Meine schweißnassen Hände krallen sich in den Stoff meiner Jeans. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Puls 120, würd’ ich mal schätzen. Die Augen geschlossen, spüre ich, wie mein Körper nach links schwingt, dann mit einer leichten Pendelbewegung zurück, um plötzlich gefühlte 500 Meter ins Bodenlose zu stürzen. Mein Magen hebt sich bedrohlich in Richtung Speiseröhre. In den Ohren wird das dumpfe Dröhnen, das mich umgibt, noch etwas dumpfer. Ich schlucke etwas Spucke hinunter und kann wieder besser hören. Unter das gleichmäßige Dröhnen mischt sich ein vorher nicht zu hörendes schrilles Pfeifen. Hätt’ ich doch bloß nicht geschluckt! Das Pfeifen verstummt so abrupt, wie es kam, dafür wird aus dem Dröhnen ein lautes, unangenehmes Brummen. Außerdem beginnt alles um mich herum zu vibrieren. Unter meinen Füßen poltert es gewaltig und mit einem Ruck werde ich nach vorn gerissen. Wieder falle ich, wieder hebt sich mein Magen und wieder schlucke ich.
Das ungenehme Brummen geht in erschreckendes Fauchen über, ich werde nach hinten und unten gedrückt. Ich bemerke das Pendeln – nein, diesmal ist es mehr ein Verdrehen. Ein mieses Gefühl. Vielleicht wird es durch meine geschlossenen Augen verstärkt, denke ich und öffne sie. Etwas Schwarzes, eingerahmt von etwas Gelbgrünem rast an mir vorbei, verschwindet kurz, taucht wieder auf, je nach Pendelbewegung. Schnell schließe ich meine Augen wieder, dann lieber nur fühlen. Ich schlage irgendwo hart auf und springe wieder hoch, dann noch ein harter Aufschlag. Ohrenbetäubendes Dröhnen, Pfeifen, Fauchen. Alles vibriert, schaukelt, schwingt, schleudert. Ich reiße die Augen auf. Mein Körper wird nach vorn gepresst und ich sehe schwarzen Asphalt und gelbgrünes Gras an mir vorbeiziehen. Alles beruhigt sich, kein Nach-vorn-Pressen, kein Schleuderschwingen mehr, nur ein angenehmes Rollen. Ich wische meine schweißnassen Hände an meiner Hose ab und wecke meine Frau: „Hi, meine Blume, wir sind gerade in Miami gelandet – war gar nicht so schlimm.“ Schluck. Oh Mann, warum tue ich mir das immer wieder an?!
Ein paar Tage später befinde ich mich an einem Ort Namens Gainsville, sitze in einem Kanu und werde von der Strömung eines kristallklaren Flusses mitgerissen. Kein Mensch weit und breit zu sehen, nur undurchdringliches Pflanzengewirr. Über der Wasseroberfläche hängen oberschenkeldicke Äste und versuchen mich am Kopf zu erwischen – teilweise mit Erfolg (bye bye Lederhut). Auf ihnen sitzen, Sonne tankend,hämisch grinsende Schnappschildkröten (eine jetzt mit Hut). Ab und zu verschwindet etwas mit einer peitschenden Bewegung unter der Wasseroberfläche, zu schnell für mein unbeschattetes Auge (mit Hut wär das nicht passiert). Jetzt bloß nicht umkippen, denke ich und mir fällt dieser gemeine Film mit dem riesigen Krokodil ein (Filmwissen kann manchmal ein Fluch sein). Ich nehme mein Paddel aus dem Wasser und lasse mich treiben. Mitten im Fluss, auf seerosenartigen Pflanzen stehend, beäugt mich neugierig ein hirschartiges Tier. Es muss spezielle Hufe haben, so dass es nicht versinkt (hab ich in irgendeinem Tierfilm mal gesehen – Filmwissen kann auch hilfreich sein). Wir blicken uns an und staunen – schwimmender Mann ohne Hut und schwebender Hirsch eingerahmt von grandioser Wildnis.
Diese Bilder und Erlebnisse sind es, die mich immer wieder meine Flugangst überwinden lassen. Später, zu Hause, wenn der Alltag mal nicht so erquickend ist, denke ich an diese Momente zurück und ein wohliges warmes Gefühl hüllt mich ein und ein Lächeln umspielt meine Lippen (oder grinse ich schon?). Dann greife ich gern zu einem Film mit ähnlichen Bildern. Und wie es der Zufall will, hab ich genau so etwas in den Filmneuerscheinungen entdeckt: „Far North“. Gigantische Eiswüsten, riesige Gletscher, gnadenlose Natur und Menschen, die durch diese Natur geformt wurden. Grausam schön Michelle Yeoh als Eskimofrau und hilflos verloren Sean Bean als desertierter russischer Soldat. Auch schön tragisch und ebenso verloren Edward Norton als britischer Bakteriologe und Naomi Watts als seine untreue Ehefrau in „Der bunte Schleier“. Vor der atemberaubenden Schönheit der chinesischen Provincen des Jahres 1925 kämpft die verarmte Landbevölkerung gegen die Cholera ums Überleben. Großes Kino. Immer wieder schön sind natürlich auch Filme wie „Jenseits von Afrika“ oder „1429 – Die Eroberung des Paradieses“.
So bin ich denn froh, mit all den schönen Bildern im Kopf wieder zu Hause zu sein und festen Boden unter meinen Füßen zu haben. Und solltet ihr nach einem lustigen Flug jemanden eine zerrissene Hose hinter sich herziehend die Gangway hinabsprinten sehen: Das könnte ich sein.