Europapolitik aus dem Homeoffice

Hildegard Bentele sitzt seit Mai 2019 für die CDU im Europaparlament. Die 43-Jährige sprach mit uns über die EU in Zeiten der Coronona-Pandemie, die aktuelle Flüchtlingskrise sowie über die Situation an der Spitze ihrer Partei.
Normalerweise ist Hildegard Bentele viel unterwegs. Normalerweise hat sie dienstags, mittwochs und donnerstags in Brüssel zu tun, normalerweise tagt im französischen Straßburg einmal die Woche das Plenum des Europäischen Parlaments. Aber in Zeiten der Corona-Pandemie ist nichts mehr normal. Das EU-Gebäude in Straßburg ist geschlossen, in Brüssel herrscht Ausgangssperre. Wie die meisten der EU-Abgeordneten arbeitet Hildegard Bentele daher zu Hause in Berlin. Beim ersten Gespräch Anfang März trafen wir die Politikerin in einem Café in Mitte, ein zweites Gespräch fand am Telefon statt.

Hildegard Bentele im Café Einstein
Foto: Karin Schmidl

Frau Bentele, kann man Europapolitik im Homeoffice machen?
Wir müssen es versuchen. Die EU-Gremien arbeiten nach wie vor, wenn auch unter erschwerten Bedingungen und nur im Digital-Modus. Täglich tagt ein Krisenstab der EU-Kommission, Besprechungen gibt es per Videokonferenz. Auch das Parlament ist tätig. Aber dort sind Beratungen und Anhörungen mit Experten zu wichtigen Themen derzeit schwierig.

Doch wir müssen wichtige Entscheidungen treffen, deshalb sind wir zu Effektivität verpflichtet. Und deshalb ist für den 26. März ein Sonderplenum einberufen worden. Abstimmungen finden dabei schriftlich, also per Email, statt, vorher gab und gibt es in einigen Ausschüssen Videokonferenzen.

Um welche Entscheidungen geht es?
Es müssen zum Beispiel Mittel freigegeben werden zur Beschaffung von Medizinmaterialien, es geht um die Änderung von Fristen für Gesetze, beispielsweise für die Zulassung von Medikamenten. Es geht auch um Rückholungen von Urlaubern und um die Aufhebung bürokratischer Hürden beim wichtigen Warenfluss in Europa.

Sie arbeiten derzeit zuhause in Berlin. Wie läuft das ab?
Ich halte online Kontakt zu den Kollegen, mit denen ich die Themen bespreche. Meine Sprechstunden für Bürger gibt es derzeit per Facebook, Fragen können auch per Instagram gestellt werden. Wir müssen ja die Einbeziehung der Bürger, ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, aufrecht erhalten. Und dann sind da ja noch meine Kinder, die daheim sind, weil Schule und Kita geschlossen sind, und die beschäftigt werden wollen.


Themen wie die EU-Flüchtlingspolitik laufen weiter, überlagert von Corona

Ein Thema, das derzeit etwas aus dem öffentlichen Bewusstsein geraten ist, ist die Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze und auf den griechischen Inseln. Welche Rolle spielt das Thema derzeit bei Ihrer Arbeit?
Ja, das ist nach wie vor ein wichtiges Thema, das derzeit überlagert ist von Corona. Erdogan hat auf Drängen der EU die türkische Grenze zwar wieder geschlossen, aber es geht ja um viel mehr: um die Flüchtlinsgpolitik in der EU. Ich bin im Entwicklungshilfe-Ausschuss, und dort haben wir viele Anfragen, was die EU in ihrem Mitgliedsland Griechenland eigentlich tut.

Was mich am meisten umtreibt, ist die Tatsache, dass dort solche menschenunwürdigen Zustände herrschen. Wieso machen wir als Europäische Union da nicht mehr?

Ja, warum?
Die EU hat gerade 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und ich hoffe, dass das Geld für humanitäre Hilfeleistungen ist. Dass man damit etwa die Aufnahmelager in Griechenland besser ausstattet im Hinblick auf Unterkunft, medizinische Hilfe und Angebote für Kinder.

