Streik im Lockdown

Interview mit Emily und Phil von Fridays for Future in Treptow-Köpenick
An einem kalten Mittwoch im März treffe ich die lokalen Vertreter der 2019 weltweit bekannt gewordenen Bewegung Fridays for Future. Emily studiert Klarinette an der UdK und tanzt Ballett. Phil studiert im zweiten Semester Stadt- und Regionalplanung. Für das Interview unter Pandemiebedingungen hat uns Peter Garkisch vom Architekturbüro Dritte Haut dankenswerterweise sein urgemütliches Gartenhaus zur Verfügung gestellt. Meine Fragen an die beiden Aktivisten beziehen sich hauptsächlich auf ein Fridays for Future-Forderungspapier, das einen Tag später offziell veröffentlicht wird.

Herzlich willkommen! Schön, dass ihr hier seid. Seit wann seid ihr für Fridays for Future aktiv?
Emily: Ich bin erst seit drei Wochen dabei. Tatsächlich. Weil ich aktiv werden wollte und einfach mal gefragt habe, ob es irgendwas zu tun gibt. Und dann meinten die „Ja komm nochmal zu unserem Onlinetreffen“.

Phil: Und bin schon seit anderthalb Jahren in der Bezirksgruppe Treptow-Köpenick aktiv.

Was macht ihr so bei Fridays for Future? Was sind eure Aufgaben?
Emily: Also momentan erarbeiten wir die Forderungen, die die Politiker dann hoffentlich noch in ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl einarbeiten können.

 

Was waren bisher eure größten Erfolge? Was habt ihr erreicht?
Phil: Also dieses Jahr bin ich sehr zufrieden mit dem, was wir an Forderungen erarbeitet haben. Im letzten Jahr haben wir z.B. bei der Stern-Demo mitgemacht. Aus allen Bezirken Berlins wurden Fahrad-Demos zum Invalidenpark gemacht. Da haben wir mitgeholfen. Das war eine große Sache, wo wir ja auch viel erreicht haben.

Ich habe bisher jetzt noch so viel von der lokalen Ortsgruppe in Treptow-Köpenick gehört. Seit wann gibt es die ungefähr? Und wer hat die ins Leben gerufen?
Phil: Das wissen wir beide glaub ich gar nicht so genau.

Emily: Also zuerst gab's eben nur die auf Landesebene, die Berliner Gruppe. Und da waren dann aber so viele hundert Menschen drin. Und dann haben die beschlossen: „Okay, wir teilen uns auf und machen Bezirks Gruppen.“

Phil: Wir sind jetzt ungefähr acht aktive Personen. Wir wachsen zwar gerade auch ein bisschen, aber deswegen haben wir noch nicht so unglaublich viel Öffentlichkeitswirksamkeit. Wir haben einen Social-media-Account. Und sonst sind die Bezirke auch so organisiert, dass wir helfen sollen, der Berlin Ebene Arbeit abzunehmen.

Schottergärten sind ein großes Problem.

Du hast es gerade schon kurz angesprochen. Warum ist es eurer Meinung nach so wichtig, auch während einer Pandemie aktiv für das Klima zu streiken und auf die Straße zu gehen?
Emily: Die Klimakrise ist ja nicht auf einmal weg durch die Pandemie. Klar, beruhigt sich jetzt alles so ein bisschen. Jeder kennt diese Bilder, dass das Wasser wieder sauberer wird und dass es weniger Müll gibt. Aber es ist wirklich total wichtig, dass das Thema Klima in aller Munde bleibt. Da kann auch jeder mithelfen, indem er einfach übers Klima redet. Mit Freunden, Familien auf der Arbeit. Okay, soweit es momentan geht. Immer wieder das Thema präsent halten. Es ist wichtig.

