Lieblingsstücke aus dem Gestaltungskombinat
In der Kirchstraße 2, direkt an der Tramhaltestelle „Freiheit“, hat sich vor gut einem Jahr das Gestaltungskombinat (1) eingerichtet. Susanne Klinger, Kathrin Hupfer und Silvia Ernst beschäftigen sich von Licht bis Möbel, von Bildern bis Dekoration mit allem, was Räume wohnlich macht. Dazu kommen ausgewählte Unikate aus Kleinmanufakturen. Schmuck, Papeterie, aber auch Spielzeuge sind darunter. „Ungewöhnliche Dinge“, sagt Susanne Klinger, „ … die trotzdem von Nutzen sind“, ergänzt Kathrin Hupfer. Im Vordergrund stehen Qualität und Langlebigkeit. „Es sollen Lieblingsstücke werden.“ Neben dem reinen Verkauf bieten sie Beratung an – zu Einrichtungsfragen, aber auch zu den Gegenständen im Laden, die fast alle eine Geschichte haben. Die Diplom-Ingenieurinnen Susanne Klinger und Silvia Ernst haben sich auf Innenarchitektur spezialisiert, Kathrin Hupfer ist Textil- und Flächendesignerin. Von ihr stammt die berühmte „Milchtüte“, ein Täschchen, das an die pyramidenförmige Verpackung der Schulmilch erinnert.
Das ist kein Zufall. Das Gestaltungskombinat hat sich bewusst dafür entschieden, einen regionalen Schwerpunkt zu setzen. Von den Büchern und Postkarten ist schon einiges „made in Köpenick“. Es soll noch mehr werden, und Produktideen, die sich gemeinsam mit anderen Köpenicker Unternehmen verwirklichen lassen, haben sie reichlich. „Es kommen viele rein, die Interesse haben, mit uns zu arbeiten.“
Ihr Geschäft mag neu sein in der Köpenicker Altstadt, die Gründerinnen selbst sind es nicht. Sie leben schon lange hier und wollten gerne in der Nähe ihres Wohnortes arbeiten. Dazu kam, dass sie fanden, ihr Angebot passe einfach gut dort hin. „Solche Läden gibt’s ja in Kreuzberg und in Prenzlauer Berg schon zuhauf, hier aber gar nicht“, meint Kathrin Hupfer.
Das Gestaltungskombinat nimmt dabei einen Trend auf, der im gesamten Bezirk schon seit längerer Zeit zu beobachten ist. „Natürlich wird hier viel gebaut, es ziehen viele her, es kommen viele junge Familien“, bestätigt Kathrin Hupfer. Mit der veränderten Bevölkerungsstruktur gehen andere Wünsche einher, was Einkaufsmöglichkeiten betrifft. Dennoch sind es nicht nur Zugezogene, die im Gestaltungskombinat einkaufen. „Köpenick war immer ein Standort, wo sich viele Künstler und Leute, die sich mit Kunst beschäftigen, aufgehalten haben. Da merkt man auch bei der älteren Generation, dass sie ein großes Interesse hat.“ Ihr Publikum ist dementsprechend breit gefächert, ob Mutter und Kind, ob Einheimische, Zugezogene oder Touristen – es ist ein Querschnitt derer, die hier leben. „Wir fühlen uns angenommen“, sagen Kathrin Hupfer und Susanne Klinger übereinstimmend.
Inzwischen kennt man sie im Kiez. Es gibt einen regen Austausch mit der Wirtschaftsförderung und dem Tourismusverein, aber auch die neuen Unternehmen untereinander vernetzen sich. Was daraus entsteht, könne man in der Kürze der Zeit noch nicht sagen, meint Susanne Klinger. Dennoch fühlt es sich eher wie eine Aufbruchstimmung als nach Resignation an. „Ich glaube, daraus kann man etwas machen.“
Aber wie schafft man es, den Schwung mitzunehmen? „Es muss noch mehr in den Blickpunkt geraten, dass wir als Gewerbetreibende auch Anliegen haben, die gehört werden müssen“, sagt Susanne Klinger. Ein Stück weit sei das inzwischen passiert, ergänzt sie. Auch Bezirksbürgermeister Oliver Igel sei da hellhörig. Ihr ist klar, dass es andere Themen gibt, die dringender zu bearbeiten sind. Dennoch: „Es ist wichtig für alle, dass hier ein Leben entsteht. Dass die Wege kürzer sind, auch für die Älteren, die hier leben. Dass es Einkaufsmöglichkeiten gibt, von denen dann alle profitieren.“ Bislang sehen sie das auf einem guten Weg.
