Das ist mal wieder typisch: Sie beeilt sich wie blöd, weil er angeblich diesmal früher zu Hause sein kann und sie sich heute einen schönen Abend machen wollen. Und nun? – Keiner da. Typisch! Jetzt kommen auch noch die Nachbarskinder. Nein, ihr Sohn ist mit seinen Großeltern in den Urlaub gefahren. Nein, sie hat keinen Urlaub.
Nein, sie hat auch gar keine Lust auf Urlaub. Nein, sie können nicht hier spielen. Die Erdbeeren auf dem Tisch? Ja. Bitte! „Nehmt sie und dann raus hier. Ich hab noch was zu erledigen.“ Nervensägen! Der Paketschein. Von Meli Minelli Hörzepte Morgen hat sie Geburtstag. Ihr guter alter John hat natürlich dran gedacht.Rechtzeitig! Vielleicht hätte sie damals doch mit ihm nach Australien gehen sollen. Aber dann kam alles ganz anders: ihre Jugendliebe stand plötzlich vor der Tür und sie blieb in Friedrichshagen. Nun ja, wie das Leben so spielt. Der Müggelsee is ja ooch nich übel. Und wer braucht schon immer Sonnenschein?
Da Monsieur mal wieder auf sich warten lässt, geht sie jetzt doch noch zur Post. Erleichtert atmet er auf als er zur Tür herein kommt und bemerkt, dass sie noch nicht zu Hause ist. Er rennt in der Wohnung herum, sucht verzweifelt Geschenkpapier. “Meine Güte, warum versteckt die denn immer alles?“
Da klingelt das Telefon. Keine Zeit. Bevor sie kommt, will er diesmal alles fertig haben. Das muss doch zu schaffen sein. Der Anrufbeantworter springt an. “Hallo! Hier ist Anna.“ “Ach du Scheiße!“ Da fällt es ihm wieder ein: Er hat den Ananassaft vergessen. Hastig legt er das Geschenk zur Seite, schnappt sich Schlüssel und Geldbörse und rennt los. Kaum auf der Bölsche, sieht er sie und versucht sich ihren Blicken zu entziehen, indem er schnell auf die andere Straßenseite wechselt.
Geschafft, das war knapp. Die Straßenbahn drängt sich zwischen die beiden. Als sie in die Wohnung kommt, hat sie das Gefühl, dass irgendetwas anders ist. Sie kann es aber nicht genau bestimmen. Der AB blinkt. Anna. Seine Schwester. Sie will sich zur Feier einladen, dabei gibt es jedes Mal Zoff. Sie geht mit ihrem Päckchen in die Küche und versucht unbeholfen dieses hundertmal verklebte Päckchen aufzuschneiden.
Geht nicht. Sie setzt sich, dieses zugeklebte Etwas vor sich und denkt: „Was es wohl diesmal ist? Hundertfach verschnürt und verklebt. Bestimmt wertvoll.“ Der Schlüssel dreht sich in der Tür. Sie schreckt hoch. Er. „Na, auch schon da?!“ entschlüpft es ihr schnippisch. „Ja.“ Um von sich abzulenken – und vor allem von diesem Päckchen – fragt sie gleich: „Was hast du denn da?“
Ungläubig sieht sie auf die Ananassaftflaschen. „Ananassaft.“ antwortet er. „Aha. Sind wir auf Entzug?“ Eigentlich hatte sie Sekt erwartet, wenn schon keinen Champagner. Gemütlich reinfeiern auf dem Balkon. „Hat er vergessen“, denkt sie. Er sieht das Päckchen, das sie scheinbar unauffällig halb hinter sich versteckt. „Ach. Post. Von deinem Australier, nehm ich an.“ „Ja“, antwortet sie kurz und verschwindet in ihrem Zimmer.
Er geht in die Küche, gießt Ananassaft in eine kleine Karaffe und holt den Mixer aus dem Schrank. „Hat der ein Glück, dass er so weit weg wohnt, sonst könnte der “ Plötzlich bemerkt er entsetzt, dass die Erdbeeren weg sind. „Ey!“, brüllt er, „hast du etwa die ganzen Erdbeeren verdrückt?“ „Nein“, ruft sie beleidigt aus dem Zimmer, „ich bin nicht verrückt!“ Er nimmt wieder hastig Schlüssel und Geldbörse und geht.
Mit einem Messer und dem Päckchen kommt sie aus dem Zimmer. „Ich bin nicht verrückt nach ihm, aber“ Sie merkt, dass er gar nicht da ist. „Was soll denn das nun schon wieder?“ Sie schaut sich noch einmal um, dann fällt ihr Blick auf das kleine Schränkchen im Flur. Das Geschenk! „Hat er etwa doch dran gedacht?“ Sie legt ihr wertvolles australisches Geschenk weg und sieht verstohlen in die Tüte.
Champagner! Sie kommt sich blöd vor. Aber warum haut der auch einfach ab?! Sie macht laut Musik an und geht erst mal duschen. Als sie fertig ist, dreht sich wieder der Schlüssel im Schloss. Die beiden stehen sich gegenüber – mit nassen Haaren. Sie frisch geduscht, er schweißgebadet. „Mann, wo soll man um diese Zeit noch schöne Erdbeeren herkriegen?!“, fragt er sie ernst. Sie antwortet: „Weiß nicht. Ich habe sie vorhin den Nachbarskindern gegeben, die wollten“ „Na egal“, fällt er ihr ins Wort. „Ich gehe auch schnell unter die Dusche und dann“ „Was dann?“, fragt sie grinsend. „Dann zeig ich dir was. Ich habe nämlich auch an deinen Geburtstag gedacht! Obwohl ich nur Friedrichshagener bin und kein knackiger Australier.“
Die Musik ist aus. Es beginnt zu dämmern. Die Nachbarskinder sind nicht mehr zu hören. Sie macht einen großen Bogen um die Tüte auf dem Schränkchen. Sie tut so, als hätte sie die nicht bemerkt. Im Zimmer verstaut sie das Päckchen. Plötzlich: Lärm aus der Küche. Sie eilt hin und bleibt entsetzt im Türrahmen stehen. Überall Blut! Er dreht sich zu ihr um. „Ich mach’s nachher wieder sauber. So oft püriere ich eben keine Erdbeeren“, verteidigt er sich sofort. „Ananassaft dazu und mixen. So, fertig.“ Er gießt das Ganze in zwei Cocktailschalen und füllt sie mit Champagner auf. Stolz schaut er sie an: „Na?!“ „Ich bin sprachlos“, ist alles, was ihr über die Lippen kommt. „Das ist ja zur Abwechslung auch mal ganz schön. Komm! Auf den Balkon.“
Pretty Woman – Sommerdrink
Zutaten für zwei Drinks:
8 frische Erdbeeren
8 cl Ananassaft
Cocktailschalen (je 12 cl)
eiskalter trockener Sekt zum Auffüllen (wahlweise Selters)
Außerdem:Â Elektrischer Mixer/Pürierstab