Und wie streikt es sich momentan so unter den ganzen Einschränkungen? Wie löst ihr das?
Emily: Wir treffen uns einfach online. Jetzt hatten wir ja dieses große Projekt, die Forderungen zu erarbeiten und das ging online tatsächlich ziemlich gut. Ich glaube, Phil hat die meiste Arbeit von uns allen reingesteckt. Der hat wirklich richtig viel geschrieben, sich Gedanken gemacht, eine eigene Powerpoint erstellt. Dann haben wir ein paar Wochen lang wirklich nur darüber geredet, was steht da drin und was heißt das überhaupt? Und ich habe unglaublich viel dazugelernt. Ja, und das ist einfach total toll. Kann ich auch nur empfehlen. Wer sich dafür interessiert, kann einfach gerne mal dazu kommen. So habe ich es am Anfang auch gemacht.

Phil: Genau, und auf Berliner Ebene und auch auf Deutschland Ebene, als die Pandemie angefangen hat im März letzten Jahres wurde der Fokus vor allem auf Bildung gerichtet, wie bei uns jetzt auch, dass auch innerhalb der Bewegung noch besser kommuniziert wird. Und es sind auch ein paar Themen dazugekommen, zu denen sich der Fridays for Future jetzt klarer äußert, z.B. Antirassismus und Antifaschismus, die vorher nicht so präsent waren. Die wurden derzeit viel diskutiert und es gibt ja auch immer wieder Aktionen, nur dass wir dabei eben darauf achten müssen, dass die Sicherheitsabstände eingehalten werden.

Jetzt am Freitag ist wieder ein großer Streik und da werden dann wieder große Bilder auf der Straße angebracht oder Social-Media Aktionen gemacht. Leute bearbeiten ihr Profilbild und erklären sich solidarisch. Es gibt ja auch Möglichkeiten, politische Forderungen zu kommunizieren, ohne dabei mit vielen Menschen in einem Raum oder auf der Straße zu sein.

Also wird es auch so etwas wie Live-Streams geben?
Phil: Auf YouTube gibt's auf der Deutschland Seite ganz viele Interview-Videos, die mit ExpertInnen geführt wurden, also Interviews, die immer eine Stunde oder so gehen.

Ihr habt nun vor kurzem eure Forderungen für den Bezirk Treptow-Köpenick formuliert. Wie kommt es, dass die genau jetzt veröffentlicht werden, wo der große Fridays for Future-Hype ja auch schon wieder etwas abgeflaut ist?
Emily: Naja, wie ich eben schon angesprochen habe, ist die Klimakrise ja noch längst nicht abgeflaut und deswegen müssen wir auf jeden Fall weiterarbeiten. Jetzt stehen eben die Bundestagswahlen bevor. Wenn unsere Forderungen umgesetzt werden, dann kommen die wirklich allen Menschen zugute. Denn die wir fordern, dass die Politik die Strukturen verändert.

Die aktuelle Struktur ist eben nicht so, dass man klimafreundlich oder klimagerecht leben kann.

Kein Mensch kann in seinen Alltag integrieren vegan zu leben, plastikfrei zu leben, kein Auto mehr zu fahren, nur noch die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, immer nur regional zu kaufen. Das alles kann man vielleicht im gewissen Maße machen, aber nie zu 100 Prozent. Und das kann man auch von keinem erwarten, finde ich. Da muss einfach was an der Struktur geändert werden, dass es einem möglich gemacht wird, so einfacher zu leben. Und viele Menschen können sich das auch einfach gar nicht leisten, gerade für die ist es ganz wichtig, dass es möglich gemacht wird.

Phil: Genau was wir wollen, dass Klimaschutz für alle machen und nicht nur für Menschen, die sich einen sehr bewussten Lebensstil aneignen können. Vor allem, weil der eben nicht ausreicht, weil allein die Infrastruktur hier in Deutschland zur Verfügung gestellt wird, ich denke da an Straßen, Schulen, Krankenhäuser, allein die verbrauchen zurzeit schon so viele Ressourcen und Energie, dass das langfristig nicht nachhaltig ist.

Und der Grund warum wir gerade jetzt mit den Forderungen kommen, sind einerseits die Bundestagswahlen, aber unsere Forderungen sind ja direkt an die Bezirksverordnetenversammlung adressiert. Im September werden ja auch die BVV Abgeordeten gleichzeitig mit der Bundestagswahl und den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus gewählt.

