereuropäischen Partnerstädte. An vielen kleinen Dingen merke ich, uns Europäer verbindet eben eine gemeinsame europäische Kultur. Oder die europäischen Grundrechte, die bis in die Antike zurück reichen. Dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist, das ist uns so selbstverständlich. Ich bin immer so dankbar, dass ich in dieser Demokratie hier leben darf!
Zur Wahl des EU-Parlamentes 2014 gingen gerade einmal 44 Prozent der Treptow-Köpenicker. Ärgert Sie das nicht?
Wenn ich auf unzufriedene Bürger treffe, die über die Politiker schimpfen und nicht mehr zu Wahl gehen wollen, dann macht mich das richtig traurig. Denn in der Demokratie geht es eben darum, dass möglichst viele mitmachen können. Und ja, das macht Demokratie anstrengend. Die Prozesse sind langwierig und Erfolge nicht von jetzt auf gleich zu haben. Aber man sieht sie trotzdem! Das versuche ich klar zu machen.
Manch einer kommt aus seinem Kiez kaum raus. Oder fliegt nach Spanien, um Berliner am Strand zu treffen.
Alles Reden über Europa und Völkerverständigung bleibt blutleer, wenn die Leute sich nicht persönlich begegnen. Mir ist es ganz wichtig, Menschen zusammenzubringen auf den unterschiedlichsten Ebenen.
Und wie machen Sie das?
Ich bin ja auch Beauftragte für Städtepartnerschaften. Unsere Partnerschaften sind alle nach 1990 entstanden, als die Sehnsucht nach der Welt besonders groß war. Wir stellen gerade eine Gruppe von jugendlichen Sportlern zusammen, die an einer Olympiade in Albinea in Italien teilnehmen. Vom 1. FC Union und vom KSC werden junge Leute dahin gehen. Die werden alle Sternchen in den Augen haben, wenn sie wiederkommen und von ihren Erlebnissen mit Gleichaltrigen aus aller Welt berichten. Europa muss man erleben und fühlen können!
Sind Sie auch manchmal in Brüssel?
Ja, es gibt eine Vertretung des Landes Berlin bei der EU in Brüssel. Die Kollegen machen wirklich gute Arbeit für Berlin. Einmal jährlich treffen sich dort die Berliner EU-Referenten und EU-Beauftragten, um mit den EU-Parlamentariern direkt ins Gespräch zu kommen.
Was sollten Köpenicker unbedingt über die EU wissen? Was ist vielleicht das größte Missverständnis, das Sie ausräumen möchten?
Es gibt ein schönes Zitat von Jean Monnet, einem der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft: „Wenn ich heute nochmal mit Europa anfangen müsste, dann würde ich nicht beim Geld und der Wirtschaft anfangen, sondern bei der Kultur und den Menschen.“ Ich finde, das bringt es auf den Punkt. Europa ist mehr als der Euro und mehr als Griechenlandkrise. Es geht um die Menschen.
Europa ist eine Wertegemeinschaft und eine Solidargemeinschaft. So, wie wir in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung ganz erheblich von der Solidarität der Westdeutschen profitiert haben, sollten wir uns um Unterstützung für unsere europäischen Nachbarn bemühen. Ich würde immer wieder dazu einladen: Geht raus nach Europa und erweitert euren Horizont! Dann schätzt man vielleicht wieder mehr wert, was man in diesem lebenswerten Land und auch im Bezirk hier hat.
Wie machen Sie einem jungen Europäer Köpenick schmackhaft? Denn er oder sie könnte ja auch nach Köln oder München gehen …
Ich bin – und das sage ich mit einem Augenzwinkern – Lokalpatriot. Die lebenswerteste Stadt in Deutschland ist für mich nun mal Berlin. Wegen der Toleranz, die hier herrscht. Leben und leben lassen. Dieses Gefühl, dass ich mich frei bewegen kann, so wie ich bin, auch in Treptow-Köpenick, das ist toll. Komm zu uns und schau es dir einfach an, würde ich ihm oder ihr sagen. Und wenn es dir ein bisschen zu trubelig in Kreuzberg wird, dann komm ins schöne Treptow-Köpenick!