Aber die Grenzen bleiben geschlossen. Finden Sie das richtig?
Ja, Asyl ist zwar ein Grundrecht, aber nur für diejenigen, die legal kommen. Man kann ja nicht Leute reinlassen, wenn man nicht weiß, wo und wie man sie unterbringen soll. Die EU ist ja nicht mal in der Lage, die Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufs Festland und von dort weiter in andere Mitgliedsstaaten zu leiten.

Es wäre fahrlässig, jetzt Menschen in die EU zu lassen und nicht zu wissen, wo man diese unterbringen soll. Deshalb gehen ja alle Anstrengungen dahin, die Flüchtlinge in der Türkei oder in den Grenzgebieten besser zu versorgen.

Das ist kein neues Thema. Hat die EU die letzten Jahre verpennt?
Was mich am meisten umtreibt, ist, dass man die Situation und damit das Leid der Menschen immer weiter eskaliert. Der Tweet von mir, der in den vergangenen Tagen die meisten Likes bekam, war einer zum Thema Schutzzone. Die Verteidigungsministerin hatte eine solche Zone für Nordsyrien vor Monaten vorgeschlagen, was aber allgemein ignoriert und unter den Tisch gekehrt wurde.

Rund um Idlib sind eine Million Menschen auf der Flucht – was gar nicht nötig wäre, wenn es eine solche Schutzzone gäbe. Aber die EU ist hilflos, viel zu passiv, sie wartet ab, laviert und reagiert nur statt zu agieren.

„Das Problem ist nur militärisch zu lösen, was viele in der Europäischen Union aber nicht wahrhaben wollen.“

Wie würde ein Agieren der EU denn aussehen müssen?
Das würde natürlich heißen, militärisch einzugreifen. Das Problem ist nur militärisch zu lösen, was viele in der Europäischen Union aber nicht wahrhaben wollen. Doch wenn die EU diese militärische Kraft nicht aufbringt, dann wird sie niemals ein glaubwürdiger Akteur in der Region sein.

Es geht ja um ganz konkrete Interessen der Europäischen Union, weil wir direkt betroffen sind von dem Konflikt. Der dauert ja schon seit 2011 an und es gibt 6,9 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Syrien ist das Land, aus dem die meisten Flüchtlinge kommen.

Nun sind unter den Flüchtlingen in der Türkei auch viele Afghanen, die die Türkei loswerden will. Was ist mit ihnen?
Das ist genau das Problem und daher kommt auch viel Argwohn. Deutschland hat rund 800.000 Syrer aufgenommen. Für die Bürgerkriegsflüchtlinge gibt es schon die Bereitschaft zur Aufnahme, aber nicht für alle, die unter dem „Mantel Flüchtling“ noch mitkommen. Dazu zählt auch die Migration aus Nordafrika und Afrika, was das Problem noch größer macht.

Die Asylpolitik muss EU-weit auf den aktuellen Stand gebracht werden. So war ja die Türkei bislang ein sicherer Herkunftsstaat, aber die Entwicklung hat sich in vielen Punkten überholt. Man muss das europäische Asylsystem anpassen, wofür alle an einem Strand ziehen müssten.

„Es läuft alles wieder auf eine Koalition der Willigen hinaus, auf sechs, sieben Staaten, die vorangehen. Etwas anderes wird es nicht geben.“

Ist das realistisch?
Nein, daran glaube ich schon lange nicht mehr. Es läuft alles wieder auf eine „Koalition der Willigen“ hinaus, auf sechs, sieben Staaten, die vorangehen. Etwas anderes wird es nicht geben. Es sind übrigens nicht nur die Osteuropäer, die nicht mitmachen. Auch Österreich zieht sich raus, und die Skandinavier haben ihre Grenzen geschlossen.

Nun gab es ja Angebote von deutschen Städten und Gemeinden, Kinder aus den Lagern in Griechenland aufzunehmen. Kann das die EU beeinflussen?
Nein, das muss das Innenministerium genehmigen, was auch schon geschehen ist. Wenn etwa Berlin sich bereit erklärt, 85 Kinder aus diesen Verhältnissen da rauszuholen, wenn die Kapazitäten vorhanden sind, dann sollte man es machen.

