Was kommt?

Jubiläen, Retrospektive und Perspektiven
Mit Jahreswechseln ist es so eine Sache. Man möchte meinen, dass etwas zu Ende gegangen ist, aber eigentlich geht alles immer so weiter, wie man es kennt. Weniger wird besser, alles Übrige eher schlechter, man zitiert an dieser Stelle gern Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser“. Es wird geknallt und getrunken bis zur Bewusstlosigkeit und die guten Vorsätze gleich mit weggeballert. Katerstimmung inklusive.
Kritzelfelsen auf Rügen Hommage an den Jubilar Caspar David Friedrich
Kritzelei von Steffen Thiemann

Ich erinnere mich noch, wie eine Nachbarin, mit der wir auf das neue Jahr anstießen, das eben vergangene Jahr mit den Worten hinter sich zu lassen hoffte, „gut, dass es zu Ende ist.“ Sie bezog dies auf den politischen und kulturellen Albtraum der in jenem (vor Jahren) vergangenem Jahr, neue Höhenflüge erreicht hatte, und ich sah sie erstaunt an, da sich in diesem Abschied auch die Hoffnung auf ein neues, sich anders gestaltendes Jahr ausdrückte. Ihre Hoffnung war eher ein frommer Wunsch. Was soll man schon vom neuen Jahr erwarten, wenn man, also Frau, nicht gerade schwanger ist? Womit auch immer.

Tröstlich ist es, wenn man sich mit dem Blick aufs neue Jahr an den Zahlen festhalten kann, denn um ein Zahlenspiel handelt es sich letztlich. Wir, die etwas Älteren, erinnern uns vielleicht noch an die Aufregung, die dem Jahrtausendwechsel vorausging. Was nicht alles geunkt und geweissagt wurde, vom systemischen Totalausfall bis ich weiß nicht was. Keine Glühbirne würde mehr brennen, kein Toaster toasten. Keine Vorstellung schien zu desaströs, um nicht auf das anstehende Ereignis kapriziert zu werden. Umso erstaunlicher, dass es heute Millionen junge Erwachsene gibt, die bei diesem Ereignis noch nicht einmal in der Planungsphase waren. Letztlich versank das für den Jahrtausendwechsel angerichtete Großfeuerwerk am Brandenburger Tor in einem Nebelmeer, sodass kein sprühender Funke mit bloßem Auge zu erkennen war. Dieser Nebel hat sich bis heute kaum gelichtet.

Mama und Papa sind sowieso von gestern. Siri und Alexa reichen völlig aus.

Blicken wir also trotzdem auf das kommende Jahr. 2024, eine gerade Zahl, die letzten Jahre mit geraden Zahlen, obwohl schön anzusehen, waren dann doch in ihrem Verlauf eher ernüchternd, 2020 und auch 2022. Wer sich erinnern möchte, kann dies an dieser Stelle tun. Wir nehmen in der Zwischenzeit die Zahlen zur Hand und blicken darauf, was uns an runden Zahlen im kommenden Jahr erwartet. Alle Romantiker glühen schon mal schwärmerisch vor, denn zwischen Elbsandsteingebirge und Kreidefelsen wird niemand an CDF vorbeikommen, 250. Geburtstag, wobei besagten Orten alles Romantische längst ausgetrieben ist, spätestens seit man an der Steilküste ein Drehkreuz passieren muss, als würde man auf der Autobahnraststätte seine Notdurft verrichten wollen. Warum man im Freistaat Sachsen noch nicht auf die Idee gekommen ist, wundert mich. Manchmal kommt man einfach nicht auf das Naheliegendste, aber es wird ja im nächsten Jahr (Triggerwarnung) in Sachsen neu gewählt.

Auch ein Jubiläum wird Anlass sein, den berühmtesten Käfer der Literaturgeschichte unter der Bettdecke hervorzuziehen, also genau genommen dessen Autor, wobei es sich bei besagtem Käfer, bei genauerer Betrachtung der beschriebenen anatomischen Vorraussetzungen, gar nicht um einen Käfer handeln kann, aber das hat F. K. niemand verübelt, der im kommenden Jahr bereits zarte hundert Jahren tot ist.

Gespannt sein darf man darauf, wie bei den vielen zu erwartenden Neuausgaben, seine Prosaminiatur „Wunsch, Indianer zu werden“, neu übersetzt wird oder ob man sie einfach spurlos rausstreicht. So stehen lassen können wird man auch bei F.K. keinen derartigen Fauxpas. Wahrscheinlich gilt die Geschichte jetzt schon als verschollen.

Ebenfalls hundert Jahre tot ist ein anderer Zeitgenosse, der vor 50 Jahren ungleich höher im Kurs stand und dessen Verfallskurve enorm angestiegen ist. (Sagt man so?) Vor 50 Jahren kommentierte meine Mutter den Bohei um Wladimir Iljitsch Uljanow mit den Worten: „Heute lernt ein Kind zuerst die drei Worte: Mama, Papa, Lenin.“ Wir lebten vor 50 Jahren nicht irgendwo hinterm Ural, sondern nahe der Spree, in der Hans-Beimler-Straße, die in Cottbus heute immer noch so heißt, als hätte es keine Bedeutung. Heute jedenfalls muss ein Kind nur noch „Alexa“ lernen oder „Siri“. Mama und Papa sind sowieso von gestern. Siri und Alexa reichen völlig aus, um sich in der Gegenwart zu orientieren.

