Und dann kommt der Moment beim nächsten alljährlichen Spaziergang zum Turm, an dem man feststellt, dass es letzten Endes auch nichts mehr zum Schlechtmachen gibt. Stolz sein können wir nur noch auf die Erinnerungen an unseren Turm. Daran, wie man sich mit dem Papa zusammen die Aussichtsplattform erklommen hat, oben jeden Punkt Berlins versucht hat zuzuordnen, und wenn man ganz lieb war unten noch ein Eis bekommen hat. Daran wie sportlich man sich vorkam, wenn man es das erste Mal mit dem Fahrrad zum Fuß des Turmes geschaff t hat. Und daran, dass es mal ein Ort voller Leben und Leuchten war.
Heute gibt es nichts mehr, worauf wir stolz sein können. Ganz im Gegenteil: Heute ist der Turm auf den Müggelbergen lediglich ein verfallenes Mahnmal, das uns daran erinnern soll, wie wir unsere Heimat verraten und verkauft haben. Und das jeden Tag mehr und mehr.
Seen werden verkauft, Parks, Strände und Sportplätze. Da dürfen auch unsere Berge und Wälder nicht fehlen. Was einst allen gehörte, steht schließlich nur wenigen zu! Ironie, dass was den Menschen früher weggenommen wurde um zu Volkseigentum zu werden, nun dem Volk weggenommen wird um zu Eigentum zu werden. Doch wie kann es soweit kommen? Liegt uns an der Welt, die vor unserer Tür liegt, nichts mehr? Wir sind lethargisch, müde und undemokratisch. Wir leben den modernen Biedermeier. Erst wenn Flugrouten durch unser Wohnzimmer führen, sind wir auch bereit, für mehr als nur die Arbeit oder den Wocheneinkauf auf die Straße zu gehen.
Vor 50 Jahren bauten sich die Köpenicker den Turm mit Spendengeldern und 4.000 Stunden freiwilliger Arbeit. Er wurde vom Volk für das Volk gebaut. Der Werktätige sollte hier einen Ort der Erholung und Freude finden. Die Region um die Müggelberge ist und war schon immer ein beliebtes Ausflugs- und Erholungsgebiet. Wäre doch schade, wenn bald die ganze Gegend durch Schilder „Privatgrundstück. Betreten verboten“ und Zäune eingegrenzt werden würde.
Der Investor und Inhaber des Turmareals wird sicher weniger Interesse am Turm haben. Ob Büros, Wohnungen oder ein Edellokal für Partys, bei denen Koks von goldenen Tabletts durch Elfenbeinröhrchen gezogen wird – kein solcher Ort würde sich lohnenswert veräußern lassen, wenn einem täglich Hunderte Touristen mit Teleobjektiv und Fernglas ins Klo gucken können.
Von daher gibt es auch keine Bestrebungen den Turm zu erhalten oder wenigstens zu sichern.
Der Zahn der Zeit ist sein bester Mitspieler. Denn ein Turm, der in ein paar Jahren zerfallen ist, fällt auch nicht mehr unter Denkmalschutz. Und der tagtägliche Vandalismus kommt dem mehr als zu Gute. Ob Jugendliche, die auf ihre Hormone noch nicht richtig klarkommen, oder die Diebe, die mit schwerem Gerät auch die letzten (und scheinbar sehr beliebten) Waschbetonkübel entführen oder sogar die CB-Funker, nur um nachts um 2 Uhr ein Signal aus Island zu bekommen – das ist es schon wert, kaputt zu machen, wofür andere viel Mühe, Zeit und Geld investiert haben.
Eine Hand voll Menschen kämpft auf den Müggelbergen seit über 10 Jahren gegen diesen Vandalismus, gegen den Verfall und gegen das Vergessen. Und Hunderte Menschen danken ihnen dafür. Hunderte Menschen finden an schönen Wochenenden den Weg zum Turm, sie ersteigen die Aussicht, gönnen sich danach ein Eis, regen sich darüber auf, dass es so schlimm verfallen ist und haben zehn Minuten später alles schon wieder vergessen.
Carmen Isolde Heinrich gehört zu denen, die für den Müggelturm kämpfen. Sie sucht Unterstützer und Paten für die einzelnen Stockwerke im Müggelturm, die eben dann auch die Etagen pflegen und sichern sollen.
Theoretisch müssten sich die lokalen Unternehmen darum streiten, eine Patenschaft übernehmen zu dürfen – denn ein jeder sollte das Verantwortungsbewusstsein in sich tragen etwas für den Standort zu tun. Und auch ein jeder Bürger sollte sich klar machen, dass er für den Müggelturm kämpfen muss, wenn er noch mit seinen Kindern oder Enkeln ein Eis dort oben essen will und sagen können will: „Das da hinten, das ist der Fernsehturm! Und guck mal, siehst du das da hinten, das ist der Fernsehturm von Potsdam – der steht knapp 30 km entfernt!“, anstatt sie von der Polizei abholen zu müssen, weil sie mal wieder im Wald spielen wollten – der ist schließlich privat.
Der Turm gehört uns allen! Und darum muss auch jeder etwas tun. Mindestens eine schöne Beschwerdewelle an ein paar öffentliche Stellen (das kann sogar viel Spaß machen!), Spenden oder aktiv mit Material und Kraft unterstützen. Wie damals vor 50 Jahren – wir sorgen für unseren Turm. Der Turm gehört uns!
Am 2. Juli eröffnet im Müggelturm eine Ausstellung zum Turm, seiner Geschichte und Kunst um den Turm. Am 25. September wird der 50. Geburtstag des Müggelturms gefeiert.