Ich habe mehrfach telefonisch nachgefragt, zuletzt bei den Grünen, ob es wirklich genügend Kapazitäten gibt, auch Betreuer, Vormünder, Psychologen und weitere Experten für diese traumatisierten Kinder. Es sind mittlerweile vier Bundesländer, die sich zur Aufnahme bereiterklärt haben, da brauchte man die Genehmigung durch das Ministerium nicht mehr.

Ich persönlich unterstütze die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, weil ich es unhaltbar finde, wie die Kinder in den Lagern vor sich hinvegetieren.

Wie viele unbegleitete Minderjährige leben in den griechischen Lagern?
Die Zahlen sind nicht ganz klar, einige sagen, es sind 5.500, andere sprechen von 1.500, was wohl realistischer ist. Das sind nicht viele, EU-weit gesehen. Und wenn jetzt einige sagen, dann kommen die Großfamilien hinterher, sage ich: Das glaube ich nicht. Den Kindern muss schlicht geholfen werden. Jetzt.

Die Grenzen aber sollen geschlossen bleiben?
Ja, das finde ich richtig, da bin ich völlig auf einer Linie mit meiner Partei. Aber wir müssen Griechenland entlasten, das ist der Hauptpunkt. Wir müssen dabei helfen, Leute zu übernehmen. Das ist auch Solidarität innerhalb der EU.


Merz, Laschet und Spahn und die Frauen in der CDU

Die Bundes-CDU sucht gerade einen neuen Vorsitzenden. Der Berliner Landesverband hat sich unter den vier Kandidaten schnell und eindeutig für Friedrich Merz ausgesprochen. Wie ist Ihre Meinung?
Ich bin keine Delegierte, das heißt, ich wähle den Vorsitzenden nicht mit. Persönlich unterstütze ich das Team Laschet/Spahn. Ich war immer schon Spahn-Fan, der schon vor Jahren ein Netzwerk von jüngeren Abgeordneten aufgebaut hat. Wir haben uns zwei-, dreimal im Jahr getroffen zu bestimmten Themen, das war sehr hilfreich für alle.

„Jemand, der Deutschland regieren möchte, sollte schon mal eine Wahl gewonnen und schon mal regiert haben.“

Friedrich Merz erfährt viel Unterstützung. Von Aufbruch und Erneuerung ist die Rede. Was hat Merz, was Laschet und Spahn nicht haben?
Mein Problem mit Merz ist: Er ist ein Einzelkämpfer. Ich kann mir ihn nicht in einem Team, nicht mal im Kabinett vorstellen. Dort muss man ja zusammenarbeiten und gegenteilige Auffassungen zusammenbringen, Kompromisse finden. Das sehe ich bei ihm nicht, von der Persönlichkeit und vom Charakter her.

Außerdem: Jemand, der Deutschland regieren möchte, sollte schon mal eine Wahl gewonnen und schon mal regiert haben. Wer wie Armin Laschet ein Land wie Nordrhein-Westfalen mit 20 Millionen Einwohner regiert, mit einer schwarz-gelben Koalition, die reibungslos läuft, der den linken Parteiflügel und die Hardliner dabei einbindet, der macht das richtig gut.

Laschet war ja auch fünf Jahre Europaparlamentarier, kennt sich also europäisch aus, und er hat einen guten Draht zu Frankreich, was auch wichtig ist. Er hat alles, was ein führender Politiker in Deutschland braucht.

Es gibt nur männliche Bewerber. Und die Berliner CDU-Fraktion hat kürzlich unter großem Getöse den Comedian Mario Barth eingeladen, dessen Frauenbild berüchtigt ist. Sind Frauen in der CDU out?
Das ist ein schwieriges Thema. Im Berliner Landesvorstand gibt es 50 Prozent Frauen, doch die Männer dominieren. Es ist immer ein Unterschied zwischen einer formalen Lage und einer, in der Frauen auch Einfluss und Mitsprache haben.

Ein Paritätsgesetz, das die Grünen gerade als Entwurf eingebracht haben und das vorsieht, die bisherigen Bezirkslisten abzuschaffen und Wahllisten abwechselnd mit einer Frau und einem Mann zu besetzen, würde die Berliner Union massiv unter Zugzwang setzen. Die CDU müsste massiv nach Frauen suchen. Das würde eine Veränderung bringen.

