Köpenickiade 2.0

Glücksritter aller Welt, kommt nach Köpenick! Denn hier in Köpenick kann man noch so richtig „unkonventionell handeln“ und nach Herzenslust baggern.
So könnte die Einladung an findige Geschäftemacher lauten, denn in Köpenick können sie ungeachtet von Gesetzen und Verboten leicht zu Geld kommen.
Der Hauptmann von Köpenick fliegt und furzt Feuer
Illustration: Matthias Vorbau (2007 zu den Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 800. Geburtstages von Köpenick.)

Natürlich gibt es keine solche Einladung, doch was im Südosten möglich ist, spricht sich ganz offenbar herum. Wie sonst ist zu verstehen, dass es immer wieder Aktionen gibt, die klar an Recht und Gesetz vorbei gehen und bei denen Politik und Verwaltung ganz alt aussehen. Dabei werden ja nur die wirklich spektakulären Fälle bekannt. Der weltweit bekannteste geschah im Oktober 1906, als ein arbeitsloser Schuster, ausgestattet mit geliehener preußischer Uniform und ausreichend Chupze, im Köpenicker Rathaus die Stadtkasse raubte und den Bürgermeister festsetzte. Der Coup des falschen Hauptmanns machte Köpenick damals berühmt; die ganze Welt lachte über den Kleinganoven Wilhelm Voigt, über preußischen Untertanengeist und unkritische Verwaltung.

Die als Köpenickiade in die Geschichte eingegangene Aktion ist aber längst nicht der einzige Fall, bei dem findige Geschäftsleute in Köpenick die Obrigkeit foppen und so zu Geld kommen. Zu sehr viel Geld. Betrug damals, vor 112 Jahren, die Beute nur bescheidene knapp 4.000 Reichsmark, geht es inzwischen um Millionenbeträge.


Köpenickiade 2.0 in Schmöckwitz

Kein Wunder also, dass die Akteure mit bemerkenswerter Energie zu Werke gehen. So wie gerade in Schmöckwitz. Dort, wenige Kilometer südöstlich vom berühmten Köpenicker Rathaus entfernt, hat ein Unternehmer eine kleine Insel im Hafenbecken direkt am Langen See weggebaggert. Einfach so, ohne Genehmigung, dafür aber mit Aussicht auf kräftigen Gewinn. Nico Thiele heißt der Unternehmer, der in Jessen (Sachsen-Anhalt) eine Baufirma leitet, die auch in Berlin aktiv ist.

Thiele hatte das Schmöckwitzer Hafenbecken vor ein paar Jahren gekauft und die dortigen Liegegebühren für Boote laut Anwohneraussagen exorbitant erhöht. Und er hat Großes vor. Hochwertige Stadtvillen will er bauen. Doch der Bezirk widersprach dem Investor. Im Rathaus plant man rund um den Hafen kein teures Wohngebiet, sondern ein Zentrum für den Wassersport. Deshalb wurde im Mai eine so genannte Veränderungssperre erlasse, also ein Baustopp.

Was dann geschah, kann durchaus als Köpenickiade 2.0 bezeichnet werden. Investor Thiele kümmerte sich nicht die Bohne um Politik, Baurecht oder Baustopp. Ende Mai begann er damit, eine kleine Insel, die seit Entstehung des Hafenbeckens in den 1950er-Jahren dort existiert, wegzubaggern. Ganz offensichtlich, um noch mehr lukrative Bootsliegeplätze zu schaffen.


Und wie reagierte die zuständige Verwaltung?

Gar nicht. Sie ließ die rechtswidrige Aktion einfach geschehen. Obwohl Anwohner seit Beginn der Baggerarbeiten die Köpenicker Umweltbehörde immer wieder alarmierten. Doch niemand kümmerte sich darum. Und nicht nur das, durch „das Versehen eines Mitarbeiters“, wie es heißt, gelangte die Protest-Mail eines Anwohners auf direkten Weg zum Investor. Er weiß jetzt, wer sich über ihn beschwert hat.