Treptow-Köpenick ist der flächenmäßig größte Bezirk Berlins mit 70 % Wald, Parks und Wasserflächen und nur 10 % sind Verkehrswege. Was gibt es in euren Augen hier noch zu verbessern?
Emily: Also ja, Versiegelung ist ein Problem. Aber es gibt auch noch ganz viele andere Sachen, die wir in den Forderungen ansprechen, die sich gar nicht auf Grünflächen beziehen z.B. das öffentliche Verkehrsnetz.

Phil: Ich würde sagen, im Bezirk kann man vom Verkehr her noch einiges verbessern, weil viele Menschen zurzeit noch auf ihr Auto angewiesen sind. Ich denke jetzt mal an Müggelheim. Da hält zwar ein Bus – aber eben nur ein Bus und man muss relativ weit laufen, um zur Haltestelle zu kommen. Und deswegen fahren die meisten Menschen dort Auto. Aber selbst in den Ortsteilen von Treptow, die relativ gut an den ÖPNV angeschlossen sind, gibts ja trotzdem auch unglaublich viele Parkplätze und Autos, die verwendet werden oder das Adlergestell als riesige Straße.

Wir wollen den Menschen das Auto nicht komplett verbieten.

Wir wissen, dass es für bestimmte Berufsgruppen und für öffentliche Verkehrsteilnehmer notwendig ist, wie etwa für Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind. Aber für die breite Masse muss in Zukunft in so einer dicht bebauten Stadt wie Berlin der öffentliche Personennahverkehr oder eben andere ökologischere und effizientere Verkehrs Mittel genutzt werden. Und das muss man auch in einem Randbezirk wie Treptow-Köpenick durchsetzen. Das ist sicher deutlich schwieriger als im Bezirk Mitte, wo alles eher urban und dicht gebaut ist.

Emily: Um nochmal auf deine Frage zurückzukommen. Ja, in Köpenick gibt es viel Natur und viele Grünflächen. Es ist halt einfach nur ein kleiner Teil unserer Forderungen und selbst da kann man auch in Treptow-Köpenick noch viel verbessern. Denn durch die Versiegelung der Straßen merkt man auch in Berlin Wetterextreme immer mehr. Und da kann man eben entgegenwirken, indem man mehr Grünflächen anlegt und Schottergärten verbietet.

Schottergärten sind ein großes Problem. Und wir wollen eben, dass wenn gebaut wird dafür irgendwo anders entsiegelt wird.

Phil: Das ist auch ein Ziel der Bundesregierung, was sie bisher leider noch nicht gut erfüllen konnten. Das hängt ein bisschen am Baugesetzbuch und wie das strukturiert ist.

Aber generell geht es uns in unseren Forderungen ja nicht nur darum, die Klimakrise zu verhindern oder abzuwenden, sondern eben die Berlinerinnen und Berliner und die Menschen, die in unserem Bezirk wohnen, vor den Folgen des Klimawandels schützen.

Und es ist nun einmal so, dass die Erde, wenn wir so weitermachen, um 2 bis 4 Grad ansteigen wird. Und das ist ja aber nur der globale Durchschnitt. In Metropolregionen, wo alles zugepflastert ist, wo viele Gebäude sind, wo vielleicht auch noch elektrische Geräte laufen und Verkehr durchfließt, kann der Anstieg noch deutlich höher sein. Und wir sehen ja schon jetzt, dass die Übersterblichkeit vor allem in älteren Bevölkerungsgruppen in Hitzesommern stark gestiegen ist.

Es direkt Folgen für die Menschen, die hier wohnen. Also gibt es auch einen Grund diese Forderungen für die Menschen, die hier im Bezirk leben, umzusetzen.