Aber man darf da auch nichts schönreden: Politik ist auch ein verdammt hartes Geschäft. Sie ist familienunfreundlich und zeit- sowie energieraubend. Man muss es wirklich wollen.

„Die Umweltbewegung mit Greta Thunberg an der Spitze ist ja stark weiblich dominiert, zu dieser Bewegung hat die CDU komplett den Draht verloren.“

Berlins Landeschef Kai Wegner hat mal gesagt, als liberale Großstadtpartei, als die er die CDU gern sehen möchte, braucht es mehr Jüngere und mehr Frauen. Wie kann man sie gewinnen?
Ich engagiere mich im Europaparlament bewusst auch für das Thema Umwelt. Die Umweltbewegung mit Greta Thunberg an der Spitze ist ja stark weiblich dominiert, zu dieser Bewegung hat die CDU komplett den Draht verloren.

Es ist zwar nicht so, dass die CDU nichts für das Thema Umwelt tut, aber wir müssen da wieder glaubwürdiger werden. Umweltpolitik in Verbindung mit Industriepolitik ist der Bereich, in dem ich versuche, die Union stärker zu profilieren. Das ist eine Lücke, die wir füllen müssen.

In Berlin ist der rot-rot-grüne Senat nicht sonderlich beliebt, aber die CDU wird nicht als Alternative wahrgenommen. Wieso ist das so?
Ich kann das nicht verstehen. Seit über zehn Jahren ist die SPD für die katastrophale Schulpolitik verantwortlich, die Grünen wollen unterm Strich das Gymnasium abschaffen und trotzdem werden sie immer wieder gewählt. Die CDU macht gute Vorschläge, auch für eine bessere Schulpolitik, und wird trotzdem nicht gewählt. Das ist für mich unbegreiflich.

Sie waren vor einiger Zeit eine Woche lang in Berlin unterwegs, auch in Treptow-Köpenick. Ein Thema dort war die Gründung einer Europa-Schule. Wie sind Sie mit Ihrem Vorschlag angekommen?
Gut, Bürgermeister Oliver Igel ist sehr aufgeschlossen. Als mögliche Standorte haben wir über Adlershof und Friedrichshagen gesprochen. Ich fände es gut, wenn es in jedem Bezirk mindestens eine Europaschule gäbe, weil diese Schulen auch über Sprachen für Verständigung stehen.

Von den insgesamt 33 Europaschulen in Berlin sind aber die wenigsten im Osten. Die Zuständigkeit für diese Schulen sollten aber auf den Senat übergehen, weil Stadträte in den Bezirken oft sehr zurückhaltend agieren. Deshalb muss von oben Druck aufgebaut und das Ganze befördert werden.


Hildegard Bentele ist eine von elf Berliner Abgeordneten im Europäischen Parlament und dabei die einzige Berlinerin für die CDU. Bei der Europa-Wahl  im Mai 2019 wurde  sie als eine von insgesamt 29 deutschen CDU-Politikern ins Europäische Parlament gewählt. Dort arbeitet sie in der mit 187 Mitgliedern größten Fraktion, der Europäischen Volkdpartei EVP. Bentele ist im EU-Parlament  Mitglied der  Ausschüssen für Entwicklung  sowie für Industrie, Forschung und Energie.

Die 43-Jährige ist seit 2002 Mitglied der CDU. Sie hat in Heidelberg, Paris, Berlin und Brüssel studiert, u.a. Politikwissenschaften, Geschichte  und öffentliches Recht. Gearbeitet hat die Diplom-Politologin und  Diplomatin u.a. in den deutschen Botschaften in Zagreb und Tehran sowie  im Außenministerium in Berlin. Bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion  war sie zeitweise als außenpolitische Beraterin tätig.

Vor ihrer Wahl ins EU-Parlament war Bentele von 2011 bis 2019 Mitglied der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Ihre Arbeitsgebiete dort: Schulpolitik sowie Europa. Bentele lebt seit 1998 in Berlin. Sie ist mit einem kroatischen Diplomaten verheiratet und Mutter zweier Kinder.


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