Ökostoffe aus dem Tuchhandel
„Tuchhandel“ hat Kirsten Kümper ihren Laden (5) genannt, den es seit Mai 2016 gibt und der zunächst monatelang unter einem Baugerüst verschwunden war. Sie ist Diplom-Modedesignerin, hat an der HTW in Schöneweide studiert und später Siebdruck unterrichtet, ist außerdem gelernte Schneiderin und Schnittdirektrice. Es sind eine ganze Reihe Qualifikationen, die sie mitbringt.
In Köpenick wohnt sie seit mehr als 10 Jahren. „Ich fand die Altstadt immer schön und habe davon geträumt, hier einen Laden zu haben. Ich hab das früher nur immer für wahnsinnig unrealistisch gehalten.“ Jetzt hat sie ihn, den Laden in der Kietzer Straße 13. „Tuch“ meint in ihrem Fall feinstes Nähzubehör.
Kirsten Kümper handelt ausschließlich Ökostoffe. Ihre Garne sind aus recyceltem Polyester, also aus alten Flaschen, erklärt sie. Im hinteren Teil des Ladens ist ihre Nähwerkstatt. Sie gibt Kurse und vermietet auch Arbeitsplätze, wenn jemand für ein Nähprojekt besonderes Werkzeug oder einen großen Zuschneidetisch braucht. In Anspruch nehmen das Menschen aller Altersklassen, erzählt sie. „Von 11 bis 65 ist alles dabei.“ Den jüngeren hilft sie natürlich.
Es kommen Mütter zu ihr, die für ihre Kinder nähen – aber auch für sich selbst. „Die freuen sich dann, dass auch unifarbene Stoffe dabei sind.“ Selbermachen steht schon lange wieder hoch im Kurs. „Es entsteht ein Bewusstsein dafür, dass die Dinge, die man hat, auch gemacht werden müssen. Und dann bin ich da, um das zu unterstützen.“ Daneben bearbeitet sie Aufträge von Theater und Film. Sie näht dann entweder im Auftrag einer Gewandmeisterin oder ihre eigenen Designs und Entwürfe. Nur Damenmaßschneiderei bietet sie nicht an, „das macht Barbara Ritter, und zwar sehr gut.“
Kirsten Kümper hat miterlebt, wie seinerzeit Geschäfte in der Altstadt eingingen. „Am Anfang war da noch ein kleines Reformhaus, das gab es ein Jahr lang, dann stand es leer.“ Als eine der Ursachen für den Leerstand wird häufig die Verkehrsberuhigung genannt. Die schätzt Kirsten Kümper für ihre Branche als weniger hinderlich ein. „So faul sind doch die Berliner nicht.“
Was ihr aber ebenso wie den Frauen aus dem Gestaltungskombinat aufgefallen ist: Dass nur wenige junge Leute im Kiez gewohnt haben. „Wir waren schon voll die Außerirdischen bei uns in der Straße, am Anfang.“
Als zweiter wichtiger Grund für leere Läden in der Altstadt wird von vielen das Einkaufs-Center am S-Bahnhof Köpenick ausgemacht. Was die Altstadt deshalb gut vertragen könnte, wären Alltagsgeschäfte, findet Kirsten Kümper. „Es braucht nicht jeder jeden Tag Ökostoff, Designgegenstände, tolle Fotos oder einen guten Wein. Das sind alles sehr spezielle, schöne Sachen.“ Lebensmittel oder Drogerieartikel hingegen brauche man oft. Wer dafür einmal den Weg bis zum Center gemacht hat, kauft meistens auch den Rest dort.
