Lutherlust im Warenkorb

Reformation von allen Seiten, auch kleinteilig
Zufall war das nicht: Kurz vor Beginn der Spargelzeit verkündete dpa, die deutsche Nachrichtenagentur: „Eine Kondom-Verteilaktion mit provokanten Sprüchen ist auf Anordnung der rheinischen Kirche gestoppt worden. Die von der evangelischen Jugendkirche Düsseldorf verteilten Kondome mit Martin Luther zugeschriebenen Sprüchen wie „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ (beim Reichstag in Worms) würden wieder eingesammelt. Ein offenbar nicht zielführend bedachter Liebesdienst, der im Vorfeld des evangelischen Kirchentages in Berlin (Ham 'se noch wat frei?) problematisch werden könnte. Natürlich mit, aber ohne Spruchzierde. Luther-Latex, Luther-Bier, Luther -Münzen, -Uhren, -Briefmarken, -Ausstellungen...
Martin Luthr aus Bronze
Foto: iStock
Mensch, Martin, gib zu, hättest du das gedacht, damals vor 500 Jahren? Seit Jahreswechsel luthert es, wohin das Auge blickt. Europäisch, klar, sogar weltweit. Selbst Katholiken entdecken mehr und mehr anziehende Seiten an dir. Und viele Andersgläubige erst … Selbst die Nachfahren von Wucherern, Ablass-Brüdern und sonstigen Heiden scheuen sich nicht, deinen Namen zu gebrauchen, um alles (möglichst und unglaublich) Verkaufbare samt geistiger Handelsgüter an den Mann zu bringen; freilich auch an die einkaufende Frau. Ehre, wem Ehre gebührt: In und mit deinem Namen gehen dieser Tage Politiker aller Parteien und Ebenen wie Hausierer unter die Leute.
„Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten.“
Erstere halten sich dabei meist an deine Bibelweisheiten, um als belesen und volkstümlich zu gelten, was natürlich nichts gemein hat mit populär bzw. populistisch; Hausierer und Tagelöhner halten es hingegen eher mit deinen legendären Tischreden sowie bildhaften Grobheiten: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten.“ Oder „Jeden Tag 'ne andere Sau durchs Dorf treiben.“ Was freilich bei der verbreiteten Massentierhaltung von Rindern, Schweinen und anderen Säugern wie auch besonders Hühnern und anderen Federscharen erhebliche Probleme bereitet. Ganz abgesehen vom Straßenverkehr durch Dörfer sowie von „Hühner keulen“ (vergasen und verbrennen) oder „Küken schreddern“, ehe diese noch von ihrer beschissenen Welt Notiz nehmen durften. Dabei fehlt es nicht an handfesten Versuchen, analog Deiner Wittenberger Thesen unseren tierischen Mitbewohnern dieser Erde in christlich kämpferischer Nächstenliebe beizustehen und deren Hilflosigkeit ein Ende zu bereiten. Unwissend dessen überschlagen sich Verlage, Glaubensexperten und sonstige Sachwalter zu allem, was deinen Namen trägt oder vertragen könnte. Abziehbilder, Wanderstöcke, Luftballons, Lenkdrachen, Abzeichen, Kuchen, Gummibärchen … Alles zu finden in „Glaubenssachen“, Schöne Dinge mit Sinn und Segen“, Frühjahr 2017. Dort gibt es „Magnete Haus-Segen“ im 10er Pack für 17,95 €, Piet-Pötte mit Fischmotiven, spülmaschinengeeignet, CD-Musik „Taufklang“ usw. Man erfährt: Herr Neumann befasst sich mit „Luthers Leiden“ und der Krankengeschichte, wozu sich Bischöfe und andere prominente Autoren mit einem „Glaubenskurs zur Reformation“ gesellen. Unter dem Titel „Freiheit wagen“ beschreiben sie deinen Weg zum Reformator mit seinen hellen und dunklen Seiten. Die deiner Gegner inklusive.
„Jeden Tag 'ne andere Sau durchs Dorf treiben.“
Im konkreten Leben auf Kurs hält dabei ein „Immerwährender Lutherkalender“. Süß, das soll ja auch 2017 so sein, sind „Lutherbonbons Reformation in aller Munde“; tüten weise für 1,75 Euro sowie in Großtüten und Kisten, dann sogar für 19,65 €. Ablass-Krämer Tetzel würde vor Neid vergilben. Der vitale Luther-Markt hat freilich viel mehr parat. Aus dem Vollen schöpfen kann man z. B. Luther-Tomaten, Luther-Äpfel, „Luther-Kekse“ und Luftballons mit zwinkerndem Martin, blau und orange gemischt, ergänzt durch „Luther-Anstecker“. Dazu gibt es „Luther-Botschafter“, das sind Fruchtgummis von Haribo in Kilodosen, beutelweise „Luther-Coins“(Chips für Einkaufswagen) wie zugleich Schlüsselanhänger im Organza-Beutel ab 10 Stück für 5,50 €, ab 50 Stück 4,95,€, messingfarben. Du siehst, die Menge macht's … „Allein der Glaube“ verspricht eine „Historische Reportage zum Reformationstag und dem Leben Martin Luthers“, zudem erwähnenswert sind unzählige Devotionalien, Kreuze, von „religiös & ruhelos“ bis zu Margot Käßmann sowie den 80 Psalmen „Pausenlos mit Gott reden“. Mein ungläubiges, aber ehrliches Bängnis ist, der Luther-Rummel könnte selbst das geduldigste und wohlmeinendste Publikum erschrecken. Was passiert denn, wenn irgendwann alles Volk die Nase voll hat, wenn die Einkaufs-Chips hin und weg sind und die frommen Häuser leer? Helfen dann vielleicht „Schlüsselanhänger Engel“ (mit Einkaufs-Chip), „Gebetsfaltkarten“ zur Einschulung, der USB-Stick Fisch (mit Karabiner) oder gar das Playmobil Marke „Luther-Figur (mit Bibel, Schreibfeder, Mantel sowie einer Kappe“ (Mindestbeststellmenge: 10 Stück, je 2,99 €)?
„So wahr mir Gott helfe, Amen!“
Im Übrigen: Wenn ich mich recht früherer Religions-Stunden erinnere, endete jener Latex-Spruch aus Worms mit: „So wahr mir Gott helfe, Amen!“ Man sollte das wirklich nicht so eng sehen. Letztlich wird erfolgreich alles verkauft. (Unter Nutzung von dpa und Reklame-Post der Lutherischen Verlagsgesellschaft mbH)  

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