„Wenn ich als Pfarrer mit den Berlinern über Gott reden will, schalten die meisten auf Durchzug, weil sie mit dem Wort Gott nichts mehr anfangen können“
Viele Besucher der Matinee SonntagsLese hatten den Gottesdienst sausen lassen, um ihren ehemaligen Pfarrer Alexander Höner wieder und vielleicht auch in ganz neuem Licht zu sehen. Denn er kam als Gast, als Erzählender aus seinem Leben, von seinen Erfahrungen, Gedanken, Gefühlen und Wünschen. „Sonst bin ich eher der Zuhörer.“
Im Gespräch mit der Journalistin Danuta Schmidt, die die Lese- und Gesprächsreihe „SonntagsLese“ seit 10 Jahren veranstaltet, sprach er über Eigenmacht und Ohnmacht, wenn er gestrandete Menschen auf seinem Weg zur Arbeit sehe, über Hoffnung und deren Gehalt für das Handeln, über Mangeldenken und auch über Opferverhalten, wenn Menschen nicht bereit sind, eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten und immer auf das Glück von außen hoffen.
Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Höner in der Arbeits- und Forschungsstelle „Theologie der Stadt“ und beschäftigt sich u.a. mit dem Thema, was eine Stadt, wie Berlin, mit den Menschen macht. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass jede Stadt eine Eigenlogik besitzt und man im Hirn der Menschen lesen könne, in welcher Stadt sie leben würden. Diese Erkenntnis schaffe ganz neue Möglichkeiten im Wechselspiel zwischen den Menschen und ihrer Umgebung und setzt auch Grenzen.
Das liebe Geld
Zur Forschungsarbeit Höners gehört auch die Arbeit an einem Buch „Geld und Geist“, dass er für das Gespräch mitbrachte. Darin setzen sich Autoren mit dem Thema „Geld“ auseinander, mit dessen Sinnigkeit und auch dessen Sinnlosigkeit. Kaum etwas ist so ambivalent wie die Rolle des Geldes. Wir können nicht ohne Geld leben, gleichzeitig macht Geld allein auch nicht glücklich.
Das Geld ist einmal eingerichtet worden als Maß. Doch die Menschen hantieren nicht maßvoll damit, wenn nur wenige Menschen davon das Meiste besitzen, wenn Arbeit für den Menschen schlecht bezahlt wird, wenn die Erziehung von Kindern durch Mütter als grundlegende Arbeit an der Zukunft gar nicht monetär wertgeschätzt wird. Geld hat auch die Aufgabe, Wertschätzung zu erzeugen.
Danuta Schmidt befragte den Pfarrer, der als 37-Jähriger anfing, die evangelische Gemeinde in Friedrichshagen zu betreuen, wie er es damals geschafft habe, so präsent zu sein, denn das habe sie so empfunden. Denn er sei für alle da gewesen, in einem Beruf, der keinen Feierabend kennt, wenn man ihn nicht selbst einrichtet.
„Meine Mutter und meine Schwester haben mir mal vorgeworfen, dass ich für alle anderen da sei, aber nicht für die, die mich lieben. Ich nähme deren Liebe einfach so als selbstverständlich hin.“
Es ging im Gespräch um das „Grenzen“ setzen und um das „Sich verbinden“. Die Journalistin fragte, ob er ein guter „Nein“-Sager sei, worauf er entgegnete: „Nein“. Das Publikum amüsierte sich. Schmidt wfragte, wie er mit Emotionen umginge zwischen Beerdigung und Taufe an einem Tag. Sie bestätigte ihm, dass es höchst professionell sei, große Gefühle zu haben, zu teilen und eigenmächtig mit ihnen umzugehen. Wie er das mache? Denn dafür sei auch ein hohes Bewusstsein nötig.
Höner erzählte, dass er ein Ritual entwickelt habe, um Emotionen nah an sich heran zu lassen und dann doch auch wieder loszulassen, um Trauer und Freude gleichermaßen teilen zu können. „Ich gehe nach einer Trauerfeier in die Kirche und streife mit meinen Händen den Tod von meinem Körper. Das habe ich von einem Vikarsanleiter auf St. Pauli gelernt. Es dauert nur ein paar Sekunden.“ So verbunden sind bei ihm Körper, Seele und Geist.
In diesen Jahren haben ihm Menschen viel sehr Persönliches, manchmal zum ersten Mal, anvertraut. Doch das liege nicht nur an der Schweigepflicht, so die Journalistin. Offenbar gäbe der Pfarrer vielen Menschen sehr viel Vertrauen, auch durch seine ruhige und ausgeglichene Art.
