Rahnsdorf
Wenn ich an meine Kindheit denke, dann kommt mir unweigerlich das gute, alte Rahnsdorf in den Sinn, in dem ich dank meiner dort ansässigen Großmutter einen großen Anteil meiner Wochenenden als Halbwüchsiger verbrachte. Viele interessante Ecken gab es dort, das Denkmal am Kolpiner Weg war ein beliebter Treff, um von dort aus die Gegend zu durchstreifen. Es gab den „Geheimnisvollen“, einen urwüchsigen, verlassenen Garten, dessen halbverfallene Hütte wir durchs eingeschlagene Fenster inspizierten, um festzustellen, dass es dort nichts Spannenderes gab als auf ner Müllhalde, und so setzten wir die Suche nach dem gestrigen Tag fort. Wir rodelten im Winter auf den Todesbahnen der Püttberge, badeten im Sommer in der alten Spree an der Kuhglocke und angelten an der Triglaw-Brücke ohne Angelschein den ersten Fisch. In der Lagune oder auch mal im Tittenkeller gab’s dann und wann fernab der elterlichen Erlaubnis ein schön gepanschtes Bier, im Abseits der staatlichen Doktrin schufen wir uns eine unbeschwerte Zeit, deren Ende von der Wende und der ersten Jahre danach gekrönt wurde.
Wenn ich heute nach Rahnsdorf zurückkehre, so erinnert mich wenig daran. Das Haus der Großmutter ist verkauft, der „Geheimnisvolle“ hat einen neuen Besitzer und Schnee gibt’s nur noch für Bares irgendwo weit weg von hier. Die Fürstenwalder Allee zerschneidet das alte Fischerdorf in fein nuancierte Ortslagen, man nennt sich großspurig Neuvenedig, Hessenwinkel oder Wilhelmshagen und ist doch Rahnsdorf. Links und rechts der asphaltierten Aorta reiht sich Haus an Haus, urbanisierte Individualität in sich ähnelnder Vielfalt, jeder lebt in seiner Familie, streng getrennt durch Zäune hoch und sicher. Glänzten die Häuser ursprünglich im schlichtem Teint der Umgebung, tritt heute des Rahnsdorfers Vorliebe fürs frische Bunte abseits des Goetheschen Farbverständnisses deutlich in den Vordergrund. Der Rahnsdorfer ist fortwährend geschäftig mit Aktivitäten von zweifelhafter Wichtigkeit, oft fährt er in schwerer Limousine nur so zum Spaß seine Hauptstraße von hie nach da, als wäre er ein von fremder Macht gesteuertes Wesen. Der Nachbar links wirft samstags Punkt Eins den Rasenmäher an, ausschließlich des Mähens wegen, denn der Rasen bedarf des Schnittes nicht annähernd einmal wöchentlich und der Nachbar rechts nörgelt pünktlich um Eins über den Umstand, dass er ob des fiesen Geräusches sein Fernsehprogramm nicht mehr verfolgen kann und sägt deshalb mit kreischender Kreissäge Buchenholz für den herbstlichen Kaminabend, sehr zum Ärger des Nachbarn in der Mittellage.
Alles in Rahnsdorf ist sehr überschau- und vorhersehbar, als wäre es schon vor langer Zeit geplant und könnte nur von kosmischer Energie im Lauf gestört werden. Kraftwagen, gefüllt mit Wochenendausflüglern, Handwerkern und Handlungsreisenden schneiden sich ihre Bahn bedächtig und mit monotoner Geschwindigkeit durch den Ort, ungemahnt, dass hier Köpenicks grüne Lunge mit die tiefsten Züge atmet.
Ich verlasse R auf dem Radweg R1, gut asphaltiert mitten durch den Müggelwald, der Wind weht mir unzählige Radler entgegen und mein grünes Herz schöpft wieder Hoffnung, dass dieser Weg in eine bessere Zukunft führen wird.
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