Viele eurer Forderungen, die die Mobilitätswende betreffen, sind Teil eines aktuellen Senatsplans, der bis 2030 umgesetzt werden soll. Gebt euch damit zufrieden?
Es ist super toll, dass es jetzt diesen Plan gibt. Wenn der umgesetzt wird und sich daran gehalten wird und es keine leeren Versprechungen sind, dann ist es auf jeden Fall ein richtiger Fortschritt. Aber zufrieden geben kann man sich quasi nie. Also man könnte immer noch mehr machen.

Du hast gerade darüber gesprochen, dass ihr niemandem das Auto verbieten wollt. Ich habe im Programm aber gelesen, dass es euer Ziel ist die Autos von den Straßen zu drängen, was ja schon ein relativ radikaler Begriff ist. Glaubt ihr es ist sinnvoll, die Forderungen und Ziele so zu formulieren, um die Menschen mitzunehmen die noch nicht Teil eurer Bewegung sind oder was ist die Strategie dahinter?
Phil: Also diese Formulierung haben wir bewusst gewählt, um ein bisschen zu provozieren. Wir haben aber danach formuliert, was genau wir fordern und dass das Auto nicht komplett verboten sein soll. Wir müssen erst die Alternativen attraktiver gestalten. Also Fahrrad fahren, vor allem ÖPNV, Sharing-Dienste. Auch ein Taxi-System kann auch ökologischer sein, als wenn alle Menschen ein eigenes Auto vor der Haustür stehen haben.

Dann kommt es automatisch zu einer Verschiebung der Verkehrsarten, ohne dass eine komplett verboten werden muss. Wir haben ja gesagt, dass uns Elektromobilität nicht vollständig vor der ökologischen Krise retten kann, weil die eben auch sehr viele Ressourcen und Energie verbraucht. Und der Strom muss irgendwo herkommen. Zurzeit ist unser Strommix eben nicht 100 % erneuerbar und auch in Zukunft haben wir ja nicht unendlich Energie zur Verfügung und deswegen müssen wir mit dieser Ressource sehr sparsam umgehen.

Wenn wir aber tatsächlich den ÖPNV attraktiver gestalten wollen und die Radwege besser gestalten wollen und andere ökologische Ziele, die wir hier formulieren, umsetzen wollen, dann müssen wir im Prinzip den Autoverkehr einschränken. Ein gutes Beispiel dafür sind Busspuren. Der Bus kam nur pünktlich kommen, wenn er nicht im Stau steht.

Und das bedeutet, dass er eine eigene Spur braucht. Dafür muss dann eine Autospur weichen und so soll es langsam zu einer Verlagerung kommen. Das muss aber gestaltet werden. Und da Infrastruktur, Straßen und Gebäude eben sehr lange bestehen, muss man auf jeden Fall jetzt sofort damit anfangen, das so zu planen, dass es in Zukunft eben anders aussieht.

Emily: Es muss dabei immer Push- und Pull-Effekte geben. Wir wollen niemanden das Auto verbieten, aber man muss natürlich Grenzen setzen. Man muss irgendwo anfangen und da ist es ein guter Anfang, einfach eine Spur wegzunehmen oder das Park-Geld in der Innenstadt zu erhöhen und es so unattraktiv zu machen (mit dem Auto) in die Stadt zu fahren. Natürlich kann es Leute verärgern. Aber das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt.

Ich möchte diese Brücke schlagen zu den Leuten, die nichts fürs Klima tun wollen, die die Arbeit von Fridays for Future nicht schätzen oder den Klimawandel leugnen.

Man muss auch denen zuhören und mit denen über das Thema sprechen. Denn nur wenn da wirklich alle mitmachen und alle Druck auf die Politik ausüben, kann sich da irgendetwas ändern.

Euer Ziel ist es, bis 2030 die Stadt komplett autofrei zu bekommen. Wird es bis dahin nicht immer noch Berufsgruppen geben wie Handwerksbetriebe oder Pflegekräfte geben, die auf ein Auto angewiesen sind, um von A nach B zu kommen?
Emily: Ja, die haben wir auch in den Forderungen berücksichtigt. Auch natürlich solche Gruppen wie Rettungswagen, Feuerwehr.

Phil: Das ist der Abschnitt, der dann noch dazu gekommen ist, weil wir darüber noch gesprochen haben.