Im zweiten Teil des Gespräches ging es um die Lebensgeschichte des 45-Jährigen. Er sprach über seine Geburtsstadt Guatemala. Dort hat er die ersten sieben Kindheitsjahre verbracht. Die Kinoleinwand wurde zum spirituellen Überbringer. Alexander Höner hatte zwei Bilder aus Chichicastenango mitgebracht, die nicht lebendiger und mystischer hätten sein können.
Er sprach über sein Studium Generale in Hamburg, als er sich für Theologie entschied, seinen Vater, der als Druckereimeister zunächst gar nicht so begeistert war vom Weg, den der Sohn einschlug. Ein handfester Handwerksberuf hätte ihm für den Sohn gefallen. Heute sieht das Höner ähnlich.
Von der Landessprache Spanisch ist bei dem Theologen nicht viel hängen geblieben, das bereue er. Ob er seinen beiden Töchtern schon von seiner Kindheit in diesem exotischen Land mit den damals schon großen Unterschieden zwischen Arm und Reich erzählt habe? „Erdbeben“ rief da eine Kinderstimme aus dem Publikum. Seine Kinder waren nach dem Gottesdienst noch zur SonntagsLese gekommen, um ihren Papa auch mal aus einem anderen Blickwinkel im wahrsten Wortsinn zu sehen.
Am Anfang war das Wort
Apropos Wort. Und Wortsinn: Eine der vielen Erkenntnisse des Vormittages war, wie wichtig es ist, eine gute, klare und ehrliche Sprache miteinander zu haben. Sie schaffe Offenheit und Vertrauen. Wenn man Wörter und Wortbedeutungen durch andere ersetzt, also Gott als Schönheit, Liebe, Gerechtigkeit oder Freundin, Geheimnis des Lebens bezeichnet – dann entstünden Brücken, hören Menschen plötzlich hin, auch beim christlichen Glauben.
Er-„Fahren“ hat Alexander Höner dies mit zwei Kolleginnen, als er sich eine Rikscha kaufte, und sie durch die Stadt fuhren und die Berliner befragten, wie ihr Himmel aussähe, was ihr Himmel ist. Es kamen die unterschiedlichsten Antworten und viele Impulse und Begegnungen zustande (Youtube: „Eine Rikscha vom Himmel“. Am Ende einer solchen Fahrt hatte er sich auf einer Parkbank ausgeruht und setzte sich neben einen jungen Mann, der gerade einen Menschen verloren hatte. Dieser Mann sagte zu ihm: „Das ist doch kein Zufall. Sie wurden mir geschickt.“
Im Gespräch ist offenbar so viel Nähe entstanden, und das ist auch das Markenzeichen der SonntagsLese. Viele Gäste hätten das Gefühl gehabt, sie seien mit dem Pfarrer ganz allein, es sei ein Gespräch unter vier Augen. Dafür bedankten sich viele danach. Und fragten, ob man die SonntagsLese nicht nach dem Gottesdienst machen könne. Worauf Frau Schmidt entgegnete: oder man verschiebt den Gottesdienst? Denn dieser fände ja in der Kirche statt. Das Kino sei ja vor allem ein Kino und für einen anderen Talk-Termin müsse ein Film ausfallen. Vielleicht einmal im Monat ein Abend-Gottesdienst?
Nachklapp
Nach der Veranstaltung gab es mit Freunden im Kino einen kleinen Nachklapp. Der Brückenschlag öffnete neue Türen. Gemeinsam regte man ein neues Talkformat mit den beiden am Abend an, also auch für jüngere Menschen, die am Sonntag vormittag ausschlafen wollen und müssen.
Und alle malten sich aus, wie schön es wäre, sich gemeinsam auf der Straße zu treffen und um die Kirche oder auf dem Marktplatz eine riesige Tafel aufzubauen. Jeder könne ein Tischtuch, Wein, Kuchen und gute Laune mitbringen und man lebe ein bisschen wie Gott in Frankreich, wie die Mittelamerikaner.
Das hat Alexander Höner als Guatemalteke zumindest im Blut: „Ich tanze gern, ich bin gern unter Menschen und ich bin auch ein leidenschaftlicher Mensch.“ Wenn leidenschaftlich lustvoll bedeutet, dann kommt diese lange Festtafel bestimmt im Frühling zustande. Kanäle dafür haben wir ja mehr als genug :)