Als Sohn einer Krankenschwester und eines Ingenieurs wird Wolfgang Pinzl in Bad Liebenstein geboren. Der Vater, der ein Büro in Warschau leitete, nimmt die Familie für fünf Jahre mit in die polnische Hauptstadt. Pinzl junior geht dort zur Schule.Mit 14 Jahren entdeckt er dabei seine Liebe zum Jazz: Während der „Tage der DDR-Kultur“, an denen unter anderem auch die Puhdys auftreten, hört er Manfred Krug. „Als Schauspieler war der ja schon bekannt, aber ich hatte keine Ahnung, dass er auch so gute Musik macht.“ Backstage besorgt sich der frischgebackene Jazz-Liebhaber flugs ein Autogramm und kauft kurz darauf die ersten vier Platten.
Wieder in Deutschland, lernt der technisch schon immer ambitionierte Pinzl Fernsehmechaniker. 1980 zieht es ihn zum Studium der Außenwirtschaft an die Hochschule für Ökonomie (heute Hochschule für Technik und Wirtschaft) nach Berlin. Nebenbei jobbt er im Kiezlokal „Wernesgrüner B“, das er heute mitbetreibt, in Karlshorst. Nach dem Studium wird der Thüringer Technischer Leiter im Theater im Palast der Republik unter der letzten Intendantin Vera Oelschlegel, ist verantwortlich für Garderobe, Bühnen- und Lichttechnik.
1994 hat Pinzl plötzlich die Chance den Ratskeller Köpenick zu übernehmen - und schlägt zu. Mit eigenen Ideen will er die Architektur und die Würde des geschichtsträchtigen Baus in Einklang bringen. Trotzdem läuft es anfangs nicht reibungslos, schnell macht sich Ernüchterung breit.
Die Lage des Ratskellers entpuppt sich als Segen und Fluch zugleich: Im Sommer '94 will einfach niemand drinnen hocken während draußen Wasser, schönes Grün und herrlicher Sonnenschein warten. Auch das Flair der Altstadt lässt in der Nachwendezeit zu wünschen übrig. Ein besonderes Dorn im Auge sind dem Thüringer die außergewöhnlich vielen Kreditinstitute.
Während es im Winter witterungsbedingt und dank einiger Konzerte im Keller mit freiem Eintritt relativ gut läuft, steht Pinzl im darauffolgenden Sommer vor derselben Problematik. Aus der Not heraus plant er zwei Testkonzerte mit seiner guten Freundin Pascal von Wroblewsky im Innenhof des Rathauses. Die nötige Genehmigung erteilt der damalige Bezirksbürgermeister Klaus Ulbricht ohne Probleme – und die Konzerte werden ein voller Erfolg. Obwohl die Rahmenbedingungen noch nicht perfekt sind, kommen knapp 500 Leute.
Der Unternehmer beschließt das Ganze regelmäßig zu veranstalten. Ab 1996 läuft das Festival zunächst unter dem Namen „Ratskeller Open Air“, diesmal schon mit Showküche neben der Bühne. Zu den Künstlern in den Anfangsjahren gehören internationale Größen wie Günther Fischer, Uschi Brüning und Little Willie Littlefield.
Ab dem zweiten Festival ist sogar Pinzls Jugendidol Manfred Krug dabei – und tritt fortan jedes Jahr auf. Den heute 55-Jährigen packt der Ehrgeiz und er riskiert immer mehr. Für eine viertel Million wird neue Bühnentechnik gekauft, ein Online-Ticketsystem eingeführt. Die Presse wird auf das kleine Festival, das stets an zehn Wochenenden von Ende Juni bis Ende August stattfindet und 30 Konzerte beinhaltet, aufmerksam. Erste Sponsoren unterstützen das Projekt, das längst keines mehr ist. Das Musik-Ereignis verselbstständigt sich, irgendwann kommen 18.000 Besucher jährlich – 2007 konnte der 125.000 begrüßt werden.
Selbst schlechtes Wetter zum 15-jährigen Jubiläum kann die hartgesottene Jazz-Gemeinschaft nicht erschüttern. 23 von 30 Konzerten werden von strömendem Regen begleitet, doch die für solche Fälle üblichen Hausrunden Schnaps und ausgeteilte Regencapes lassen das Wetter schnell vergessen. Klaus Doldingers „Das Boot“ rundet die einmalige Atmosphäre ab.
Unerwartet erhält der Vater des Festivals 2013 die Mitteilung, dass der Ratsinnenhof 2014 saniert wird. Schnell wird klar: Die 18. Auflage von „Jazz in Town“ ist die letzte. Die abschließenden Konzerte werden zum emotionalen Dauerlauf. Fans hoffen auf eine Verlegung auf den Schloßplatz, doch das kommt für Pinzl nicht in Frage. „Im Ratsinnenhof war die Gastronomie vor Ort, woanders müsste ich sie kaufen - und mir damit selbst Konkurrenz machen.
Normalerweise hätte längst die heiße Phase für das nächste Festival begonnen. So stürzt sich Pinzl momentan jedoch in andere Pläne. Im August wird das 20-jährige Bestehen des Ratskellers groß gefeiert. Ohne „Jazz in Town“ hat er trotzdem mehr Muße als vorher, kann auch mal mit seinem Beagle Alex an der Ostsee entspannen.
Zeit für Hobbys blieb in den letzten Jahren zwar kaum, aber da er seine Leidenschaft jedoch zum Beruf gemacht hatte, war das auch nicht nötig. Ein neues hat der passionierte Rotweintrinker dann aber doch schon gefunden: Mit seinem Spiegelteleskop wirft er gern einen Blick auf die Sterne.
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