Emily und Phil von fridays for future in Treptow-Köpenick
Foto: Matthias Vorbau

Ihr sprecht euch für Parkraumbewirtschaftung aus. Zunächst soll der Parkraum für z.B. mobilitätseingeschränkte Personen oder den Lieferverkehr bestehen bleiben. Langfristig aber habt ihr das Ziel gesetzt, diesen Parkraum auch komplett abzuschaffen. Daher nochmal die Frage. Es wird ja auch 2030 mobilitätseingeschränkte Personen geben. Wie gestaltet man das, dass die dadurch nicht in ihrem Bewegungsradius noch weiter eingeschränkt werden?
Emily: Langfristig setzen wir auf E-Mobilität. …

Phil: Gleichzeitig ist es auch wichtig, den ÖPNV abschließend barrierefrei zu machen. Das ist heute auch noch nicht gegeben und das kann ja dann auch nochmal was verändern. Grundsätzlich zu deiner Frage nach dem Parkraum nochmal: Wir wollen, dass unnötiger Parkraum verschwindet und dass, wenn Parkraum privat genutzt wird, um einen Ausflug beispielsweise zu machen, der eben den Preis bekommt, den er auch für die Stadt und für die Gesellschaft hat. Und das ist eben deutlich höher. Wenn man alleine Parkraumkosten mit Wohn- und Mietkosten vergleicht, ist da ein extremer Anstieg.

Gleichzeitig wollen wir aber natürlich nicht, dass Menschen für ihren Anwohnerparkplatz deutlich mehr zahlen. Es gibt eben im Bezirk noch Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind. Die wollen wir nicht finanziell mehrbelasten. Das bezieht sich eher auf Orte wie die Altstadt Köpenick. Das ist der einzige Bereich im Bezirk, wo es eine Parkraumbewirtschaftung gibt. Anwohner können dort noch für relativ wenig Geld parken. Aber wenn man dort mit dem Auto hinfährt, um dort einzukaufen, ist es eben relativ teuer. So müsste es im gesamten Bezirk sein.

Ich habe es vorhin schon mal angesprochen, Treptow-Köpenick ist der größte Bezirk Berlins. Und ihr habt auch schon kurz darüber geredet. Wie lässt sich eine Forderung nach kürzeren Wegen hier umsetzen?
Phil: Da geht es uns vor allem um Stadtquartiere, die neu entstehen. Da wären z.B. die Pläne für das Areal am Güterbahnhof Adlershof. Generell geht es darum, dass man neue Gebäude oder neue Baustrukturen gemischt entwirft. Das Wichtige ist, dass dabei eine Durchmischung von verschiedenen Nutzungsarten entsteht, also beispielsweise Nahversorgung, Einkaufen, Wohnen und Arbeiten. Am besten relativ nah beieinander. Das ist eine Sache, die man nicht auf Bezirksebene alleine lösen kann. Das ist ein globales Phänomen.

Gutes Beispiel dafür sind amerikanische Städte, die ganz stark funktional getrennt sind. Dort herrscht die Idee einer autogerechten Stadt, also ganz weit vom Stadtzentrum entfernte Wohngebiete, in denen wirklich nur gewohnt und im Stadtzentrum gearbeitet und geshopped wird. Oder noch schlimmer: Einkaufen geht nur an weiteren mit dem Auto erreichbaren Orten.

Das ist eine Stadtstruktur, die überhaupt nicht dicht und effizient ist. Die funktioniert eben nicht ohne den privaten PKW. Solch eine Art von Stadtplanung muss in Zukunft verhindert werden. Da wurde auch schon einiges gemacht. Berlin sollte ja ursprünglich ein riesiges Netzwerk an Schnellstraßen bekommen, aber davon wurde vieles zum Glück nicht umgesetzt.

Aber beispielsweise an der Tangential Verbindung Ost, die durch die Wuhlheide gebaut werden soll, sieht man, dass noch Ideen aus dieser Phase der Stadtplanung vorhanden sind. Die gehen noch in die falsche Richtung. Deswegen sind wir gegen den Bau dieser Straße.