Die zuständigen Stadträte sind Bernd Geschanowski (AfD) für Umwelt und Rainer Hölmer (SPD) fürs Bauen. Bislang kam von ihnen keine Aufklärung darüber, wie eine ganze, wenn auch kleine Insel einfach so, an Recht und Gesetz vorbei, verschwinden konnte. Bürgermeisgter Oliver Igel (SPD), der nach eigenen Worten erst im Juni aus einem Brief von der illegalen Aktion erfahren hat, hält das Vorgehen des Inverstors für inakzeptabel und verspricht konsequente Aufklärung.


„Welche Insel?“

Nico Thieles Entgegnung könnten wie Hohn gegenüber der Politik empfunden werden. Der Berliner Zeitung sagte er, es habe sich gar nicht um eine Insel gehandelt, sondern nur um eine Landzunge. Und diese sei erstens nicht wie vom Bezirk behauptet 650 Quadratmeter groß gewesen, sondern nur 250 Quadratmeter. Und sie wäre wegen Schieflage demnächst abgerutscht ins Hafenbecken. Er habe also nur Schaden abgewendet.

Man darf gespannt sein, wie die Posse weitergeht. Dass der Investor - wie von Umweltschützern gefordert - die Insel (oder Landzunge) wieder aufschütten wird, kann wohl ausgeschlossen werden. Denn der Name Thiele steht schon länger für „unkonventionelles Handeln“, das eine untätige bis desinteressierte Obrigkeit gern entlarvt und lächerlich macht.


Ein Akteur bekannt aus dem Rundfunk

Das war vor 13 Jahren schon so. Damals kaufte Frank Thiele, der Vater von Nico, das ehemalige DDR-Rundfunkgelände an der Nalepastraße, ebenfalls in Köpenick. Auch Nico war damals mit von der Partie. Schon damals narrten die Thieles die politisch Verantwortlichen, ebenfalls unter tatkräftiger Mithilfe von Behörden.

Denn der Rundfunkkomplex am Spreeufer, dessen Wert auf 24 Millionen Euro geschätzt worden war, ging für läppische 350.000 Euro an Thieles kleine Baugeräteverleih-Firma in Jessen. Thiele teilte das 13 Hektar große Gelände am Spreeufer flugs in drei Teile und ließ das lukrativste Stück mit den berühmten Sendesälen für 3,9 Millionen Euro versteigern. Einen weiteren Teil kaufte die Reederei Riedel, die dort seit 2011 ihren Heimathafen hat.

Der obskure Rundfunk-Deal beschäftigte bald Staatsanwälte und die Landesparlamente in Magdeburg und Berlin. Es stellte sich heraus, dass Beamte der zuständigen Liegenschaftsgesellschaft in Magdeburg öffentliches Vermögen verschleudert hatten. Unternehmer Frank Thiele drückte es damals so aus:

„Ich habe ein Geschäft gemacht, für das die neuen Länder, die es auch hätten machen können, kein Interesse hatten.“

Dass dies stimmte, zeigte schon der Kaufvertrag. Darin war weder eine Investitionsverpflichtung noch eine Spekulationsfrist festgeschrieben. Nicht mal die Bonität des Käufers war ausreichend geprüft worden. Die verantwortlichen Mitarbeiter der Liegenschaftsgesellschaft wurden versetzt, die Steuerzahler blieben sogar auf Betriebskosten sitzen, die Thiele nicht bezahlte.

Im Spiegel war 2006 die Rede von ostdeutschen Seilschaften, obskuren Gesellschaften und einer Briefkastenfirma in Montana. Einer von Thieles Geschäftspartnern wurde wegen Betrugs verurteilt. Das Dunkel um den Rundfunk-Deal wurde aber nie ganz erhellt, doch klar war: Mitschuld trugen die Verantwortlichen in den Ämtern, die ihrer Arbeit nur schludrig oder gar nicht nachkamen. So wie heute in Schmöckwitz. So richtig lachen kann man über die neueste Köpenickiade nicht.


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