Offenbarung

Holger Claaßen schweift durch den Köpenicker Ortsteil Uhlenhorst
Ich hatte mich eigentlich entschlossen, meiner Heimat Köpenick den Spazierstock zu entziehen, aber wie konnte ich mich der Aufforderung meines Chefredakteurs verweigern, gen Norden in seine Kindheitsgefilde zu ziehen, da er mich doch für mein Schaffen mit Ehren, Orden und Barem überhäuft. Wie der Zufall es so will, erzählte ich meiner Mutter von Maulbeermanns Anliegen und siehe da: auch meine Familiengeschichte wurde hier mitgeschrieben. Also stieg ich die 97 Stufen von Schöneweide nach Köpenick Nord hinab und traute meinen Sinnen nicht. Jedem zur Kenntnis, der sich als Ur- Köpenicker klassischerweise nicht um Belange anderer kümmert: Es gibt Ortslagen, die wegen Bahnstationen, Krankenhäusern oder Villenvierteln im Licht der Öffentlichkeit auftreten und dann gibt es diese Gegenden, deren Namen ungehört und nicht zuordbar klingen, aber auf eine geheimnisvolle Vergangenheit schließen lassen.

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Uhlenhorst, Wolfsgarten und in gewisser Weise auch Elsengrund schmeicheln dem Gehörgang oder behauchen diesen aus schwermütig seufzender Brust mit längst Vergessenem, Gewesenen. Ob hier unsere Köpenicker Urahnen ihre ewigen Jagdgründe fanden? Die Wälder gäben es her.

Als überliefert gilt, das einst freilebende Wölfe die Gegend unsicher machten. Die Anwohner schützten sich und das Wild vor den Räubern mit Fallen, den sogenannten Wolfsgräben. Bekam man Gevatter Isegrimm zu fassen, ging´s dem dann wohl artgerecht an den Kragen, nach wessen Art weiß ich jetzt aber nicht. Ist Ulenspiegel - Till Verwandter des Uhlenhorster Spiegel, sei es drum, das hat nicht zu interessieren.

Meine Mutter jedenfalls verbrachte ihre frühe Kindheit in der Gegend, siegreiche Russen hatte sich kurzerhand entschlossen, die Wohnung meiner Familie am Möllhausenufer zu beziehen und den Großvater mit seiner kleinen vier Kinder und eine Frau zählenden Rasselbande in einer beheizten Baracke der Igelit-Fabrik in der Kleinschewskystraße anzusiedeln. Unrecht vergällt man am Besten mit Unrecht, ist doch klar.

Um die Nazivergangenheit meines Großvaters, sofern er eine aktive hatte, weiß ich bis heute nichts unrühmliches zu berichten, er war Physiker und vor der Machtübernahme im humanistischen Geiste erzogen, das habe ich als Kind oft gespürt und dafür habe ich ihn geliebt.

Er schuf sich und seinen Kindern ein fruchtbares Atoll inmitten der Nachkriegswirren, inmitten eines Fabrikhofes: Von Früchten erzählte mir unlängst die Mutter, von Stachel- und Erdbeeren, Äpfeln und Rhabarber. Vier Jahre lang bewohnte man diese Herberge, bevor man in der Puchanstraße eine neue Heimstatt fand.

50 Jahre lebte meine Großmutter dort, mein Großvater trennte sich im zarten Alter von 60 Jahren von seiner Frau und heiratete erneut. Seine zweite Gattin, die einen würdigen Platz unter den mittlerweile acht Kindern der Familie einnahm, lebt heute noch in Oberschöneweide und auch die Großeltern kamen sich wieder näher, beide liegen auf dem Waldfriedhof Wuhlheide begraben. Selten kommt es vor, das die Familie, die mittlerweile sicherlich 100 Mitglieder zählt, in vollem Unfange zusammentrifft, doch wenn es dann so ist, dann wird ein großer Saal in Köpenick gebraucht.

Mit dieser kleinen familiären Offenbarung werde ich Köpenick entspazieren und der geneigten Leserschaft zukünftig ein Auge in die große, weite Welt Berlins sein. Auch ein Gruß noch an jene, die meinen Köpenicker Stamm bezweifeln, es läßt sich leider nicht leugnen, ich bin einer von hier.


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