Arbeitsplätze sollen in Wohnnähe angesiedelt werden. Ist die Ansiedlung von Tesla in Grünheide für euch einen Schritt in die richtige Richtung?
Emily & Phil: (lachen)

Phil: Wir wollen uns nicht gegen oder für irgendwelche Unternehmen positionieren.
Man hat ja schon einiges gelesen, dass es vor Ort wegen dieser Fabrik Bedenken gibt, weil die sehr viel Wasser verbrauchen wird, weil dafür Bäume gefällt wurden, weil ein großes Stück Land der Ökologie entzogen wurde.

Grundsätzlich ist Elektromobilität in Zukunft wichtig, aber ich bin mir nicht sicher, ob Tesla explizit Autos für Mobilitätseingeschränkte baut. Ich habe schon das Gefühl, dass das eher Luxus ist, Tesla zu fahren. Ich weiß nicht, inwiefern dort vor Ort Wohnungen entstehen sollen. Es gibt aber eine Bahnstrecke und die soll vor allem für den Verkehr von der Fabrik zur Wohnung genutzt werden. Und das klingt an sich ganz vernünftig. Aber so genau haben wir uns jetzt mit Tesla nicht auseinandergesetzt.

Es kann ja aber nicht jede Arbeit in einem Wohngebiet stattfinden. Es gibt ja Gesetze wie Lärm- und Emissionensschutz. Wie lässt sich eure Forderung in diesem Zusammenhang umsetzen?
Phil: Also es ist richtig, man kann nicht eine Fabrik wie Tesla mitten in die Stadt setzen. Das hat man im 18. und 19. Jahrhundert vielleicht noch gemacht und daraufhin sind ja auch die ganzen Gesetze entstanden, die das heute verhindern.

Einige davon sind heute überholt. Das kann natürlich auf Bezirksebene nicht geändert werden. Aber es gibt ja schon viele Berufe, die man in der Stadt erledigen kann. Was man als Positivbeispiel nennen kann, ist die sogenannte Kreuzberger Mischung. Da sind in der unteren Etage vor allem Bars, Cafés und Einzelhandel und obendrüber die Wohnungen. Das alles also relativ dicht beieinander und teilweise auch noch in einer Stadtstruktur, die nicht explizit aufs Auto ausgelegt ist, sondern wo man sich auch gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewegen kann. Solche Ideen sind auch in neu entstehenden Stadtteilen umzusetzen.

Ihr habt ja vorhin schon mal drüber gesprochen, wie man Alternativen für Autofahrer schaffen kann. Was sind denn konkrete Punkte, die dazu führen, dass man den eingefleischten Autofahrer aus seinem Auto zieht und ihn dazu bringt, es stehen zu lassen oder ganz abzuschaffen?
Emily: Am überzeugendsten wäre es, das Autofahren unattraktiv zu machen und gleichzeitig natürlich den ÖPNV besser auszubauen, sodass man dann nicht mehr kilometerweit bis zur nächsten Haltestelle laufen muss, sondern eine Haltestelle quasi direkt vor der Tür hat. Man müsste die KfZ-Steuer erhöhen oder eben auch das Parken teurer machen. Diese Push und Pull-Faktoren sind gut zu mischen.

Phil: Der Straßenverkehr ist so zu gestalten, dass der ÖPNV immer Vorrang hat. Ich habe ja selber einen Führerschein fahre und ab und zu mal meinen Bruder besuchen. Mit dem Auto bin ich ich doppelt so schnell wie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn man das verändert, kann man auch viele Menschen dazu bewegen, tatsächlich mehr auf den ÖPNV umzusteigen. Vieles hängt an der BVG: Wo werden Strecken gebaut, wie sind die Linien getaktet? Aber es gibt eben auch Bereiche, wo der Bezirk mit der BVG zusammenarbeiten kann, um das zu verbessern.