Während ich diesen Text schreibe, brennt gerade der Nahe Osten, in der Ukraine sorgt man sich, dass der dortige Krieg an allgemeinem Interesse verlieren könnte.

Jubiläen sind wie Straßennamen (siehe H.B.) immer auch ideologisch geprägt, was es umso interessanter macht, einmal einen Blick auf Jubiläen zu werfen, die im kommenden Jahr nicht die entsprechende Erwähnung finden werden. Gut, vor 50 Jahren siegte die DDR über die BRD. Das ist mehr als durchgekaut und wird wohl auch im kommenden Jahr mehr als einmal Erwähnung finden, zumal es, wie man heute weiß, nichts genützt hat. Nicht nur, dass die BRD Weltmeister wurde.

Die Gründung des Rotfrontkämpferbundes vor hundert Jahren dürfte ebenfalls die wenigsten interessieren. Aber ich muss feststellen, dass es einer Recherche bedürfe, die meinen Zeitrahmen und das Honorar dieses Artikels sprengt, um auf Jubiläen zu stossen, die 2024 nicht grundlos übergangen werden. Die Band Rammstein wird übrigens, nachdem es in diesem Jahr kein anderes Thema zu geben schien und plötzlich so eine Phantomstille herrscht, im kommenden Jahr ihr 30jähriges Jubiläum feiern, was dem letzten Jahrtausendwechsel (siehe oben) an Pyro in nichts nachstehen dürfte.

Bei meiner Recherche habe ich allerdings entdeckt, dass „Kojak“ jetzt auch schon 30 Jahre tot ist. Also dessen Darsteller in besagtem Krimi, Telly Savalas, den ich komplett vergessen hatte. Apropos Entdeckungen: Marco Polo und Vasco de Gama jubilieren auch und grüßen aus einer Zeit, als es auf der Welt noch wirklich etwas zu entdecken gab, vor hunderten von Jahren. Denn was sind schon 30 Jahre, wenn es sich nicht gerade um die eigene Lebenszeit handelt? Werfen wir also doch noch einen Blick auf das nun vergangene Jahr, um zu sehen, was von 2023 in, sagen wir hundert Jahren, noch zum Jubilieren Anlass geben könnte. Die politischen Nicht-Ereignisse lassen wir einmal außen vor.

 

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Während ich diesen Text schreibe, brennt gerade der Nahe Osten, in der Ukraine sorgt man sich, dass der dortige Krieg an allgemeinem Interesse verlieren könnte und in der Ostsee wurde eine Gaspipeline zwischen Estland und Finnland beschädigt, was die NATO, anders als vor einem Jahr, als die Ostseepipeline sich selbst in die Luft sprengte, diesmal in höchste Aufregung versetzt. Jene Organisation wird im kommenden Jahr übrigens 75 Jahre. So alt wie die DDR, gäbe es sie noch.

Warum gibt es eigentlich die NATO, wenn es die DDR nicht mehr gibt? Na egal. Das alles interessiert in hundert Jahren hoffentlich niemanden mehr. Im Berliner Südosten wird man natürlich ein Ereignis auch in hundert Jahren nicht vergessen haben, den Einzug der Eisernen in das Olympiastadion, also in die Champions League, wenngleich geschmälert durch den sich parallel dazu abspielenden Abstiegskampf, der aber einem wahren Unioner nicht die echte Liebe trüben kann.

Bleiben zum Schluss noch die Toten. Fällt mir sofort Bert Papenfuß ein, der selbigen nicht mehr in die Literatur- und Kneipenlandschaft Berlins setzt. Eine Peter-Hille-Figur, deren Aussichten auf einen verdienten Straßennamen in Berlin allerdings schlecht stehen, da in Zeiten politischer Korrektheit nur noch Frauen mit Straßennamen bedacht werden, was sich in hundert Jahren natürlich schon wieder geändert haben wird, wenn es gar keine Geschlechter mehr gibt.

Jedenfalls wird jedes zweite Mädchen, welches 2024 in den westlichen Wohlstand hineingeboren wird, alle unabsehbaren Katastrophen einmal außen vor, 100 Jahre alt werden. Mindestens. Und wenn in hundert Jahren niemand mehr von der Unsterblichkeit spricht, weil längst Realität, wird es wahrscheinlich auch mit den Jubiläen schwieriger, weil wir dann endlich nur noch in der totalen Gegenwart leben. Der transhumanistische Supergau. Aber gut, jetzt warten wir erstmal 2024 ab.


Monique Kalkhof ist die Facebookbotschafterin des Bezirks Köpenicks Köpenick – we love it

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