„Der Bezirk kümmert sich gerade sehr darum, die Altstadt zu beleben. Man erhält tatsächlich Unterstützung“, lobt Kirsten Kümper. Wenn sie sich etwas wünschen dürfte, wäre es nur eine Kleinigkeit, die aber alle Ladeninhaber in ähnlicher Weise betrifft. Es ist für Gewerbetreibende häufig nicht klar, welches Amt für welche Anträge zuständig ist. Wer genehmigt Aufsteller, wer Leuchtreklamen und wer einen Blumenkübel vor dem Geschäft? „Die Ämter sind alle sehr zuvorkommend und wollen durchaus helfen, der Weg ist aber noch nicht geebnet.“
Essen mit Aussicht in der Luise
So schätzt auch Thilo Belz, Geschäftsführer des Restaurants „Luise“, die aktuelle Situation in der Altstadt ein. Seit gut zehn Jahren ist die Luise gegenüber dem Rathaus ansässig und für ihre feine Küche bekannt. Vom Restaurant aus blicken die Gäste direkt aufs Wasser. Zum Kundenstamm zählen Berliner, darunter viele Köpenicker, aber auch Touristen. Das funktioniert im Sommer traditionell sehr gut.
Im Winter hat Thilo Belz bisher nicht allein auf Gastronomie gesetzt, sondern durch Veranstaltungsreihen zusätzlichen Anreiz geschaffen, etwas zu unternehmen. Dass mehr Leute in den Kiez ziehen, merkt er deshalb vor allem in der kalten Jahreszeit. „Jetzt ist auch im Winter mehr los.“ Mit seinen neuen Nachbarn ist er ganz zufrieden. „Wir sind froh über alles, was neu aufmacht, weil es die Anziehungskraft erhöht“, sagt er. Skeptisch bleibt er dennoch. Er hat in den letzten zehn Jahren immer wieder Geschäfte öffnen und schließen sehen. „Das verläuft zyklisch“, glaubt er. „Ob es diesmal nachhaltig ist?“
Alt-Köpenick bringt ganz eigene Schwierigkeiten mit sich. Die Parkplatzsituation hält Thilo Belz für suboptimal. Die größten Reserven sieht er allerdings in der wassertouristischen Anbindung. Etwa, weil ein vorhandener Bootsanleger, der von Stern und Kreis nicht genutzt wird, von der Allgemeinheit dennoch nicht genutzt werden dürfe. Ein zusätzlicher Steg – wie bei Mutter Lustig (7), der allen offen steht, sei bisher nicht gebaut worden, so dass weder Privatleute noch andere Reedereien anlegen können. „Das hemmt den Tourismus“, ist Thilo Belz überzeugt.
Die ganze Vielfalt der Altstadt erhalten
Es ist inzwischen eine Vielfalt entstanden, die zu erhalten sich lohnt. Kumami (6) wäre zu nennen, wo sich Design, Architektur und Kochkunst verbinden. Die Pedalerie (4), die Fahrräder nicht nur verkauft und repariert, sondern auch umbaut, neu baut und passend macht. MokkaTee (3), wo in Anlehnung an die beliebte MokkaFee eine Kaffee- und Teestube samt sachkundigem Teehandel eine Heimat gefunden hat.
Natürlich ist es zu einem guten Teil Aufgabe der Unternehmen selbst, sich zu etablieren und Angebote passgenau auf die Kundenwünsche abzustimmen. Dabei braucht man einen langen Atem, bestätigt die Fotografin Mimoza Veliu, die ähnlich wie Thilo Belz ihrem eigentlichen Geschäft auch eine Veranstaltungsreihe hinzugefügt hat. Jam Sessions, Konzerte, weshalb sie ihr Unternehmen, das sich mit künstlerischer Fotografie und Ausstellungen befasst, „Jammin“ (2) getauft hat.
Seit 2015 wohnt und arbeitet sie im Kiez. Vor allem offene Ohren und Mithilfe bei der Gestaltung der Altstadt wünscht sie sich von der Bezirkspolitik. Damit das, was hier gerade entsteht, endlich einmal von Dauer ist.