Ihr sprecht euch auch für dafür aus, dass der ÖPNV an der Bahnhofstrasse Vorrang haben soll. Wohin soll der Autoverkehr dann ausweichen? Du sagtest, dass ihr gegen den Bau der TVO (Tangentialverbindung Ost) seid, die ja den Verkehr von dort aufnehmen könnte und die Straßen entlasten würde.
Emily: Das ist ja genau der Punkt. Der Autoverkehr weicht dann nicht aus, sondern es entstehen Staus. Und genau dadurch wird es unattraktiv Auto zu fahren.

Ich meine, dass diese Straßen konzipiert wurden, um den Verkehr umzulenken. Wenn diese dann verboten werden, wohin soll dann der Autoverkehr fließen?
Emily: Also konkret ist geplant, eine Umgehungsstraße für die Bahnhofstraße zu bauen. Soweit ist das auch vernünftig. Da haben wir ja extra nochmal drüber diskutiert. Die TVO könnte aber nur ein Teil des Verkehrs durch die Bahnhofstraße abnehmen, jedoch nicht alles, weil sie dann anders endet. Generell haben wir natürlich mit der S-Bahn-Trasse, die durch unseren Bezirk läuft, ein Problem, weil es nicht so viele Unterführungen gibt.

Deswegen konzentriert sich der Autoverkehr eben auf diese Punkte. Und wir fordern, dass es eine extra Spur gibt, damit die Straßenbahn und der Bus nicht mit im Stau stehen. Im nächsten Schritt soll die Bahnhofstraße dann ganz autofrei werden. Darüber wird auch schon innerhalb der BVV gesprochen.
Das ist jetzt nichts ganz Absurdes. Und genau deshalb auch die Umfahrungsstraße, die wir auch befürworten.

Ihr fordert eine eigene dezentrale Energieversorgung für den Bezirk. Habt ihr da konkrete Flächen im Auge, wo beispielsweise Solaranlagen oder Windräder stehen sollen?
Phil: Nicht konkret. Wohnquartiere und öffentliche Gebäude sollen sich möglichst dezentral versorgen. Das ist nichts, was der Bezirk allein entscheiden kann. Ich glaube nicht, dass es rund um Berlin demnächst Windkraftparks geben wird. Das wäre, glaube ich, auch nicht effektiv. Aber wir haben ganz viele Dachflächen in Berlin, die man für Solartechnik verwenden kann. Daran wird gearbeitet, dass das bei öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Turnhallen verpflichtend gemacht wird, wo der Bezirk ein Mitspracherecht hat. Aus den Forderungen auf Berlin-Ebene gibt es einen Punkt, den ich ganz spannend fand:

Für hohe Gebäude ist zu prüfen, ob dort Windanlagen möglich sind.

Davon hatte ich vorher noch nie gehört. Aber diese Forderungen wurden ja tatsächlich mit den Scientists for Future erarbeitet.
Da gibt's als anscheinend Ansätze, um für große Gebäude Windkraft und Windkraftanlagen zu verwenden.

Also wird auf jedem Dach ein Windrad stehen oder wie kann ich mir das vorstellen?
Phil: Also bei uns im Bezirk trifft das gar nicht auf so viele Gebäude zu. Aber ich kann mir da z.B. was rund ums Krankenhaus Köpenick im Allende-Viertel vorstellen. Das sind ja so weit ich weiß auch landeseigene Gebäude.

Thema Neubebauung. Ihr fordert das mit klimaneutralen Materialien gebaut wird. Wie kann man einen Investor dazu bringen, klimaneutral zu bauen und auf herkömmliche Baustoffe zu verzichten?
Emily: Man müsste wahrscheinlich einfach subventionieren.

Phil: Also wir können uns ja nur auf die Entscheidungsträger innerhalb der öffentlichen Verwaltung und der BVV konzentrieren. Das sind die zwei Adressaten unseres Papiers. Es gibt ja Bebauungspläne, in denen Festlegungen getroffen werden. Das kann im Detail sehr schwierig sein. Damit kann man zwar nicht 100 % klimaneutrale Gebäude vorschreiben. Aber man kann schon Eingrenzungen machen. Das andere sind die Gebäude, die dem Bezirk selbst gehören. Wir fordern, wenn neue Vorgaben gemacht werden, möglichst klimaneutral zu bauen oder mit besseren Baustoffen. Wir hatten Holz vorgeschlagen. Es gibt da aber zurzeit auch ganz viel Forschung zu anderen Baustoffen.

Ihr wollt den Flächenfraß in der Stadt oder im Bezirk stoppen und sprecht euch für Nachverdichtung aus. Wo soll gebaut werden, wenn ihr euch zeitgleich auch für die Erweiterung und Erhaltung von Grünflächen aussprecht?
Phil: Parkplätze bieten bei diesem Thema die besten Möglichkeiten. Es gibt aber noch andere Flächen in der Stadt, die zur Zeit versiegelt sind, die man neu verwenden kann. Es wird in Zukunft auch weiter gebaut werden, auch auf Flächen, die jetzt Grünanlagen sind. Wir fordern, dass dafür ein Teil der Straßenflächen verschwindet und dort dann wieder Wasser versickern kann und Tiere leben und Pflanzen wachsen können.

Gibt es da konkrete Pläne oder Orte? Du hast vorhin den Alten Güterbahnhof in Adlershof angesprochen?
Phil: Dort wurden ein neues Stadtviertel gebaut.

Gibt es noch andere Pläne, die dafür vorliegen?
Phil: Nee, haben wir jetzt nicht. Wir haben keine Karte für diese Orte entwickelt. Aber was mir konkret einfallen würde, wenn man den Verkehr auf dem Adlergestell einspurig zuzüglich Busspur verringern würde, hätte man Flächen, die man entsiegeln könnte, wo also Grünanlagen entstehen können. Damit würde auch die Lebensqualität der Menschen, die dort wohnen müssen steigen, denn Stadtbäume absorbieren Emissionen, wie Lärm und Feinstaub, den die Autos ausstoßen.

Laut eurem Papier fordert ihr auch ein Verbot für den benzin- und dieselbetriebenen Schiffsverkehr auf den Wasserflächen des Bezirks. Gilt das ausnahmslos oder wird es da Ausnahmen für den touristischen Schiffsverkehr geben?
Emily: Der soll auch komplett abgeschafft werden, aber nicht auf den Bundeswasserstraßen. Das ist nochmal was anderes.

Phil: Wir haben uns ehrlich gesagt nicht genau damit beschäftigt, was eigentlich bezirkseigene Wasserflächen sind. Wir vermuten, dass es sehr, sehr wenige sind. Und alle größeren Wasserstraßen kann man wahrscheinlich weiter nutzen und der Bezirk kann auch nicht viel Einfluss darauf nehmen, weil das Landes- oder Bundeswasserstraßen sind. Also es geht nur um kleine Kanälchen und Sackgassen.

An der jetzigen Borkenbude wird eine neue Marina entstehen. Soll der komplette Sportbootverkehr auf dem Müggelsee verboten werden?
Phil: Der Sportbooteverkehr ist auf dem Müggelsee tatsächlich verboten. Durch den Müggelsee führt aber soweit ich weiß eine Bundeswasserstraße und da kann der Bezirk nichts machen. Der große Müggelsee ist ein gutes Beispiel dafür, dass es Möglichkeiten gibt, den motorisierten Schiffsverkehr einzuschränken, um die Tiere, die dort im Wasser leben, zu schützen und die Menschen, die dort baden gehen.

Wie geht es weiter mit Fridays for Future, welche Aktionen habt ihr in Zukunft geplant?
Emily: Klar, haben wir was geplant. Wir wollen noch verschiedene Bezirkspolitiker zu einer Podiumsdiskussion einladen, um mit ihnen unsere Forderungen diskutieren.

Ich wünsche viel Erfolg dabei. Danke für das Gespräch und für eure Zeit.

Emily: Ja, danke auch dir, Matti.


Phil und Emily nach dem Interview mit Matti Fischer
Foto: Matthias Vorbau

 


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